piwik no script img

Überwachung und TerrorismusAlgorithmus Allah

Es kann jeden treffen. Das Individuum existiert in der Logik der Überwachung nicht. Darin ähnelt sie der Logik des Terrorismus.

Individuen? Gibt's hier nicht. Bild: getty images

Für die Demokratie ist es eine großartige Nachricht: Es gibt keine Privilegien für die Mächtigen. Angela Merkel wird vom amerikanischen Geheimdienst NSA ebenso abgehört wie du und ich. Aber warum freut sich dann niemand?

Vielleicht, weil Angela Merkel nichts von einer Terroristin hat. Viele Deutsche finden die Kanzlerin nett. Sie backt Streuselkuchen. Wenn es nette Streuselkuchenbäckerinnen (und nun sogar auch Päpste) treffen kann, dann kann es doch jeden treffen. Oder?

Es kann jeden treffen. Was wir aus den Snowden-Enthüllungen über die Praxis der westlichen Geheimdienste wissen, bestätigt das. Möglichst lückenlose Überwachung wird angestrebt, und wo ein Dienst das nicht selbst darf, hilft ein befreundeter aus.

taz am Wochenende

Monsanto gibt auf: 2013 wurde in Deutschland keine gentechnisch veränderte Pflanze angebaut. Die Geschichte dieses Konsumkriegs lesen Sie in der taz.am wochenende vom 2./3. November 2013 . Terror und Überwachung haben eins gemeinsam: Sie können jede treffen. Und: "Die Sendung mit der Maus" atmet den Geist von '68, sagt Christoph Biemann. Außerdem: Der Mensch in der Revolte - In ein paar Tagen wäre Albert Camus 100 geworden. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Aus dieser Perspektive ist jeder Mensch also ein potentieller Schuldiger. Wir sind ein Kollektiv von Verdächtigen, ein Ameisenhaufen, ein bedrohliches Wimmeln. Das Individuum, eigentlich die Grundlage einer modernen demokratischen Gesellschaft, existiert in dieser Draufsicht nicht.

Ironischerweise hat die Überwachung damit einen grundlegenden Mechanismus mit dem gemein, vor dem sie die Menschen in den USA und der Europäischen Union vorgeblich beschützen soll: dem Terrorismus.

Ein Kollektiv von Feinden

Der Terror, mit dem sich die USA – und damit irgendwie wir alle – im Krieg befinden sollen, verbreitet Angst nicht allein durch die schiere Opferzahl. Terror ist immer auch Kommunikation. Und eine Kernbotschaft des Terrors von al-Qaida und ähnlich ausgerichteten Terror-Organisationen heißt: Es kann jeden treffen. Denn für uns seid ihr – der Westen, die Ungläubigen – ein Kollektiv von Feinden.

New Yorker Hochhäuser, spanische Züge, Londoner U-Bahnen, die Marathonstrecke von Boston – das waren einst Orte, wo sich Menschen sicher fühlten. Dann flogen die Flugzeuge ins World Trade Center, explodierten die Bomben. Selbst in Deutschland, obwohl bisher ohne solche Attentate, wurde diese Botschaft verstanden. Das sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr veröffentlichte 2011 eine Studie derzufolge sich 42 Prozent der Befragten vor Anschlägen fürchteten, über 70 Prozent waren im gleichen Jahr in einer Befragung von ARD und Infratest dimap der Meinung, es werde auch in Deutschland Anschläge geben.

Wir sind überall, sendeten die selbsternannten Glaubenskrieger. Und die Staaten, die sich angegriffen sehen, sendeten zurück: Wir auch.

Geheimdienste tendieren auch ohne Anschläge dazu, so viel wie möglich über echte und vermeintliche Gegner und Gegnerinnen zu sammeln. Aber das Diffuse des Terrors – dein Nachbar kann ein Schläfer sein – verschaffte ihnen eine viel stärkere Legitimation. Gegen das wahnhafte Streben der Attentäter und ihrer Hintermänner, ihre angeblichen Feinde auszumerzen, setzten die Dienste eine ebenso angeblich unhinterfragbare Überzeugung: Für eure Sicherheit müssen wir alles wissen. Was letztlich wiederum bedeutet: Jeder muss überwacht werden.

