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Kolumne SchlaglochSchafft die Kunst ab!

Kommentar von Georg Seeßlen

Der Kunstmarkt brummt: Mein Haus! Meine Yacht! Meine Frau! Mein Warhol! Reiche betreiben ihren Schwanzvergleich mit Kunstwerken.

Das gigantische Museum in Bilbao: Ein wichtiger Standortfaktor für die Region. Bild: dpa

W enn wir derzeit irgendetwas von bildender Kunst wissen, dann das: Der Kunstmarkt brummt! Jede Auktion bringt neue Rekorde, Koons, Munch, Warhol: Millionenschnäppchen für Milliardäre. Art Fairs sind die Playgrounds der Superreichen und ihrer Entourage geworden inklusive der Künstlerfrühstücke für die VIPs und Sammler.

Kunst ist eine der besten Kapitalanlagen und Steuervermeidungsfelder der Welt geworden. Mit Kunst kann man Geld waschen, Erbschaftsteuern sparen und öffentliche Anerkennung erringen. Und noch viel besser spekulieren als mit Aktien. In Feuilletons der „bürgerlichen“ Zeitungen nimmt die Rubrik „Kunstmarkt“ wesentlich mehr Raum ein als Kritiken von Ausstellungen oder gar diskursive Auseinandersetzungen mit neuen Formen des Ausdrucks. Die Kunst spricht fast nur noch durch die Sprache des Geldes zu uns. Aber das tut sie so laut wie nie zuvor.

Während alte und eher bescheiden auftretende Museen und Galerien um ihr Überleben kämpfen, während der Anteil der Künstlerinnen und Künstler, die von ihrer Kunst würdevoll leben können, immer weiter zurückgeht und während postdemokratische Staaten das kulturelle Gedächtnis ihrer Gesellschaften verkommen lassen, haben wir protzige Museumsneubauten und medienträchtige Blockbuster-Ausstellungen.

Rekordverdächtig geht es auch da zu: noch größere Besucherzahlen, noch mehr Städtekulturreisen all inclusive. Während die Kunst zur Kapitalanlage mutiert, verwandeln sich die Künstler in die Kiez-Avantgarde der Immobilienhaie, und Museen werden zu Wahrzeichen der Städtekonkurrenz um kulturelle Standortvorteile. Dem Kunstmarkt geht es so gut wie noch nie. Der Kunst-Kultur geht es so schlecht wie noch nie zuvor. Den meisten Künstlerinnen und Künstlern auch.

Die Kunst galt einmal als eines der hervorragenden Mittel der Befreiung des Menschen. Sie spielte mit den schöpferischen Möglichkeiten des autonomen Subjekts, sie zeigte modellhaft, was Freiheit sein kann. Kunst war Ausdruck der Freiheit, selbst oder gerade dort, wo sie sich von dem Zwang befreite, etwas Bestimmtes ausdrücken zu müssen. Kunst war das Instrument, die Freiheit, die sich der individuelle Künstler nahm, auf den Adressaten zu übertragen, in der Galerie, im öffentlichen Raum, im Museum und, gewiss doch, auch im Salon des „Besitzbürgers“, der sich mit seinem Komplizen, dem „Bildungsbürger“, zum angenehmen Kunstgespräch traf.

Kunst ist immer sehr viel mehr

Gleichzeitig war Kunst immer abhängig von der Ökonomie und von der Macht, da machen wir uns nichts vor. Wenigstens äußerlich. Aber es gehörte zu ihrem Wesen, dass derjenige, der sie sich leisten konnte, sich damit auch eine Verantwortung einhandelte, und dass die Kunst immer sehr viel mehr war als der Privatbesitz der ökonomischen und politischen Elite. Diese haben sich nun aber nicht nur die Kunst angeeignet, sondern auch den Diskurs. Kunstwissenschaft, Kunstkritik, Kunstpublizistik sind so hörig und von ihren Gnaden abhängig, dass sie ihnen genau das als Kunst definieren, was sie als Kunst gebrauchen können.

Es gibt eine simple Ökonomie dieses boomenden Kunstmarktes, der bereits too big is to fail: Das überschüssige Kapital schafft sich ein Spielfeld, auf dem es vollkommen losgelöst walten kann. Eine kleine Clique von superreichen Sammlern treibt sich gegenseitig die Preise in die Höhe. Davon profitiert ein global vernetztes und immer enger mit Banken verflochtenes Kunstbusiness. Kunstkonsum ist zum Schwanzvergleich der Oligarchen geworden. Der Kunstmarkt ist eine böse Karikatur des Kapitalmarkts geworden. Die Banken werden Sammler, die Banken organisieren Kunstanleihen und liefern schließlich die Expertisen darüber, was Kunstwerke wert sind.

