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Essay zur Lage in ÄgyptenSteilvorlage für die Islamisten

Die Freude darüber, dass Mursi weg ist, ist groß. Aber es bleibt ein fahler Geschmack. Denn es wurde eine Chance vertan.

Bild vergangener Tage: Mohammed Mursi (hinten, 2. v. r.) umringt von Männern in Anzügen. Bild: ap

Natürlich ist man froh, dass er weg ist. Der Nepotismus, die Islamisierung aller Sphären. Ganz abgesehen davon, dass er seine Wahlversprechen nicht wahrgemacht hat und es den meisten Ägyptern heute schlechter geht als unter Mubarak. Mohammed Mursi war ein Spalter, taub für die Belange der meisten Ägypter, die seine islamistische Vision nicht teilen, schlicht inkompetent.

Es gibt so viel, was Mohammed Mursi falsch gemacht hat, dass die erste Reaktion Freude ist. Und dennoch bleibt ein fahler Geschmack im Mund. Er war nun einmal ein demokratisch gewählter Präsident. Der erste demokratisch gewählte Präsident, den Ägypten je hatte. Ein Präsident mit einer großen Mehrheit.

Es ist ein schlechtes Argument zu sagen, diese Mehrheit habe er inzwischen verloren, seine Gegner würden seine Anhänger heute bei weitem überrunden. Das mag stimmen; und wenn man nur die Demonstrationen ansieht, dann stimmt es vermutlich ganz eindeutig. Das geht uns in Deutschland nach der Hälfte oder einem Drittel der Legislaturperiode aber oft auch nicht anders. Es mag ja besserwisserisch klingen: Aber es gilt zu warten bis zu den nächsten Wahlen, um der Regierung die Quittung zu präsentieren und sie abzuwählen. Über eine Regierung wird in Demokratien nun mal an der Wahlurne entschieden und nicht auf der Straße durch Protestbewegungen.

Das mag man nicht basisdemokratisch genug finden, und natürlich haben die Jubelschreie der Menschen in den Straßen Kairos, Alexandrias oder anderer ägyptischer Städte etwas Mitreißendes; man freut sich mit den Menschen, dass sie es geschafft haben. Aber was wir in den letzten Tagen gesehen haben, ist eben keine direkte Demokratie, auch wenn dies im Moment so dargestellt wird.

Direkte Demokratie bedeutet nicht, dass eine Graswurzelbewegung zwar die Menschen auf die Straße bekommt – es aber letztlich doch das Militär ist, das putscht. Nicht nur ist ungewiss, was nun kommt; ob Ägypten nicht doch vom Regen in die Traufe gerät. Es ist auch das Prozedere, das diesen fahlen Nachgeschmack produziert.

Vom Westen einfach nicht anerkannt

Hinzu kommt: Man liefert den Islamisten eine Steilvorlage. Ihr Argument wird einmal mehr sein: Wann immer wir gewählt werden, putscht man uns weg oder erkennt die Wahl nicht an.

Das belegen für die Islamisten der Fall Algerien, wo das Militär den Wahlsieg wegputschte, und der demokratische Wahlsieg der Hamas von 2006 in den Palästinensergebieten, der vom Westen einfach nicht anerkannt wurde. Das kann man nicht einfach vom Tisch wischen. Wie will man Islamisten gegenüber glaubhaft vertreten, dass sie sich an demokratische Spielregeln halten sollen, wenn man sie selbst im kritischen Fall nicht beachtet oder schlicht ignoriert?

privat
Katajun Amirpur

Professorin für Islamische Studien an der Universität Hamburg. Ihr Buch „Den Islam neu denken“ ist 2013 bei Beck erschienen.

Das Problem ist nun in der Tat, dass hier die Demokraten keine Liberalen sind und die Liberalen keine Demokraten – wenn sie einen Militärputsch für ein adäquates Mittel halten, eine nicht abgelaufene Legislaturperiode zu beenden. Oder meinen sie im Ernst, das Militär sei der Vollstrecker des Volkswillens? In Ägypten stehen wir vor dem Paradox, dass eine demokratische Bewegung Militär zu Hilfe gerufen hat, das sechs Jahrzehnte autokratische Herrscher produziert hat, um einen demokratisch gewählten Präsidenten abzusetzen, damit das Land wieder auf den Weg der Demokratie geführt wird.