Am deutlichsten senden die Dienste ihre Botschaft in den Ländern, wo die Drohnen fliegen. In Pakistan zum Beispiel hängen Überwachung und Tod unmittelbar zusammen. Wer als Feind identifiziert wird, stirbt. Die Folgen lassen sich im Report „Living under drones“ nachlesen, viele befragte Pakistani hatten andauernde Angst. Die Furcht, es könne jederzeit so weit sein.

Die Drohung gilt für alle

Vergleiche sind keine Gleichsetzungen. In Deutschland, in den USA sterben keine Menschen durch Überwachung. Aber die Fälle, in denen jemand zwischen die Fronten des angeblichen „Kriegs gegen den Terror“ geraten kann, nehmen zu. Die Drohung, es könne jeden treffen, mag eigentlich für Terroristen bestimmt gewesen sein. Inzwischen hören sie auch andere. Nämlich alle, die von den Snowden-Enthüllungen lesen. Die Berichterstattung über beide Phänomene unterliegt diesem Dilemma: Die Berichte sind notwendig, sie machen aber auch die Botschaften von Terroristen und Überwachern stärker.

Und es gibt Menschen, die bereits die nächste Stufe erlebt haben, die strafende Hand des Überwachungsstaates. Bekannt werden derzeit vor allem Berichte von Leuten, die wissen, wie sie sich Öffentlichkeit verschaffen: Bollywood-Star Shah Rukh Khan – stundenlang an einem Flughafen nahe New York verhört. Der Schriftsteller Ilja Trojanow – Einreiseverbot in die USA. Der Musiker und Journalist Johannes Niederhauser – in den USA verhört und nach Europa abgeschoben.

Trojanow weiß nicht, warum er nicht einreisen durfte, Niederhauser schreibt, keine Ahnung zu haben, was ihm vorgeworfen wird. Wie auch. Der Kausalzusammenhang – ich habe etwas falsch gemacht, deshalb bist du hinter mir her – ist von gestern. Diesem Prinzip folgt Überwachung nur noch bedingt. Wie Terror haftet ihr und ihren Folgen heute stattdessen etwas Schicksalhaftes, Unhinterfragbares an. Eine geheime, über allem stehende, unberechenbare Macht.

Islamistische Terroristen machen bei ihren Feinden ein Verhalten aus, das nicht ihren Vorstellungen entspricht: Wer trinkt Alkohol? Wer macht sich westlicher Dekadenz schuldig? Wer ist demzufolge der Feind? Ihr Gott, Allah, den viele andere Gläubige als friedlich ansehen, dient ihnen als Chiffre für das Aufspüren und Ahnden von Abweichungen. Die Normen setzen sie.

Ein Kollektiv Überwachter

Auch die NSA sucht in ihren riesigen gesammelten Datenmengen nach Abweichungen vom angenommenen Normalverhalten. Für das Spionageprogramm Prism tun das Algorithmen, Roboter aus Software.

Schon die Rasterfahndung nach der RAF funktionierte nach diesem Prinzip. Damals in den 1970ern fragten die Ermittler nach folgender Abweichung: Wer bezahlt seine Stromrechnung bar und unter falschem Namen? Sie beschlagnahmten die Kundendateien von Stromwerken, suchten alle Barzahler heraus und glichen diese unter anderem mit Melderegistern und Versicherungsunterlagen ab. Wer dort nicht gefunden wurde, hatte offenbar einen falschen Namen angegeben. Und war damit ein potenzieller Terrorist. Neu ist das Vorgehen also nicht, aber leistungsfähige Software und bis noch vor Kurzem unvorstellbare Speicherkapazitäten lassen komplexere Abgleiche und Korrelationen zu.

Wer soll dagegen schon ankommen?

Der Unterschied: Terror ist die Waffe der Unterlegenen. Dem Algorithmus Allah und seinen Vollstreckern fehlen die Rechenkapazitäten und die Macht, um weltweit eine ähnliche Kontrolle aufrechtzuerhalten, wie es die USA und ihre Verbündeten können. Diese Macht wird dadurch noch stärker, weil die großen monopolartigen Kommunikationskonzerne wie Facebook und Google ihre Datenmengen mit den Überwachungsdiensten – freiwillig oder nicht – teilen. Welch eine Allianz, wer soll dagegen ankommen? Die Frankfurter Allgemeine Zeitung fragte bereits: Halten sich die Geheimdienste für Gott?