Dass im verschärften Neoliberalismus des Jahres 2013 auch der Kunstmarkt nach den Gesetzen und noch mehr nach der Gesetzlosigkeit dieses verschärften, apokalyptischen Kapitalismus funktioniert, das wundert natürlich nicht. Verwundern könnte höchstens, wie wenig die Kunst selbst, die Kritik und der Betrieb dagegen Widerstand leisten. Die Pointe aber ist, dieser neue Anlagestoff entsteht aus einer Fluchtbewegung des Kapitals aus seinem eigentlichen Job, nämlich „in die Zukunft“ zu investieren. Durch Kunst entledigt sich das Kapital von seiner sozialen Verantwortung und geriert sich dabei noch als „Kultur“.

Kunst ohne Freiheit

Diese Ökonomisierung und Privatisierung eines Teils der zeitgenössischen Kunst hat eine schwerwiegende Folge für uns normale Menschen, die sich „für Kunst interessieren“. Der mittlere Sektor oder die Kunst, die sich störrisch gegen diesen Markt zeigen, er verliert an Wert. Die Kehrseite der Superreichen-Kunst ist eine generelle Verarmung der Künstler und nicht zuletzt jener Räume, in denen Kunst und Bürger miteinander kommunizierten, ohne von ökonomischen und politischen Interessen gestört und missbraucht zu werden.

Die Kunst verliert ihren eigentlichen Adressaten, den nach Freiheit, Schönheit und Fantasie verlangenden Menschen, eine Gesellschaft, die sich traut, ästhetische Experimente zu treiben. Sie verliert genau die Leute, die sie weder haben noch konsumieren, sondern verstehen wollen. Wie man Kunst eben so „verstehen“ kann.

Eine Kunst, die sich zum Konsumfetisch der Oligarchen des Weltkapitalismus macht, brauchen wir nicht. Eine Kunst, die die Schere zwischen Armen und Reichen weiter aufmacht, brauchen wir nicht. Eine Kunst, die zum weiteren Instrument der Banken wird, brauchen wir nicht. Eine Kunst, deren Wert nicht durch den Diskurs, sondern durch den Markt bestimmt wird, brauchen wir nicht. Eine Kunst, die die Freiheit des Geldes in der Postdemokratie ausdrückt, brauchen wir nicht. Eine Kunst, die keinen Widerstand leistet, brauchen wir nicht.

PS: Hiermit beende ich meine Trilogie der Abschaffung. Der Kunstmarkt muss sich in Deutschland keine Sorgen machen. Er macht es wie das Feuilleton, nämlich einfach immer so weiter.

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15 Kommentare

 / 
  • A
    ARTCORE

    Die neoliberale Revolution lässt auch den Sklavenmarkt zu, Hauptsache es wird ein Geschäft gemacht!

  • Danke @SARKO :

    "..und Kunst der Gegenwart, die nicht im öffentlichen Raum erscheint, ist für den gesellschaftlichen Fortgang ohne Bedeutung.." ! Grins*= JAA !

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    durch dies Argument wirkt die Logik Herrn Seeslens etwas absurd:

    Denn- durch die Kulturindustrie- wie durch den überdrehten- `rationalkapitalistischen´ Kunstmarkt- erhält die Ästhetische Idee des Kunstwerkes (und somit die Kunst an sich) eine Art richtungsgebenden sozialen Charakter !

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    Seltsam ist, dass der populäre kapitalistische Kunstmarkt in der Idee der Kunst Platons stagniert: "Kunst als reine Ausschmückung des Bestehenden"..als ein Ding um Macht, Status, Prestige, Religion und Ideologie zu schmücken.

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    Die modernen Gedanken Baumgartens, Hegel, Novalis, Nietzsches.. und R.I.P. Herrn Dietmar Kamper (FU Berlin) etc:

    Kunst/Ästhetik und Vernunft/ Wissenschaft als Dualismus sozialer kreativer Kritik und Entwicklung in Staat und Welt zu sehen .. fehlen m.E. in Herrn Seeslens Text!

    Die modernen Ideen der `Freiheit von Künsten und Wissenschaften´ .. wie sie sogar (!) im GG definiert sind..

    ( lebendig in z.B. Graffiti,im experimental theater und Musik aller Art, in Alternativer Forschung etc.)

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    Herr Seeslen beschreibt den Teil der Kunst der Freiheit verloren hat!

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    JA, und ehrende Journalisten-Preise auch abschaffen, ist ebenfalls nur Perlen vor die Säue.

  • K
    kotzbrech

    'Das gigantische Museum in Bilbao' ... eine Pyramide der Gegenwart , gebaut von 'Sklaven' , die sich in einer (menschen-gemachten !) Gesellschaftsordnung namens Kapitalismus selbst versklavt haben : als Lohnsklaven .

  • Was machen die reichen Frauen?

  • A
    anne

    Schwanzvergleiche, meine liebe taz, haben uns immerhun auf den Mond gebracht. Sie sind also eine gute Sache.

     

    Östrogen hingegen bringt uns nirgendwohin.

    • S
      sarko
      @anne:

      Was wollen Sie auf dem Mond , liebe Anne ? Apollo et al war ein Abfallprodukt der Interkontinentalraketen im 'Kalten Krieg'.