Weil die, die durch demokratische Wahlen an die Macht gekommen sind, Freiheitsrechte einschränken und Minderheitenrechte ignorieren, ist die Angst vor ihnen berechtigt. Man kann der Sorge, dass Islamisten durch Wahlen, also demokratische Verfahren, an die Macht kommen, um dann die Demokratie auszuhebeln, indem sie die in ihr garantierten Rechte abschaffen, nur wenig starke Argumente entgegensetzen.

Gab es keine andere Möglichkeit?

Die Islamische Republik Iran liefert seit ihrer Etablierung im Jahre 1979 das abschreckendste Beispiel dafür, wie undemokratisch der politische Islam agieren kann. Allerdings hinkt der Vergleich mit Iran auch, der immer wieder in den letzten Monaten herangezogen wurde: Wenn Saddam Hussein nicht 1980 einen Krieg gegen Iran vom Zaune gebrochen hätte, wäre es dazu nicht gekommen. Nur so konnten die demokratischen Kräfte in Iran von den Islamisten ausgebootet werden.

Waren die demokratischen Kräfte auch in Ägypten schon ausgebootet? War es kurz vor zwölf und gab es keine andere Möglichkeit? Sicher kann man sich da nicht sein. Natürlich, Mursi hat das Angebot, mit der Opposition zu einer Übereinkunft zu kommen, nicht angenommen. Aber vielleicht hätte man ihn stärker dazu drängen müssen; oder man hätte jüngere Mitglieder der Muslimbrüder einbinden müssen, die weniger islamistisch sind und mehr an Ägypten denken als an die Privilegien der Muslimbrüder.

Vielleicht ist hier auch eine weitere Chance vertan worden: Dass die Muslimbrüder an der Macht waren, hatte einen großen Lerneffekt. Schnell hat man gesehen, dass der Islam nicht die Lösung ist – wie jahrzehntelang behauptet. Al-islam huwa al-hall ist die Losung des politischen Islams. Doch es reicht eben nicht, dass eine Partei regiert, die sich islamisch nennt, dass erklärt wird: Wir führen die Scharia ein – was auch immer das zu bedeuten hat.

So werden wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme nicht gelöst. Und nirgendwo in der islamischen Welt verfügen Islamisten über ein politisches Konzept, das über das Schlagwort der „Islam ist die Lösung“ hinausgeht. Bisher ist dies nur kaum aufgefallen, weil man sie ohnedies nicht an der Macht beteiligt hat. Wo man sie an der Regierung beteiligt hat wie in Jordanien, wurde ihre Konzeptlosigkeit dann auch schnell offenbar, und sie wurden abgewählt.

Insofern befand sich Ägypten in einem wichtigen Lernprozess: Die Bürger haben erkannt, dass eine Partei ein Land nicht erfolgreich führen kann, indem sie eine vermeintlich islamische Gesetzgebung einführt, aber ansonsten keine Lösungen parat hat. Man braucht Technokraten, Wirtschaftsprofis, Leute vom Fach, um ein Land aus der politischen und wirtschaftlichen Misere zu führen.

Zu lernen wäre hier auch gewesen, dass man den Islam überfrachtet; dass er kein Staatssystem liefert und keine Wirtschaftstheorie und auch keine Ideologie sein kann und will. Auch hier haben übrigens die Iraner eine sicher unfreiwillige Vorreiterrolle eingenommen und in einem leidvollen Prozess Erkenntnisse über den politischen Islam, seine Möglichkeiten und Grenzen gewonnen. Deshalb ist die iranische heute die vermutlich am weitesten säkularisierte Gesellschaft des gesamten Nahen und Mittleren Ostens: weil sie in einem schmerzhaften Prozess erkennen musste, dass Religion nicht staatlicherseits verordnet werden kann und darf.

Das Ende des Erwachens

Die Ägypter haben dasselbe sehr schnell erkannt. Erstaunlich fast, wie schnell sie der Muslimbrüder überdrüssig wurden, die sich ja in vielen Jahrzehnten in der Opposition einen hervorragenden Ruf erarbeitet hatten – was wiederum nachvollziehbar erklärt, warum sie die Wahlen so eindeutig gewonnen haben. In den ersten freien Wahlen wurden die Muslimbrüder dafür belohnt, dass sie sich in all den Jahren als nicht korrupt und als Wohlfahrtseinrichtung bewiesen haben, die dort hilft, wo der Staat unter Mubarak versagt hat. Deshalb bekamen sie ihre Chance, doch sie haben sie vergeigt. Das war eine wichtige politische Erfahrung.

