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Kommentar Volksinitiative gegen GefahrengebieteEine Frage der Betroffenheit

Jan Kahlcke
Kommentar von Jan Kahlcke

Gefahrengebiete gegen Migranten gibt es schon lange. Erst, seit sie sich auch gegen die weiße Mehrheitsgesellschaft richten, wird Protest laut.

Gefahrengebiete gibt's in Hamburg schon lange. Nur, dass bisher nicht die weiße Mehrheitsgesellschaft betroffen war. Bild: dpa

D as Hamburger Gefahrengebiet entwickelt sich zum Hit der politischen Saison: Jetzt gibt es nicht mehr nur Proteste gegen das größte Gefahrengebiet aller Zeiten in Hamburg, sondern um das polizeiliche Instrument als solches: Linke und Grüne stellen es in der Bürgerschaft zur Disposition, parallel dazu startet eine Volksinitiative. Gut so.

Beziehungsweise: lange überfällig. Schon seit 2005 darf die Polizei sich die Sonderzonen mit erweiterten Befugnis sen genehmigen. Davon hat sie reichlich Gebrauch gemacht. Proteste gab es kaum, weil sie zu einem großen Teil gegen Migranten gerichtet waren. Ob in Neuwiedenthal, wo 2010 der Konflikt zwischen Einwanderern und Polizei eskalierte, in Bergedorf, wo die Polizei russischstämmige Jugendliche in die Schranken weisen wollte, oder im Schanzenviertel, wo monatelang fast jeder Schwarze wegen des Verdachts auf Drogenhandel kontrolliert wurde – die weiße Mehrheitsgesellschaft konnte sich unbehelligt, und vor allem: nicht gemeint fühlen.

Das war in den vergangenen Wochen anders: Die Polizei hat das Gefahrengebiet zum Revanchefoul gegen die linke Szene genutzt – und dabei ein paar zigtausend Bürger als Geiseln genommen. Und es sind nicht irgendwelche: Gentrifizierung sei dank, wohnen in den alten Arbeitervierteln mittlerweile Angehörige politisch wohl artikulierter Milieus, die sich nicht alles gefallen lassen. Man könnte sagen: Dieses Gefahrengebiet hat die Richtigen getroffen. Das polizeiliche Beruhigungsmittel ist in dieser Melange zum Bumerang geworden. Angesichts eines gefühlten Besatzungszustands haben sich weite Teile der Anwohnerschaft mit der linken Szene solidarisiert.

Maßnahme auf tönernen Füßen

Dazu hat beigetragen, dass die Begründung der Maßnahme immer noch auf tönernen Füßen steht: Die Darstellung, ein Polizist sei beim Angriff von Autonomen auf eine Polizeiwache schwer verletzt worden, musste die Polizei zurücknehmen. Jetzt schloss das Landeskriminalamt die Beteiligung Autonomer aus. Dass der Angriff überhaupt stattgefunden hat, bestreiten Augenzeugen.

Diese Vorgeschichte belegt, dass nicht gut ist, wenn die Polizei selbst über ihre Befugnisse entscheidet. Ob das Gefahrengebiet deswegen fällt? Im Parlament sicher nicht, da stehen SPD und CDU fest geschlossen. Und bei einem Volksentscheid? Laut Umfragen haben die meisten Hamburger das jüngste Gefahrengebiet gebilligt. Vieles wird davon abhängen, ob ihnen das Thema wichtig genug ist, um ihre Stimme abzugeben. In St. Pauli jedenfalls wird die Beteiligung alle Rekorde brechen.

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Jan Kahlcke
Redaktionsleiter
Jan Kahlcke, war von 1999 bis 2003 erst Volontär und dann Redakteur bei der taz bremen, danach freier Journalist. 2006 kehrte er als Redaktionsleiter zur taz nord in Hamburg zurück
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9 Kommentare

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  • SP
    St. Paulianerin

    Lieber Jan Kahlcke,

     

    nur weil Menschen gegen das Gefahrengebiet waren (sind), solidarisieren sie sich nicht automatisch mit der linken Szene. Die Linksautonomen (nicht alle, aber einige) haben in der Tat an dem Samstag vor Weihnachten für Angst und Schrecken bei den Anwohnern u.a. rund um die Essohäuser gesorgt. Es wurde so einiges an Eigentum mutwillig zerstört. Und auch an den darauffolgenden Tagen wurden Autos in Brand gesteckt, Schaufenster eingeworfen und ganze Geschäftsinventare zerstört. Zum Kotzen. Dennoch war und bin ich gegen das Gefahrengebiet, weil ein Pauschalverdacht gegen 80.000 Einwohner (+ Gäste, + Touristen) nicht die Lösung sein kann und darf.

    Und bitte: auf St. Pauli wohnen nicht ausschließlich neu Zugezogene, sondern der Stadtteil hat nach wie vor (hoffentlich noch länger) eine recht bunt gemischte Bevölkerung. Auch ich wohnte schon auf St. Pauli, bevor das Thema Gentrifizierung überhaupt ein solches war. Also: bitte eine etwas differenziertere Darstellung der Dinge! Schwarz-Weiss-Malerei ist doch ein zu einfaches Mittel der Meinungsmache.

  • GO
    gefährliche orte städtebaulich sichtbar machen!