      Die alten Griechen hatten schon erkannt : "Der Krieg it der Vater aller Dinge ."

      Und ...- Östrogen - Anne : vielleicht könnten es dereinst 'die Mütter' sein , die bewirken , dass die Menschheit ihre 'Tierheit' abstreift . Von den 'Krieger-Machos' ist das weniger zu erwarten .

  • LK
    langweiliger künstler

    a) "Verwundern könnte höchstens, wie wenig die Kunst selbst, die Kritik und der Betrieb dagegen Widerstand leisten." wehrt sich grundlagenforschung gegen ihre verwertung? nein, es ist schlicht nicht thema der forschung ihren fokus aufzugeben nur weil ein paar meinen sie schädlich anwenden zu müssen. das selbe passiert bei der kunst.

    b) kunst war und ist immer schon ein phänomen der eliten (die hier beschriebene "befreiungswirkung" hat es de facto nur für jene gegeben die es sich leisten konnten), "Das spricht aber, wie auch bei anderen privilegien der herrschenden Klassen, zumindest nicht zwingend gegen den Inhalt des Privilegs, sondern gegen seine ungerechte Verteilung." (D. Diederichsen)

  • G
    gast

    Wenn das auf dem Bild Kunst sein soll, dann bitte schafft sie ab.

     

    Wenn Leute für so etwas auch noch viel zahlen, zeigt, die haben zu viel Geld, das wäre bei den Armen besser angelegt als für solchen Mist.

  • I
    ironimus

    "Die Kunst galt einmal als eines der hervorragenden Mittel der Befreiung des Menschen. Sie spielte mit den schöpferischen Möglichkeiten des autonomen Subjekts, sie zeigte modellhaft, was Freiheit sein kann...."uswusw...

    Schöner hätte das ein Werbefuzzi für das Prospekt eines Kunsthändlers nicht dichten können !

    Warum nur kam mir dazu spontan ein Satz Bertold Brechts in den Sinn : " Der Kulturpalast ist aus Hundescheisse gebaut ." (nach Gedächtnis zitiert)

  • S
    sarko

    Pardon , Herr Seesslen , ... "die" Kunst gibt es nur als begriffliches Kunstprodukt . Für Reiche schwanzvergleichtauglich sind nur die Werke der Malerei und Plastik / Bildhauerei. Welchen Normalo interessiert es wirklich , ob bzw. welche Originale sich Milliardäre in ihre Villen holen oder in Safes verstecken . Frau Meier und Herr Müller konnten sich diese auch vor hundert Jahren schon nicht leisten . Also : So what ? Es gibt ausgezeichnete Reproduktionen von allen großen Werken der Vergangenheit , die auch jede/r Kunstinteressierte kennt bzw. kennen kann . Und Kunst der Gegenwart , die nicht im öffentlichen Raum erscheint , ist für den gesellschaftlichen Fortgang ohne Bedeutung .

  • PB
    Peter B.

    Schön, wenigstens ab und zu noch einmal – statt augenzwinkerndem Lifestylequatsch oder ranschmeißerischer Schwarzgrün-Apologetik – eine gnadenlose marxistische Polemik in der Taz zu lesen!

    Danke, Herr Seeßlen!

  • Großartig! Echt, spricht mir aus der sauren Seele!

  • S
    stef

    Kunstgegenstaende mit sammelwert sind halt eine parallelwaehrung die sich die leute geschaffen haben um eine relativ sichere und lukrative anlage zu haben. Die renditen auf Kunstgegenstaende sind ja mehr als ordentlich. Das menschen anlegen die viel geld haben ist etwas was ich mangels kompetenz nicht beurteilen kann. Aber die kunst als anlageform erscheint mir sinnvoller als ein nicht ganz ungefaehrliches waehrungsexperiment a la bitcoin. Dieses geistprodukt (also kunst?) wird bald mehr einfluss auf uns alle haben als saemtliche bilder zusammen. Leute sagt ja zur kunst und nein zu bitcoin.

  • A
    AusDerArtGeschlagen

    Gut gebrüllt Löwe und wer wollt diesen Ausführungen auch widersprechen? Stimmt ja auch. Nur die Forderung ..... der Autor wird es selbst wissen, ist nur Rhetorik. Was auch sonst, denn weder der Kunstmarkt noch die beteiligten Künstler die ja noch ihre Miete irgendwie zahlen müssen, werden sich drum kümmern. Ok, nicht alle Künstler zahlen Miete, weil längst unter der Erde und verdienen tun andere. Frei nach dem Spruch, von Kunst kannst erst nach deinen Tod leben.

    Was ist dann der Ausweg? Her mit der Kunst. Nein, die Originale für Irrsinnspreise könnt ihr behalten. Wir machen selber Kunst und veröffentlichen an der Wand und Online. Und wir bestimmen Inhalt und Message. Um s Geld geht es hier nicht, da ist eh nur selten was zu verdienen.