Dass der Islam nicht die Lösung ist, hätte – ohne Militärputsch – ein wichtiges Ergebnis für den politischen Islam werden können: Als das islamische Erwachen in der Region hatte Ajatollah Chamenei den Sturz Mubaraks und die Wahl Mursis bezeichnet. Folgt man seiner Logik, die allerdings nur für Islamisten gilt und für alle anderen, die den Sturz Mubaraks ja viel maßgeblicher herbeigeführt haben, schon damals falsch war, so wäre das politische Scheitern der Islamisten in Ägypten das Ende des Erwachens.

Auswirkungen auf andere Bewegungen

Das hat natürlich Auswirkungen auf alle anderen islamistischen Bewegungen in der Region. Wenn die Islamisten im wichtigsten Land der islamischen Welt unter Beweis stellen, dass sie es nicht draufhaben, dann trägt das auch in anderen islamischen Ländern kaum zum Vertrauen in die Islamisten bei.

Jetzt hingegen macht man Märtyrer aus ihnen. Das Militär geht nicht eben zimperlich mit den Muslimbrüdern um, wie die jüngsten Meldungen aus Ägypten belegen. Sie werden zukünftig immer wieder auf das Argument pochen, dass sie rechtmäßig an der Macht waren, demokratisch gewählt, man ihnen aber keine Möglichkeit gelassen, und sie gestürzt hat.

Hinzu kommt: Die Vorstellung, man könne in Ägypten Politik machen ohne die Muslimbrüder, ist naiv. Auch wenn ein Großteil der Bevölkerung ihnen nicht mehr zugetan war, es werden nicht alle gewesen sein, die sich von ihnen abgewandt haben. Aber wie will man jetzt noch eine Aussöhnung mit ihnen erzielen? Dass man sich hier gegenüber dem politischen Islam zu viel vergeben hat, ist die Sorge, die bleibt.

Andererseits: Vielleicht war es eben doch gerade noch rechtzeitig. Aber das hieße andererseits wieder, dem Militär zu vertrauen – was auch nicht leichtfällt.

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24 Kommentare

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  • J
    Joe

    es ist wichtig, dass in ländern wie ägypten und der türkei das militär die theokraten beschneidet. der islam erkennt offensichtlich keine trennung zwischen dem allmachtsanspruch seines propheten/der sharia und der politik an - ich könnte wetten, dass die nächsten wahlen nicht mehr demokratisch geführt würden.

     

    dann wäre das gejammere im westen groß, würde aber nichts an den geldflüssen hin zu den muslimbrüdern ändern, die nötiger denn je wären - schließlich zählt sinnvolles (markt-)wirtschaften offensichtlich nicht zu den kernkompetenzen der fundamentalisten; der tourismus würde massiv einbrechen.

     

    "wie undemokratisch der politische Islam agieren kann" - nicht kann, sondern muss: es gibt keine demokratische gesellschaft, die vom polit. islam geführt wird, noch ist sie wirklich denkbar. viele muslime geben das auch offen zu, die nichtvereinbarkeit von islam und demokratie (erdogan: der zug, auf den wir aufspringen, bis wir am ziel sind). das militär ist für die meisten ägypter ein segen. wird zeit dass sie erdogan ebenfalls in den arsch treten!

  • T
    tantchen

    Katajun Amirpur schätze ich sehr, aber mit diesem Beitrag kann ich wenig anfangen. Man merkt in jeder Zeile, wie weit die Autorin von den realen Ereignissen in Ägypten entfernt ist. Ägypten 2013 ist nicht Algerien 1990/1991, denn in Algerien gab es 1991 zwar eine Militärjunta und eine islamische Heilsfront, aber es gab keinen Tahrir (real und symbolisch für die Millionen und Abermillionen immer bewussteren und immer besser organisierten Gegner der Muslimbrüder im Land).

    Was ich nicht verstehe: es gibt in Ägypten jede Menge kluge Menschen, die tiefschürfende Analysen schreiben bzw. schreiben können, auf allen Seiten. Warum lässt man sie in dieser Situation nicht zu Wort kommen?

  • M
    mediterrane

    Ein Jahr, solange hat Schwarz-Gelb gebraucht um ihren Streit zu beenden, und Mursi soll nach einem Jahr, 80 Jahre Diktatur vor ihm wett machen?

     

    Seid ihr noch ganz dicht im Kopf?

