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Der Kunstmarkt ist besser als sein RufMehr Spielraum für gute Kunst

Ein Kunstmarkt? Nein, viele Märkte sind es, die Kunst an unterschiedlichste private und öffentliche Sammler vermitteln.

Kunstdeko auf der Art Basel 2015: Ein Weihnachtsbaum von Ai Weiwei mit Christbaumkugel von Olafur Eliasson. Foto: ap

„Schafft die Kunst ab!“, forderte der werte Kollege Georg Seeßlen in diesem Jahr auf unserer Meinungsseite. Damit stand er geradezu paradigmatisch für den Kunstdiskurs in dem sich zu Ende neigenden Jahr 2015. Die Kunst, so meint er, „spricht fast nur noch durch die Sprache des Geldes zu uns“, und zwar „so laut wie nie zuvor“. Dem Kunstmarkt gehe es so gut wie noch nie. Deshalb gehe es der Kunst „so schlecht wie noch nie zuvor“, was auch für die Mehrzahl der Künstlerinnen und Künstler gelte.

Aber stimmt denn, was der Kollege sagt? Schadet der Kunstmarkt mit der Hypertrophie seiner Preise wirklich dem Kulturleben, etwa der Museumsarbeit? Der Arbeit der städtischen Kunstvereine und Kunsthallen? Verliert der mittlere Sektor wirklich an Wert, wenn Leute, die dreistellige Millionenbeträge für ein Kunstwerk übrig haben, jeder Zeit an jedem möglichen Jahrhundertkünstler (-künstlerin sowieso) vorbeilaufen, weil sich seine Preise noch in gemäßigten Zonen bewegen?

Ja, den Leuten, von denen Seeßlen spricht, geht es um demonstrativen Geltungskonsum, nicht um die Kunst. Es geht ihnen auch um die Geldanlage. Gerne für steuerhinterzogenes Vermögen oder für Geld aus illegalen Geschäften. Das geht aber zunächst einmal nicht die Kunst, sondern Politik, Gesetzgebung, Rechtsprechung und die Polizei an.

Über das Geld, das auf den großen Abendauktionen in New York oder London triumphiert, sollte man in vielen Fällen nicht erst reden, wenn es im Kunstmarkt sichtbar wird. Zumal es dort sicher noch den wenigsten Schaden anrichten kann. Denn was bitte ist schlimm daran, wenn sich staatliche Häuser keinen Jeff Koons leisten können? Ist das nicht im Gegenteil eine gute Nachricht?

Kunst als Konsumfetisch? Braucht kein Museum

Und ist es wirklich tragisch, dass „Three Studies of Lucian Freud“ des verstorbenen Malers Francis Bacon bei einem so abscheulichen Auktionspreis von 142,4 Millionen Dollar nicht an ein renommiertes Museum ging? Bacon ist in diesen Häusern längst bestens vertreten. Und durchaus mit qualitätsvolleren Arbeiten.

Ja, wie Seeßlen richtig bemerkt, einen Jeff Koons oder Damian Hirst als Konsumfetisch, wie ihn ein Oligarch haben muss, brauchen wir nicht. Und auch keine Kunst, die „die Schere zwischen Armen und Reichen weiter aufmacht“. Nur welche Kunst soll das um Gottes willen sein?! Die Kunst der Steuergesetzgebung? Oder die Kunst der Politik, die in Geheimverträgen zwischen öffentlicher Hand und Industrie Letztere gegenüber den Bürgern privilegiert, die dann die Zeche, also die hohen Wasser- und Energiepreise zahlen?

Wo ist das Argument, das belegt, warum die Kehrseite der Superreichen-Kunst eine generelle Verarmung der Künstler ist?

Auf der Art Basel/Miami, wo die Galerie Hauser & Wirth diese Kunst verkauft und für ihre Koje während der fünf Tage eine Summe bezahlt, für die man in Berlin eine schicke 200 Quadratmeter große Eigentumswohnung bekommt, richten sich kleinere Galerien auf zwanzig Nebenmessen deutlich günstiger ein. Zwanzig Nebenmessen heißt aber, dass es einen beachtlichen Markt für Kunst gibt, die womöglich meistenteils mäßig originell, aber günstig ist, die vielleicht aber auch schwierig und riskant, jung und experimentierfreudig ist.

