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Verfassungsschutzchef Maaßen zu Prism„Keine Spionage im eigentlichen Sinn“

Das Programm der NSA verstößt nicht gegen deutsche Interessen, sagt der oberste Verfassungsschützer. Einen Ausspähpakt mit den USA gibt es nicht, sagt Maaßen.

Hans-Georg Maaßen: „Bisher haben wir keine Hinweise, dass fremde Dienste Zugang zur Kommunikationsinfrastruktur in Deutschland haben.“ Bild: dpa
Interview von Wolf Wiedmann-Schmidt

taz: Herr Maaßen, das Institut Allensbach fragt regelmäßig nach dem Ansehen von Berufen. Vorne landen Ärzte, weit hinten Politiker und Banker. Was glauben Sie, wo würden Verfassungsschützer landen, wenn nach ihrem Ansehen gefragt würde?

Hans-Georg Maaßen: (lacht) Ganz oben!

Das meinen Sie jetzt nicht ernst.

Mir ist wichtig, dass wir bei der Bevölkerung wieder an Ansehen gewinnen. Es gab immer wieder schwere Zeiten für das Bundesamt für Verfassungsschutz, aber der vergangene Sommer war sicherlich besonders schwer. Und zwar sowohl was die öffentliche Wahrnehmung betraf, als auch wie wir uns fühlten. Insgesamt aber bin ich mir sicher: Die Mehrheit der Gesellschaft weiß, dass wir den Verfassungsschutz brauchen.

Als Ihr Vorgänger Heinz Fromm im Sommer 2012 zurücktrat, wählte er drastische Worte. Es sei schwierig, wieder das Vertrauen in den Verfassungsschutz herzustellen, „wenn es überhaupt geht“. Und Sie sagen nun, das sei Ihnen in nur einem Jahr wieder gelungen?

Vertrauen kann man sehr schnell verspielen, wie wir nach dem Aktenschreddern im letzten Jahr feststellen mussten. Schwieriger ist es, Vertrauen wiederzugewinnen. Ich glaube aber, dass wir durch einen offensiven Umgang mit dem Parlament und der Presse wieder einiges an Vertrauen herstellen konnten.

Im Interview2Inews: 

Der 50-Jährige ist seit einem Jahr Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz. Nach seinem zweiten Staatsexamen als Jurist ging er 1991 ins Bundesinnenministerium. Dort war er zuletzt für Terrorismusbekämpfung zuständig. Nach dem Rücktritt seines Vorgängers Heinz Fromm wegen der NSU-Akten-Affäre übernahm Maaßen am 1. August 2012 das Amt – und versprach einen Neuanfang.

Es ist nie ganz geklärt worden, warum ein Verfassungsschutzmitarbeiter gleich nach Auffliegen des NSU die Akten mehrerer V-Leute in der Neonaziszene vernichtet hat.

Aber diese Schredderaktion hat uns zu großer Transparenz geführt: Wir und auch ein Ermittlungsbeauftragter des Bundesinnenministeriums sind der Sache intensiv nachgegangen. Die Untersuchungen haben ergeben, dass es sich um Fehlverhalten eines einzelnen Mitarbeiters handelte.

Keine Vertuschung?

Das kann ich ausschließen. Auch die Staatsanwaltschaft hat ihr Verfahren eingestellt.

Im jüngsten Verfassungsschutzbericht heißt es, „Hauptträger der Spionageaktivitäten gegen Deutschland“ seien Russland und China. Wird nach Edward Snowdens Enthüllungen im nächsten Bericht stehen, dass auch die USA die Deutschen ausspähen und massenweise unsere Daten abgreifen?

Die USA spionieren nicht gegen Deutschland, um das ganz klar zu sagen. Wenn Prism bedeutet, dass die USA in den USA Daten erheben und auf einem amerikanischen Server speichern, hat dies im eigentlichen Sinne nichts mit Spionage zu tun. Spionage wäre es, wenn in Deutschland gegen deutsche Interessen durch den amerikanischen Staat agiert würde. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte.

Es steht aber doch der schlimme Verdacht im Raum, dass einer der weltweit größten Internetknoten in Frankfurt am Main angezapft und die Daten an die NSA oder sein britisches Pendant GCHQ abgeleitet werden.

Bisher haben wir keine Hinweise, dass fremde Dienste Zugang zur Kommunikationsinfrastruktur in Deutschland haben.

„Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus.“ Wissen Sie woher das stammt?

Nein.

Aus dem Verfassungsgerichtsurteil von 1983, in dem das Grundrecht auf „informationelle Selbstbestimmung“ formuliert wurde. Was unternehmen Sie denn als Verfassungsschützer, wenn ausländische Dienste sich einen Dreck um den deutschen Datenschutz scheren?

Wenn wir Anhaltspunkte dafür haben, dass in Deutschland unrechtmäßigerweise Daten durch ausländische Staaten erhoben werden, dann ist das natürlich von großem Interesse für uns und im Zweifel auch strafrechtsrelevant.

Und wenn diese Daten im Ausland abgegriffen werden?

Wenn man bei Facebook Informationen postet, sollte man sich bewusst sein, dass es nach US-Recht für die amerikanischen Behörden möglich ist, Zugang zu diesen Daten zu bekommen, weil sie auf einem amerikanischen Server liegen. Dasselbe gilt, wenn man sein E-Mail-Postfach bei einem US-Anbieter hat.

Ihr Rat: T-Online statt Google-Mail, StudiVZ statt Facebook?