     

    80% der Wirtschaft gehört der Armee, die haben alle ein paar Gänge zurück geschaltet, damit es den Menschen schlecht geht und sie auf die Straße gehen.

  • L
    Laubeiter

    Liebe Frau Amirpur

     

    ich kann mit Ihrer Abwägung dessen, was gut sein kann an einem Putsch gegen einen gewählten Präsidenten, wenn die Putschisten von ihrem Ziel behaupten, sie wollten verhindern, dass der Präsident die Demokratie außer Kraft setze.

     

    Es ist auch für mich interessant, das im Zusammenhang mit Arabien und islamischen Regierungen zu betrachten.

     

    Aber ich finde es für einen gedruckten Text, der ja wohl nicht das Transkript einer freien Rede ist, nicht hilfreich, wenn ich mich als Leser mit der Frage beschäftigen muss, wer sich hinter "man" versteckt. 3 Beispiele: "Natürlich ist man froh,..." ";man freut sich..." "Sicher kann man sich da nicht sein."

     

    Das Wort "ich" verlernt, oder rausgeworfen?

     

    Natürlich ist man froh - die Ägypter, oder die Moslems in Deutschland, oder die Anhänger von Demokratie, besonders zahlreich zu finden unter taz Abonnenten?

     

    Man könnte meinen, das man von Ihnen nicht die ganze Wahrheit erfährt, sondern eine Paraphrase dessen serviert bekommt, was man sich in den Zirkeln der Experten so alles zusammenspekuliert.

  • H
    hto

    "Und dennoch bleibt ein fahler Geschmack im Mund."

     

    Wenn man verstanden hat wie das "Recht des Stärkeren" unserer "Demokratie" im "freiheitlichen" Wettbewerb um ... funktioniert, bzw. sich also um die Länder der Perepherie dieses Systems von Ausbeutung und Unterdrückung mit massiver Manipulation ("Entwicklungshilfe" & Waffenhandel) kümmert, dann war einem schon klar welche "Chance" diese durch eine "freie" Wahl haben!?

     

    Damit wirklich-wahrhaftige Menschlichkeit / geistig-heilendes Selbst- und Massenbewußtsein globalisiert wird, muß diese Welt- und "Werteordnung" DURCH UNS mit eindeutiger Wahrheit inspiriert werden - weg vom logisch teils brutal-egoisierendem "Individualbewußtsein" und seiner blöd-, stumpf- wie wahnsinnigen Symptomatiken, hin zu einem unkorrumpierbaren MENSCHENRECHT auf Nahrung, Wohnen und Gesundheit, denn wenn GRUNDSÄTZLICH alles allen gehört, so daß "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei" absolut keine konfusionierende wie spaltende Macht mehr hat, kann PRINZIPIELL alles ohne ... wirklich-wahrhaftig demokratisch-menschenwürdig organisiert werden!!!

  • BC
    Bella Ciao

    "Mursi hat das Angebot, mit der Opposition zu einer Übereinkunft zu kommen, nicht angenommen. Aber vielleicht hätte man ihn stärker dazu drängen müssen ..."

     

    Was bitteschön ist stärker und drängender als ein 48-Stunden-Ultimatum des Militärs? Die Armee hat lediglich den Staatsstreich der Muslimbrüder beendet - und dabei ist es unerheblich, ob sie demokratisch gewählt wurden. Die Muslimbrüder wollten die Konfrontation und jetzt haben sie sie.

     

    Das ägyptische Militär steht ausnahmsweise mal auf der richtigen Seite. Ist das so schwer zu verstehen?

  • DR
    Dorothea Reinecke

    Auf die nächsten Wahlen warten, klappt in Deutschland, aber das ist wirklich der falsche Vergleich. Morsi in Ägypten hat in den letzten Monaten ganz klar bewiesen, dass die Moslembrüder keine Demokraten sind sondern die absolute Macht an sich reißen wollen. Und mit der Geschwindigkeit, mit der Morsi die Verfassung geändert hat, Kritiker beseitigt und Richter, Gouverneure, Zeitungsverleger etc. mit MBlern ausgetauscht hat, kann man davon ausgehen, dass es in 3 Jahren keine Wahl mehr gegeben hätte.... Das haben 33 Millionen Ägypter nicht zugelassen, das hat mit einem Putsch nichts zu tun.

    Ob das Militär nun Demokratie zulassen wird oder nicht ist eine andere Frage, jedenfalls wird es erst mal keine Diktatur des Morscheds geben (der Führer der Moslembrueder und kein Ägypter...!), und dafür können wir nur dankbar sein!