Zwanzig Nebenmessen heißt, dass es den einen Kunstmarkt gar nicht gibt, sondern dass er sich in viele Untermärkte aufsplittert. Und zwanzig Nebenmessen heißt vor allem, dass es Käufer gibt für eine Kunst, die weder durch das Votum des Markts abgesichert ist noch durch die Wahrnehmung der Kunstberichterstattung. Denn gezwungenermaßen treibt die sich vornehmlich bei den großen Galerien in der Hauptmesse herum. Die Zwänge des Mediengeschäfts sollte man deshalb nicht zu denen des Kunstmarkts erklären.

Verzerrte Vorstellung

Zu den Zwängen des Mediengeschäfts gehört auch die Berichterstattung über Rekordpreise und Flohmarktfunde, die Millionen bringen. Insofern sind es Medien, nicht der Kunstmarkt, die unsere Vorstellungen verzerren, welche Preise für Kunst gezahlt werden. Weil nirgendwo über die Umsätze des Kunstmarkts systematisch berichtet wird und nur die auf Auktionen erzielten Preise öffentlich werden, werden falsche Preisvorstellungen nicht korrigiert.

Wenn so wenig über Preise bekannt ist, deutet das nicht nur auf Insiderhandel hin, sondern ebenso auf einen vielfältigen, kleinteiligen Markt. Es deutet auf eine Vielzahl kleiner Galerien hin, durch die die Kunst erstmals in den Handel kommt; und auf private Verkäufe und Erwerbungen, durch die das Kunstwerk in den zweiten Markt gelangt, der eben nicht nur aus Auktionshäusern besteht.

Der Kunstmarkt bietet jedenfalls genügend Spielraum für jede Menge guter Künstler und Künstlerinnen, deren Arbeiten es wert sind, gesammelt zu werden und die der Markt auch keineswegs zu teuer handelt. Deswegen sind ihre Arbeiten noch lange kein Schnäppchen und Kunstvereine und Museen tun gut daran, auch für sie den einen oder die andere Sammlerin unter ihren Freunden zu begeistern, damit er oder sie ihnen das Kunstwerk mäzenatisch schenkt.

Das Personal fehlt

Das bedeutet Arbeit. Das Personal für diese Arbeit aber fehlt. Freilich ist das nicht die Schuld des Hedgefondsmanagers, der böse teure Kunst kauft. Es liegt an einer Politik, die nicht Willens ist, die Millionenboni des Hedgefondsmanagers mit 80 Prozent zu besteuern, um die öffentlichen Kultureinrichtungen mit den so erzielten Einnahmen besser auszustatten.

Auch deshalb stechen Global Player wie David Zwirner, Gagosian oder White Cube, um nur einige zu nennen, mit ihrem Stab bestens ausgebildeter Kunstwissenschaftler und einer entsprechenden Kommunikationsabteilung viele international bedeutende Museen aus. Ihre personelle Ausstattung ermöglicht es diesen Galerien, kunsthistorisch zu forschen, Nachlässe zu betreuen und aufzuarbeiten.

Wenig verwunderlich, dass es Hauser & Wirth waren und kein Museum, die Lee Lozano (1930–1999) wieder aufs Tapet und ihre Arbeiten aus dem Depot in interessierte Privatsammlungen, aber auch große Ausstellungen wie die Documenta 12 brachten. Kommerzielle Galeriearbeit bedeutet nicht das Ende des Kunstdiskurses.

Ironie der Geschichte: Lee Lozana selbst war eine heftige Verächterin des Kunstbetriebs. 1970 brach sie ihre Verbindung zur New Yorker Kunstwelt radikal ab. Angeblich hat sie sich danach in Dallas, Texas, als Kassiererin durchgeschlagen.

Künstlersozialkasse

Krankenversichert war sie, die 68-jährig an Krebs starb, bestimmt nicht. Zumindest in Deutschland haben freischaffende Künstler dank der Künstlersozialkasse eine Kranken- und Rentenversicherung. Allein deshalb kann es ihnen nicht so schlecht gehen wie noch nie zuvor. Mit der Abwahl der FDP aus der Regierungsverantwortung ist das Fortbestehen dieser 1981 gegründeten fortschrittlichen Einrichtung wohl weiterhin gesichert.