Jeder muss sich im Klaren sein: Eine E-Mail zu verschicken, ist so wie eine Postkarte zu verschicken. Und wenn persönliche Informationen ins Ausland gegeben werden, gilt nun mal ausländisches Recht. Man sollte das Thema aber auch nicht auf die USA verengen. Es gibt ganz andere Staaten, die keine Datenschutzbestimmungen, aber Interesse an unseren Daten haben und deshalb gegen uns operieren. Außerdem: Wir haben kaum Einflussmöglichkeiten darauf, wie ausländische Satelliten gesteuert werden und ob irgendwo auf der Welt Unterseekabel angezapft werden.

Ihrem Amt und dem BND wird vorgeworfen, mit der NSA bei der Ausspähung der Bürger zu paktieren und eine mächtige Spionagesoftware der NSA einzusetzen, X-KeyScore.

Selbstverständlich setzt das Bundesamt für Verfassungsschutz Analyseprogramme ein und testet neue, aber immer auf der Grundlage der geltenden Gesetze. So ist es auch mit dem Programm X-KeyScore, das derzeit anhand bereits rechtmäßig erhobener Daten des Bundesamts als Stand-alone-System getestet wird. Bei diesen Daten handelt es sich um Daten, die wir zuvor rechtmäßig nach dem G-10-Gesetz erhoben haben …

das Gesetz, das es den deutschen Diensten erlaubt, Telefone von Verdächtigen abzuhören oder ihre E-Mails mitzulesen.

Genau, immer eben auf rechtlicher Basis. Die NSA hat uns diese Software zu Probezwecken zur Verfügung gestellt. Wenn die Testphase abgeschlossen ist, entscheiden wir, ob wir sie dauerhaft einsetzen.

Und liefern als Dankeschön Daten deutscher Überwachungsmaßnahmen an die USA?

Nein! Es gibt keinen Ausspähpakt mit der NSA. Wenn Daten im Einzelfall ausgetauscht werden, erfolgt dies auf Basis der gesetzlichen Übermittlungsvorschriften.

Die NSA verteidigt ihre Überwachungsprogramme damit, dass seit 9/11 angeblich 50 Terrorpläne weltweit durchkreuzt worden seien. Wie viele und welche Anschläge wurden denn nun durch Hinweise der NSA in Deutschland vereitelt?

Fakt ist, dass Anschläge verhindert wurden, auch durch den ein oder anderen Hinweis aus den USA. Ich finde es fast schon perfide zu spekulieren, wie viele Leben gerettet wurden.

Warum benennen Sie nicht konkret alle Fälle?

Ich darf diese Fälle nicht nennen, weil sie nach wie vor als geheim eingestuft sind. Die amerikanischen Kollegen haben uns geholfen, eine ganze Reihe von Fällen aufzuklären. Teilweise in einem Frühstadium, teilweise wurden aber auch konkrete Anschlagspläne verhindert und Terroristen festgenommen.

Warum sind Sie Verfassungsschutzpräsident geworden?

Ich habe das Amt in einer schwierigen Situation übernommen, weil ich das Amt für wichtig halte und ich hier etwas neu mit aufbauen kann.

Was war die wichtigste Reform Ihres ersten Jahres?

Die wichtigste Reform war, dass wir Reformen eingeleitet haben. Dass wir gesagt haben: Wir müssen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Wir füllen nicht nur unsere Akten und arbeiten einfach für uns, sondern für unsere Kunden: für die Bundesregierung, die Öffentlichkeit und die Polizei.

In einer Broschüre zu Ihren Reformen präsentieren Sie auf Seite eins ein Schild, das nun erstmals vor dem Bundesamt in Köln angebracht wurde. Das ist Ihre Transparenzoffensive?

Das Schild ist ein Symbol dafür, dass wir eine Änderung der Mentalität in unserem Haus anstreben. Wir müssen Informationen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, auch nach außen geben.

Der Verfassungsschutz „unterrichtet intensiv und proaktiv die parlamentarischen Gremien“, heißt es in Ihrer Broschüre weiter. Das heißt im Umkehrschluss: Bisher wurde der Bundestag wenig unterrichtet und nur, wenn die Abgeordneten darauf drängten?

Wir haben bisher natürlich im Rahmen der gesetzlichen Pflichten die Kontrollgremien des Parlaments unterrichtet. Nun gehen wir auf einzelne Abgeordnete zu und bieten ihnen Informationen zu aktuellen Themen an. Zum Beispiel über neue Entwicklungen im Rechtsextremismus oder Reisebewegungen deutscher Islamisten nach Syrien.

Wie verorten Sie sich politisch?

Als Realist. Ich versuche das Leben und die Menschen so zu begreifen, wie sie sind. Ich habe Probleme mit Leuten, die sich die Dinge so zurechtschneidern, wie sie sie gerne hätten. Manchmal ist das Leben nicht angenehm. Nur wenn man das begreift, kann man die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.

Was ist für Sie die größte Gefahr für unsere Demokratie?

Das Auseinanderfallen der Gesellschaft. Das Auseinanderklaffen von sozialen Schichten, mangelnde Integration und vielleicht auch die mangelnde Identifizierung mancher Bevölkerungsgruppen mit der Politik sind für mich große Probleme. Dies führt letztendlich dazu, dass es stärkere Ränder und auch Extremisten gibt.

Für Zusammenhalt zu sorgen, ist weniger die Aufgabe des Verfassungsschutzes.

Wir müssen uns aber um die Probleme kümmern, zu denen dieser mangelnde Zusammenhalt führt. Wir sehen das sowohl bei Islamisten als auch bei Rechtsextremisten. Das sind vielfach junge Männer, die während der Pubertät, im Elternhaus oder während der Ausbildung Schwierigkeiten hatten und in den Extremismus abgeglitten sind. Der Verfassungsschutz und die Polizei müssen sich dann mit den Folgen beschäftigen.

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