  • DS
    Der Sizilianer

    Danke für diese differenzierte und plausible Betrachtung der aktuellen Lage in Ägypten.

  • S
    Scheindemokrat

    meine liebe Katajun, ist es nicht toll wie gut wir immer über andere bescheid wissen. Wann fangen wir endlich an mal über unser System nachzudenken. Sind wir nicht großartig im Weggucken bei unseren eigenen Problemen. Weggucken heißt für mich auch, kleine Symptome zu betrachten und mit möglichst wenig Veränderung zu übertünchen.

    Aber irgendwie glauben wir doch alle das die da oben, also unsere Real-Democrats, genau das richtige für uns tun, selber können wir das nicht, ganz klar.

    Ich werde gerne von der Fleisch-Mafia, der Auto-Lobby, den Strom-Konzernen etc. regiert.

    Es lebe unsere Demokratur!

  • MS
    M. Sultan

    1. waren die Wahlen alles andere als "demokratisch". Bei einer mageren Stimmbeteiligung von knapp 20% finde ich es übertrieben von einer "grossen Mehrheit" zu sprechen (angesichts der 22 Mio. Unterschriften und um die 30 Mio. Demonstranten). Die Wahlen (Präsidentschafts- wie auch Parlamentswahlen) wurden manipuliert, nur interessiert das niemanden im "demokratischen" Europa

    2. Aus Morsi's Verhalten war nicht zu schliessen, dass unter ihm je wieder Präsidentschaftswahlen stattfinden würden. Von Parlamentswahlen war auch keine Rede mehr.

    3. Morsi war alles andere als ein Demokrat (siehe seine handgestrickte Verfassung, siehe sein Aufruf zum heiligen Krieg...)

     

    Ich hab die vergangenen 7 Jahre in Ägypten gelebt, und weiss also wovon ich schreibe. Wenn Europa jetzt aufeinmal so begeistert ist von den Islamisten, weshalb bekämpft ihr sie denn in eurer Heimat? Ihr könnt Morsi gerne Asyl gewähren und bei den nächsten Wahlen kandidieren lassen, mal schauen, wieviele Stimmen er bei euch kriegt.

  • P
    Pfefferminztee

    Vielen Dank! Endlich mal jemand vom Fach zum Thema!

  • D
    dirtdiver

    Man hat in Ägypten, wie in vielen anderen Ländern der Welt immer nur die Wahl zwischen Pest und Cholera.Es sind hier auch eher nicht die westlichen Maßstäbe an die Demokratie anzulegen. Die Bevölkerung hat sich z.B. in den letzten 30 Jahren fast verdoppelt. Die werden ganz andere Sorgen haben als wir.

    Im übrigen bedeutet Demokratie auch nicht, dass Leute, die mehrheitlich des Lesens und Schreibens kaum kundig sind, bunte Zettel in Wahlurnen werfen.

    Demokratie bedeutet die immer die latente Gefahr, dass Rattenfänger wie Mursi mittels Wahlen die vorhandene rudimentäre Demokratie abschaffen.

    Wir im Westen können nur darauf hinwirken, dass die demokratische Entwicklung in Ägypten weitergeht und irgendwann einmal eine echte Demokratie entsteht.

    Wirtschaftshilfe nur gegen ein Mehr an Demokratie.

    Eine andere Hoffnung kann man derzeit nicht haben.

  • H
    Herold

    Die These ist: die Menschen erkennen die negativen Aspekte der Muslimbrüder und wenden sich gegen sie in Wahlen - eine Aushöhlung der Muslimbrüder. Diese These nimmt aber Mord, Gewalt und die Vernichtung und Minimierung Andersdenkender in Ägypten in Kauf.