Sie mag reformbedürftig sein, so wie auch die Ausbildungsstätten für angehende Künstler Verbesserungsbedarf haben. Trotzdem sind die Ausbildungsmöglichkeiten ausgezeichnete, an immerhin dreißig Kunsthochschulen und Kunstakademien, die in Deutschland auch abseits der Metropolen und der traditionsreichen Standorte auf hohem Niveau agieren, etwa die 1992 gegründete Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, wo es im Übrigen schon eine renommierte Kunsthochschule gab.

Dazu profitieren die Künstlerinnen und Künstler von der Infrastruktur der Bibliotheken, Archive, Museen, Kunsthallen und Kunstvereine. Mit der stark gewachsenen Zahl von Galerien verbessert sich ihre Chance, auf dem Kunstmarkt und in der Öffentlichkeit vertreten und sichtbar zu werden. Schaut man genauer hin, hat der mittlere Sektor in den letzten Jahren gewonnen, auch wenn dies nicht für die einzelne Künstlerin oder den einzelnen Galeristen gilt.

Die ebenfalls stetig gewachsene Zahl von Stipendien, Preisen und Residenzen deutet nicht darauf hin, dass der Kunstbetrieb verarmen und seiner Möglichkeiten mehr und mehr beraubt würde. Just von diesen Kunst- und Kulturstiftungen, Forschungseinrichtungen, Thinktanks, Kunst- und Kulturgremien mit ihren Stipendien und vielfältigen Projektförderungen und nicht vom Kunstmarkt, am allerwenigsten von der Milliardärskunst, aber droht der widerständigen Kunst und der unangepassten Künstlerin Gefahr.

Regulieren, steuern, eingreifen

Denn mit ihren Förderungs-, Beratungs- und Professionalisierungsmaßnamen regulieren, steuern und greifen diese Einrichtungen, wie etwa die Bundeskulturstiftung oder das Goethe-Institut, um nur zwei wichtige Institutionen zu nennen, weit mehr in die künstlerische Autonomie der Akteure ein, als der internationale Kunstmarkt mit seiner recht begrenzten Künstlerliste und dem entsprechend begrenzten Kreis seiner Sammler mit ihren ebenfalls recht begrenzten Geschmacksvorlieben.

Mit diesen Netzwerken sind die Hochschulabsolventen konfrontiert, lange bevor ein milliardenschwerer Kunstmarkt sie enteignet, ausbeutet und ihrer Arbeit entfremdet. Denn zunächst einmal setzen die staatlichen, kommunalen und auch teils privaten Gremien und Institutionen über ihre Förderprogramme, insbesondere durch die Projektförderung, Themenschwerpunkte und sagen also, wo’s lang geht. Sie vergeben Atelier- und Ausstellungsraum und steuern die Präsenz von Tanz, bildender Kunst oder Theater im öffentlichen Kulturleben. Sie sind es, die die Künstler lehren, Businesspläne zu erstellen und die in den Kunstbereich Managementstrukturen implementiert haben.

Viel spräche also für eine künftige Renaissance der institutionskritischen Kunst und des institutionskritischen Kunstdiskurses.

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1 Kommentar

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  • Mit der Institutionenkritik meint es die Autorin wohl nicht ganz ernst. Die vielfältigen Förderungen der Künstlerinnen und Künstler (Gratisausbildung an den Hochschulen, Künstlersozialversicherung und viele andere Unterstützungsleistungen) haben in Deutschland - anders als etwa in den USA - zu einem deutlichen Angebotsüberhang auf dem Arbeitsmarkt für Künstler gesorgt. Was in der Folge wiederum weitere sozialpolitische Maßnahmen oder neue staatliche Interventionen im Kunstmarkt erforderlich macht. Gleichzeitig hat sich eine Kunstwelt der Schönen und Reichen herausgebildet, deren hypertrophe Auswüchse leider auch von vielen staatlichen Institutionen akkommodiert werden (Ausstellungen, Ankäufe). Instruktiv ist hier die Lektüre von Sarah Thornton (Seven Days in the Art World). Die gegenwärtige Entwicklung ähnelt in mancher Hinsicht dem Goldenen Zeitalter der niederländischen Malerei im 17. Jahrhundert, das recht abrupt endete.

     

    Im übrigen: Das etwas wohlfeile Nachtreten gegenüber der FDP (muss wohl sein in einem Artikel für die taz) ist nicht ganz angemessen - die FDP-Abgeordneten im Kulturausschuss des Bundestages haben die Staatssubsidien für Kunst und Künstler mit dem gleichen Eifer ausgebaut wie ihre Kollegen aus den anderen Fraktionen.