    Eine gute Idee finde ich die Gefahrengebiete für alle (auch Touristen) sichtbar zu markieren. Vielleicht so wie zunächst auf dem ehemaligen Verlauf der Berliner Mauer: Farbige Markierung quer über Fahrbahnen und Bürgersteige mit einem mehrsprachigen Hinweis darauf welche Ausnahmeverordnung hier gilt. Bei andauernden "gefährlichen Orten" (so hießen die u.a. in Berlin, inzwischen dort "kriminalitätsbelastete Orte" mit den gleichen Auswirkungen) könnten bei anstehenden Tiefbaumaßnahmen wie etwa am Kottbusser Tor auch der Straßenbelag und das Pflaster rot umgestaltet werden. Dann wurde mensch zumindest darauf hingewiesen welche Bürgerrechte dort nicht gelten. Warum nicht auch hier mehr Transparenz?! Siehe dazu auch: http://www.sozialraum.de/die-konstruktion-gefaehrlicher-orte.php

  • I
    ich

    und der zweite grund "demo greift polizei an" hat sich auch erledigt!

    polizei hat die demo angegriffen! 1. gibt nen videobeweis, 2. war augenzeuge

  • AS
    Anwohner St. Pauli

    Als Anwohner an der Ecke Paul Roosen Str./ Am Brunnenhof kann ich über diesen Kommentar nur den Kopf schütteln.Davon, dass sich weite Teile der Anwohnerschaft mit der linken Szene solidarisiert hätten, kann überhaupt keine Rede sein. Die sinnlose Schneise der Verwüstung, die die Autonomen am 21.12.2013 auf der Clemens Schultz Str. hinterlassen haben und das Erstürmen von Geschäften bei laufendem Betrieb haben vielmehr die sehr ausgeprägte Leidensfähigkeit der Anwohner endgültig überstrapaziert. Viele Anwohner haben es einfach satt. Die Debatte hat sich bisher immer stark auf die Auseinandersetzung Autonome-Polizei konzentriert. Wie das Geschehen im Stadtteil bei den Bewohnerinnen und Bewohnern angekommen ist, war viel zu sehr im Hintergrund. Ich glaube, die meisten Anwohner fandes es richtig, dass nach der massiven Gewalteskalation am 21.12 eine Gegenreaktion kam.

  • B
    Bastler4711

    "Dass der Angriff überhaupt stattgefunden hat, bestreiten Augenzeugen."

     

    Herrlich, einfach herrlich. auf so einen schwachsinn kommt auch nur linksdoof!

     

    Wenn der Vorfall nicht stattfand, was haben die 'Augenzeugen' denn eigentlich gesehen???

    Da muss man doch annehmen, wenn es Augenzeugen gibt, wird es wohl auch den Vorfall gegeben haben.

     

    "...parallel dazu startet eine Volksinitiative. Gut so."

    auch hier werden die Ergebnisse ernüchternd sein; bitte gaaanz tapfer sein! Immer mehr haben einfach die Schnauze voll von linksdoofen Strassenschlägern, Kriminellen und Brandstiftern, die behaupten, für die 'gute Sache' zu prügeln.

  • SF
    Semjon Feuerstack

    Ich frage mich, wo diese angebliche Umfrage zur Gutheißung der Gefahrengebiete her kommt.

    Leute in den betroffenen Stadtteilen scheinen dabei ebenso wenig gefragt worden zu sein wie politisch interessierte Bürger überhaupt. Selbst Leute aus meinem Bekanntenkreis, die Rotfloristen und Steineschmeißer in den schärfsten Tönen kritisieren, finden nicht minder harsche Kritik für die Aushebelung der Gewaltenteilung durch die Hamburger Polizei. Und wer tatsächlich nicht begriffen hat, dass sich für die Polizeiführung die drei Gewalten auf Schlagstock, Pfefferspray und Wasserwerfer beschränken, hat offenbar auch im Übrigen einiges über Rechtsstaatlichkeit nicht verstanden.

    • Z
      zensiert
      @Semjon Feuerstack:

      Ich las in der Hamburger Luegenpost die Tage über eine sog. "representative Umfrage", die jenes behauptete. Desweiteren tauchte die Behauptung auf, die Mehrheit der Hamburger sei für den Einsatz von Teasern, Elektroschockern.

  • TD
    taz-Rassismus deluxe

    Gefahrengebiete gegen Migranten? Oder Gefahrengebiete dank Migranten:http://www.bild.de/regional/hamburg/hamburg/blutbad-in-langenhorn-34308770.bild.html

     

    Stimmt, das ist Alltag. Über den Alltag braucht die taz nicht berichten. Wären es Deutsche gewesen, die einen Türken, Araber oder Afrikaner so angegriffen hätten, dann würde die taz schon berichten. Das nennt sie Journalismus. Nur interessiert solcher rassistischer "Journalismus" immer weniger Leute.

    • BD
      Blöd Dir Deine Meinung
      @taz-Rassismus deluxe:

      och süüüß, die Biedermayer&Brandstifter betreiben Quellenstudien [www.bild.de, jawollgenau] und schwingen braunen Kordsofa Marke Eiche rustikal die Kommentarkeule. Na wenigstens muss man Euch sesselpubser nicht im Alltag ertragen.