Gott war die Kontrollinstanz für den Menschen, bis er von diesem selbst und seinem Gewissen abgelöst wurde. Überwachung ist die perfekte Kombination aus beidem – für den normalen Menschen undurchschaubare Macht plus Selbstkontrolle. Überwachung und Terror säen beide Unsicherheit. Welches Verhalten ist richtig, welches falsch? Menschen stellen ihr Leben aus Furcht vor Vergeltung um: Sie meiden bestimmte Plätze oder Veranstaltungen, sparen sich Witze oder Kunstwerke, die das Risiko bergen, ein bombenbepackter Muslim könne sich eines Tages dafür rächen.

Und Menschen, die Angst vor Überwachung haben, lesen bestimmte Texte im Internet nicht, schauen Videos nicht an – der Überwacher könnte es später gegen sie verwenden. „Chilling Effect“ heißt das im Fachjargon, vorauseilender Gehorsam, Schere im Kopf.

Bisher jedoch ist von einer paralysierten Gesellschaft angesichts von Terror und Überwachung noch nicht so viel wahrzunehmen. Es überwiegt Gelassenheit und Gleichmut. War doch klar, dass die Geheimdienste alles überwachen, heißt es dann nach neuen Snowden-Enthüllungen. Von dieser Coolness berichteten Medien auch nach den Anschlägen auf die Londoner U-Bahnen. Damals hieß es, die Briten seien durch die IRA eben Terror gewöhnt. Und diese Gelassenheit hat sogar etwas Gutes: Wer nicht einfach nur schockiert ist, kann noch nachdenken. Noch handeln.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • S
    Schramm

    Weltweiter Imperialismus und Kapital-Faschismus ist keine Verschwörungstheorie!

     

    Die Zielsetzung der staatsmonopolistischen Überwachungsgesellschaft, - im Herrschaftsinteresse des (heutigen) nordamerikanischen, eu-europäischen, chinesischen, japanischen und internationalen Finanz- und Monopolkapitals -, bereits vor 1970:

     

    "Was Amerika in unserer Zeit seine einzigartige Stellung verleiht", so Zbigniew Brezezinski, "ist die Tatsache, dass die amerikanische Gesellschaft als erste die Zukunft erlebt ... Amerika ist heute die schöpferische Gesellschaft; die anderen eifern ihr bewusst oder unbewusst nach ... Die übrige Welt braucht nur zu beobachten, was in den Vereinigten Staaten geschieht, um zu wissen, was ihr selbst bevorsteht ..." (1970)

     

    Die Ausdehnung der Monopole und Konzerne über die ganze Welt, die Beherrschung der materiellen und menschlichen Ressourcen aller Länder soll dafür sorgen, dass der kapitalistische "Fortschritt" überall Einzug hält und alle Völker den Weg in die (deutsch-europäische und weltweite) "Soziale Marktwirtschaft" der Finanz-, Rüstungs-, Rohstoff-, Überwachungs- und Monopolbourgeoisien finden.

  • Also ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber Artikel wie dieser machen mir persönlich dann doch schnell eher lähmende Angst.

     

    Auf der anderen Seite geht mir aber auch Folgendes durch den Kopf: Wie wäre es, wenn wir mal unsere Augen öffneten für die Freiheit, die uns dieser Skandal gerade gibt? Hat nicht Angela Merkel immer gesagt, wenn irgendwelche größeren internationalen Verhandlungen anstanden zu Freihandelsabkommen und Ähnlichem: "Wir können da jetzt vor den Verhandlungen keine große gesellschaftliche Debatte drüber führen, weil sonst wissen die Amis doch schon im Voraus, was wir wollen, und das schwächt meine Verhandlungsposition"?