    Ich habe mit der Kirche nichts am Hut. Als Ägypter hätte ich mit Moslembrüdern nichts am Hut. Das Selbststudium der Bibel über viele Jahre hat mir gezeigt: die Kirchen lügen. Sie verkünden nicht die Prophetenworte. Aber wie die Bibel bietet der Koran sehr viele Möglichkeiten einen Glauben nach eigenem Dünken zu entwickeln, Gruppen zu bilden (Religionsgemeinschaft) und den Glauben den Mitmenschen aufzuzwängen - notfalls mit Gewalt. Wie einst mächtige Kirchen in Europa den Menschen den Glauben mit roher Gewalt aufzwängten, auch in Amerika, und jegliche Abweichung brutalst verfolgten, so sehe ich die große Gefahr in Moslembrüderschaften. Aber diese Brüderschaften sind eben da. Was machen? Ein Staat muss Neutralität gewähren. Eine echte Demokratie kann nur auf Neutralität des Staates in religiösen Fragen basieren. Wenn Brüderschaften zur Gewalt aufrufen, muss ein vernünftiger Staat das eindämmen. Und wenn diese Brüderschaften den Staat leiten, ist es meiner Meinung nach richtig einzugreifen. Die Moslembrüder entsprechen für mich der Kaste die ich Priesterkaste nenne. Wer z.B. die Bibel ließt erkennt: auch der Prophet Jesus kämpfte gegen die Priesterkaste. Er war auch gegen die Schaffung einer neuen Priesterkaste. Der Koran ruft nicht zu Gewalt gegen Menschen und Unterdrückung auf, die Gebote einer Religionsgemeinschaft nicht befolgen, denn die Religionen, die Priesterkaste, bieten nur die Auslegung dieser Bücher und fordern zum Zweck der Machtausübung die Befolgung dieser Auslegung. Diese Bücher sind für jeden Einzelnen konzipiert. Die Hoffnung, jeder möge selbst erkennen und den Anderen friedlich selbst erkennen lassen, ohne Manipulation und Gewalt steckt dahinter. Aber niemand muss sich damit beschäftigen.

    Hier ein interessantes Video, das man ohne Scheuklappen sehen sollte. Was sagt der Mann? Er ist sehr gebildet, wirkt erstmal heftig, aber er er will nur aufklären. Vielleicht deswegen wird ihm Böses unterstellt:

     

    http://www.youtube.com/watch?v=aIhK2yxzUng

     

    Wer über die Kirchen etwas erfahren will, die ich als Priesterkaste zwecks Machterhalt sehe, der lese:

     

    theologe.de

     

    von Theologen die aufklären.

     

    Das ist kein Aufruf zu irgendeiner Religion überzutreten, sondern der Aufruf, sich mit den Büchern zu beschäftigen und sich seine eigene Meinung zu bilden. Ob man glauben will oder nicht, damit hat das nichts zu tun. Es muss endlich aufhören damit, Menschen wegen anderer religiöser Ansichten zu verfolgen und gegenseitig aufzuhetzen. Wir leben im 21. Jahrhundert verdammt. Diese altbackenen Vorgehensweisen müssen endlich überwunden werden, eine Demokratie kann auf religiöser Intoleranz nicht fußen.

  • R
    reblek

    Bildunterschrift: "Bild vergangener Tage: Mohammed Mursi (hinten, 2. v. r.) umringt von Männern in Anzügen." - Kaum, ich sehe keinen einzigen Mann "in Anzügen", sondern nur Männer in einem Anzug.

  • L
    Leo

    Der Artikel fasziniert durch ein überzeugtes und entschiedenes Sowohl-Als-auch. Islamisten, auch demokratisch an die Macht gekommen, handeln nicht demokratisch. Dabei ist die Verallgemeinerung zu entschärfen und zuzuspitzen: Jeder, der demokratisch an die Macht kommt, kann dann, wenn es keine entsprechende Verfassung in dem Lande gibt, die dann auch geschützt und durchgesetzt wird, die Demokratie zerstören. Und ein differenzierteres Demokratieverständnis, als daß die Mehrheit machen kann, was sie will, können wir ja offenbar auch in der EU nicht gewährleisten, Stichwort Ungarn und die urdemokratische EVP-Fraktion.

    Letztendlich wird man jegliche Option nach einem einzigen Kriterium beurteilen können: Was bietet die größere Chance für eine positive, d.h. demokratische Entwicklung. Und da vertraue ich den Oppositionellen in Ägypten, die Mubarak und Mursi überrollt haben, mehr, als den Theoretikern in der Deckung ihrer Schreibtische. Wie Ägypten ausgesehen hätte nach weiteren drei Jahren Mursi-Regierung oder nach einem Bürgerkrieg mit anschließendem Guerilla-Kampf - braucht man da soviel Fantasie?

  • OA
    o aus h

    Was heißt „Al-islam huwa al-hall“?

  • P
    pedro

    ...auch demokratie kann nicht von heute auf morgen entstehen.wir sitzen hier an unseren schreibtischen, schlürfen milchkaffee und sagen den anderen wie demokratie funktioniert. etwas mehr nachsicht bitteschön und sorry, aber wie lange hätte man noch warten sollen??? Empört euch!!

  • R
    Reinaldo

    Es gab einmal ein Deutschland in dem eine Partei im März 1933 zwar mit 43,9% nicht die absolute Mehrheit erreichte, aber doch so fest im Sattel saß,daß sie die Demokratie recht schnell aushebeln konnte.

    Die Hintergründe waren zwar etwas anders als im heutigen Ägypten, aber meine Hochachtung vor dem Teil des Volkes das rechtzeitig begriffen hat woher der Wind weht.

    Den für sie richtigen Weg müssen sie sicher selber finden, aber von einem falschen Pfad haben sie sich hoffentlich befreit,denn die führenden Männer im Militär wären am Ende dieser Legislaturperiode sicher andere gewesen,der Iran hat dies vorgemacht.

    Diesem mutigen Volk bleibt nur zu wünschen,daß es die Männer findet die seine demokratischen Vorstellungen verwirklichen können.

  • M
    Mhm

    Märtyrer? Ja gut, so kann man argumentieren. Aber in der Türkei werden seit Erdogan an der Macht ist alle Kritiker beseitigt. In Gefängnisse gesteckt usw. Der Erdoganstaat geht da auch nicht zimperlich vor. Hier gibt es keinen Aufschrei, das mache die Opposition, die säkularen Kräfte zu Märtyrern. Komisch, auch Westerwelle hat sich hierzu nie kritisch geäußert, wie jetzt gegen die Ägypter die das Moslembruderregime beseitigten. er könnt esich daran erinnern, dass die USA mit dem Diktator Pinochet auch einst ein demokratisches Regime stürzten. Wo war hier der Aufschrei bzgl Märtyrer? Ach ja, war ja damals... Solange jemand demokratisch gewählt wird kann er tun und walten wie er will, oder wie, zumindest wenn es den Interessen der USA dient? Und naja, elektronische Wahlmaschinen wie in der Türkei, bieten der Vorstellung halber halt auch Manipulationsmöglichkeiten, in Ägypten war das aber wohl anders... Ich fände es übrigens auch mal schön, wenn die Taz z.B den Vorwürfen nachgeht, oder eigentlich ist es quasi bewiesen, dass in der ersten Revolution seinerzeit die USA massiv Gas an Ägypten lieferten, dass die Menschen, die Protestanten, vielfach tötete. Ein Gas das die Haut benetzte, Lungen zerstörte usw. Und dann würde ich mir von einer Zeitung wie der Taz, die, was ich ja gut finde, für Menschen- und Frauenrechte, Antirassismus einsteht, auch mal wünschen, dass hinterfragt wird, warum die USA immer Islamisten und Fundamentalisten wie z.B auch in Syrien stützen und fördern.

  • W
    Wolfgang

    Ohne eine höhere qualitative, quantitative und materielle Wertschöpfung und Umverteilung, ohne die Überwindung und Aufhebung der privaten Eigentumsverhältnisse an den gesellschaftlichen Produktionsmitteln, dazu gehört auch die entschädigungslose Enteignung der hohen Militärs, gibt es für die Bevölkerungsmehrheit in Ägypten keine Erhöhung des Lebensstandards, sondern nur eine weitere Verarmung.

     

    Die Erhöhung des allgemeinen Lebensstandards für die werktätigen Völker in der arabischen Welt, einschließlich Ägyptens, erfordert eine grundlegende Umwälzung der (dortigen) privaten Eigentumsverhältnisse; vor allem auch in Saudi-Arabien, in den VAE und Katar (- ebenso auch in Kuweit).

     

    Auch die Beseitigung der sozialökonomischen Erbfolge - und damit die Beseitigung der Monarchien, ist überfällig. Die islamische Welt braucht die soziale Revolution. Es gibt keinen anderen Weg zur Lösung der sozialen und gesellschaftspolitischen Probleme, als die gewaltsame soziale Revolution (auch) in Ägypten!

  • AU
    Andreas Urstadt

    Eine Professur legitimiert nicht, nur immer wieder der Inhalt selbst.

     

    Es galt vor ueber einem Jahr schon das Wort, die

    Muslimbrueder sollen mal schoen regieren, die werden abwirtschaften und dann von selbst erledigt sein.