     

    Da können wir doch jetzt ganz einfach sagen: Scheiß drauf. Die Amis kennen die Verhandlungslinie von Frau Merkel eh schon im Voraus. Selbst wenn sie jetzt ihr Handy nicht mehr ausspähen, dann haben sie immer noch ihre Richtmikros in der US-Botschaft aufs Bundeskanzleramt gerichtet. Oder wie oder wo auch immer sie heimlich spähen.

     

    Wenn wir jetzt aber vor solchen Verhandlungen stets eine breite gesellschaftliche Debatte führen, dann dürfte das Merkels Position sogar eher stärken. Dann kann sie nämlich zu Obama sagen: "Die Debatte in unserem Land hat ergeben, dass wir dies und das erreichen wollen; und hier ist unsere rote Linie, mehr sind wir nicht bereit zu geben. Ich möchte gerne wiedergewählt werden, deshalb kann ich nicht weiter gehen."

     

    Das gibt doch auch unwahrscheinlich Freiheit, oder?

  • Zitat: "Und Menschen, die Angst vor Überwachung haben, lesen bestimmte Texte im Internet nicht, schauen Videos nicht an – der Überwacher könnte es später gegen sie verwenden."

    Genau das ist doch der Faschismus am Überwachungsstaat, sein Sinn ist die Manipulation. Nur zwischen Moslem-Terroristen und dem Staatsterrorismus besteht ein Unterschied, die Teroristen terrorisieren alle Westler, das ist eine Auswahl, wie wenn es die Juden oder die definierten Untermenschen wären. Der Staatsterror der Überwachung hingegen terrorisiert alle gleichermaßen und eine Ausnahme wird es demnächst lediglich für Frau Merkel geben.^^

    Würden die Staatsterroristen adäquat vorgehen, wären das Ziel der Ausspähung lediglich alle Moslems. Folglich muss man den Staatsterroristen auch ganz andere Ziele unterstellen. Der Algorithmus ist ein anderer.

  • Doch ich freue mich, dass Merkel nicht anders behandelt wird wie Kreti und Pleti.

    Doch den Diensten sei gesagt:

    Wer immer mehr Heu auf den Haufen wirft, wird die Nadel darin nur sehr schwer finden.

  • W
    Wolfgang

    Moderner Kapital-Faschismus heute!

     

    Die Zielsetzung der staatsmonopolistischen und staatsterroristischen Überwachungsgesellschaft, - im imperialistischen Herrschaftsinteresse des nordamerikanischen und internationalen Finanz- und Monopolkapitals -, bereits schon vor 1970:

     

    Nach Zbigniew Brzezinski werden "die Möglichkeiten, soziale und politische Kontrolle über den einzelnen zu gewinnen, ins Ungeheure wachsen ... Man wird bald imstande sein, jeden Bürger fast ununterbrochen zu überwachen und lückenlose, stets auf den neuesten Stand gebrachte Akten über ihn zu führen, die neben den herkömmlichen Angaben auch höchst persönliche Informationen über seine Gesundheit oder sein Privatleben enthalten. Diese Akten werden den Behörden auf Verlangen blitzschnell zur Verfügung stehen ... Unsere bestehenden Institutionen für Nach-Krisen-Management werden wahrscheinlich zunehmend ersetzt werden durch Institutionen für Vor-Krisen-Management, deren Aufgabe es sein wird, sich anbahnende soziale Krisen im voraus zu erkennen und Programme zu ihrer Bewältigung zu entwickeln. Das könnte in den nächsten Jahrzehnten Tendenzen in Richtung auf eine technokratische Diktatur fördern ..." (1970)

     

    Zbigniew Brzezinski: Amerika im technetronischen Zeitalter, S. 8.

  • O
    otto

    Terrorismus tötet!

  • G
    Georg

    Ja, in der Regel ist es gut einen kühlen Kopf zu behalten. Nur sehe ich den in der derzeitigen Überwachungsaffäre nicht. Denn um einen kühlen Kopf bewahren zu können muss erst mal die Gefahr bestehen das er erhitzt. Und diese Gefahr besteht angesichts der abstrakten Überwachung, die man, wenn überhaupt, nur sehr indirekt wahrnimmt, kaum. Also ist es keine Coolness die vorherrscht, sondern eher eine Uninformiertheit.