     

    Typisch fuer viele Akademiker bietet die Professorin keine Empathie:

     

    Vervielfachung der Vergewaltigungsrate

     

    Energiemangel

     

    Langes regelmaessiges Abschalten der Stromversorgung

     

    Treibstoffmangel mit langen Warteschlangen an Tankstellen

     

    Steigen der Arbeitslosigkeit

     

    Gebuehren fuer Schulen (vorher frei)

     

    Lohnrueckgang

     

    Aussetzen von Lohnzahlungen wg mangelnder Liquiditaet

     

    Polizei arbeitet nur rudimentaer

     

    usw usw usw

     

    Und dann dazu Islamisierung

     

    Die Leute haben ein Recht, Unfaehigkeit aus dem Amt zu jagen.

     

    Die Tourismuszahlen gingen bereits um 4 000 000 zurueck, Tendenz war fallend.

     

    Ein grosser politischer Doppelfehler in einer Woche, die anhaltende Nachsicht mit den USA und die falsche Einschaetzung mit Aegypten. Die Wahl legitimiert nicht, nur die taegliche Arbeit. Mursi ging arrogant und chauvinistisch gegen alle andern um. Die Leute haben das Recht so einem sturen Bock den Tritt zu verpassen. Den Herrn und die Brueder noch zu verteidigen ist unmenschlich.

     

    Verboten wurde die Konrad Adenauer Stiftung, Mitarbeiter wurden zu Haftstrafen verdonnert, wer so ein Regime verteidigt ist plem plem.

     

    Das Militaer wurde bejubelt, verhielt sich auf Basics. Unfaehigkeit muss entmachtet werden koennen. Essays helfen den Leuten nicht.

     

    Das Essay spekuliert munter drauf los, Basics werden nicht mitgeliefert.

     

    Den Kraftkleber zwischen Mursis Hintern und seinem Amtssessel braucht in Aegypten niemand. Mursi redete sogar vom Jenseits, fuer Islamisten ist ja das das Mass und nicht die Gegenwaertigkeit. Islamisten sind leidensfaehig im Diesseits, den andern ist das nicht zuzumuten.

     

    Die USA waren an einer strategischen Einheit mit Saudi Arabien interessiert, Aegypten faellt da zum Glueck wieder raus. Die Saudis sind im eigenen Land brutale Knechte.

     

    Mich wundert die US Linie der taz.

  • D
    D.J.

    Ich pflichte der Autorin in weiten Teilen bei. Auch wenn ich mich wiederhole - abgesehen vom Schaden für das demokratische Bewusstsein -, die frommen Phrasendrescher hätten noch länger und damit deutlicher zeigen müssen, dass die es nicht können. Ohne das bis zum bitteren Ende (der Wahlperiode) durchgezogene Versagen wird es Dolchstoßlegenden geben. So befürchte ich algerische Verhältnisse wie in den 90ern (vielleicht schlimmer; die Algerier sind im Durchschnitt besser gebildet).

  • A
    anke

    Wie man "Islamisten gegenüber glaubhaft vertreten" will, dass sie sich "an demokratische Spielregeln halten sollen, wenn man sie selbst im kritischen Fall nicht beachtet oder schlicht ignoriert"? Ganz einfach, Frau Amirpur. So, wie das Militär, die Demonstranten, diverse Uni-Leitungen und Millionen andere Patriarchen überall auf der Welt es seit Menschengedenken getan haben, tun und tun werden – mit Macht. Unter Missbrauch der eigenen Stärke und unter Ausnutzung der Schwäche anderer also.

     

    Nein, die Demokraten sind keine Liberalen und die Liberalen keine Demokraten. In Ägypten nicht, in Deutschland nicht, in den USA nicht und an der Uni Hamburg auch nicht. Man muss wohl schon sehr mit seinen islamischen Studien beschäftigt sein, um das Offensichtliche so gar nicht zu sehen. Neu denken allerdings müsste man als echter Demokrat nicht nur grundsätzlich, sondern vor allem praktisch. Noch hat die Aufklärung, die vor 300 Jahren gedacht worden ist, die virtuelle Realität der Gelehrten gar nicht verlassen. Es wird Zeit, finde ich, dass sie endlich zu leben beginnt.

  • S
    Störtebekker

    Das Mursi weg ist, ist ein Segen fürs Land.

    Religiöse Nazis gehören in den Lokus der Geschichte. Dies war mal ein guter Putsch. Im Volksinteresse!!!

    Hätte man 1933 in Deutschland auch so machen sollen.

    Es war so ein Putsch wie damals in Portugal. Super!