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Debatte MindestlohnDa führt kein Weg dran vorbei

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Die Lohnuntergrenze von 8,50 Euro muss kommen. Damit werden aber auch ganz neue Grauzonen in der privaten Dienstleistung entstehen.

In drei Jahren sind die 8,50 eigentlich nur noch 8 Euro wert. Bild: dpa

D er Streit hat was Schräges: Unions-Politiker fordern, Rentner und Studierende vom kommenden Mindestlohn auszunehmen, um deren Nebenjobs nicht kaputtzumachen. „Bloß nicht!“, schimpfen SPD-Politiker. Wer Ausnahmen zulasse, zwinge diese Arbeitnehmer, dann auch weiterhin zu Billigstlöhnen ackern zu müssen.

Der Mindestlohn ist wie ein Wackelbild: Mal erscheint er als Schreckgespenst für die Arbeitgeber, dann wieder als Allheilmittel für Gerechtigkeitsprobleme. Dabei gibt es genug Erfahrungen, auch aus dem Ausland, die diese Mythen gleichermaßen entzaubern.

Möglicherweise läuft es am Ende nämlich ganz anders. Ein Blick in die Grauzonen der privaten Dienstleistung lässt die Vermutung aufkommen, dass die Regulierung der Löhne am Ende zu neuen Deregulierungen bei den Arbeitsbedingungen führen könnte.

Ab dem Jahr 2015 kommt die Lohnuntergrenze von 8,50 Euro brutto in Ost und West, es sei denn, in dem Unternehmen gilt ein Tarifvertrag, der niedrigere Löhne vorsieht. Ab dem Jahr 2017 sollen die 8,50 Euro für alle Beschäftigten als Mindestlohn gelten.

Aus 8,50 werden 8 Euro

Ein Gesetzentwurf ist bis zur Sommerpause angekündigt. Die Zeitschiene ist bemerkenswert. Eine Inflationsrate von 2 Prozent vorausgesetzt, dürften 8,50 Euro an Bruttostundenlohn in drei Jahren nur 8 Euro an heutiger Kaufkraft darstellen. Die Lohnuntergrenze ab dem Jahr 2017 hat so nicht den Wert von heutigen 8,50 Euro, sondern liegt deutlich darunter.

Der Mindestlohn erhöht die Kaufkraft der NiedrigverdienerInnen in Gastgewerbe, Handel und Reinigungsdiensten, und das ist dringend nötig. Zwei Drittel der etwa 5 Millionen Beschäftigten, die Löhne von unter 8,50 Euro kriegen, sind Frauen.

Erfahrungen in Irland zeigen, dass sich der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen durch die Einführung einer Entgeltuntergrenze verringert hat. In Großbritannien ist dieser Effekt allerdings weniger nachweisbar.

Lohndumping verhindern

Ein Mindestlohn von 8,50 Euro vermindert die Angst vor Lohndumping etwa durch den Zuzug von Arbeitskräften aus dem EU-Ausland. Das ist ein wichtiger politischer Effekt. Die Auswirkung auf die hiesigen Erwerbsbiografien halten sich aber in Grenzen.

Kommen in Deutschland die 8,50 Euro als Untergrenze, erreichen Beschäftigte mit diesem Mindestlohn auch nach 40 Jahren Ackerei in ihrer späteren Rente nicht das Niveau der Grundsicherung (Hartz IV). Das ist ein Skandal, der in der Rentenpolitik noch geändert werden muss.

Auch die Zahl der sogenannten Aufstocker, die neben dem Arbeitsverdienst Hartz-IV-Leistungen beziehen, wird nicht nennenswert abnehmen, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) prophezeit. Die meisten Aufstocker arbeiten in Teilzeit oder haben Familie. Ein etwas höheres Stundenentgelt ändert diese Einkommenskombination nicht.

Nachfrage bleibt bestehen

Die interessante Frage wird sein, wie Arbeitgeber in der privaten Dienstleistung an anderer Stelle die Kosten für die höheren Stundenentgelte ausgleichen. Denn die Nachfrage nach Putz- und Kellnerdiensten bleibt ja bestehen. Es ist also falsch, immer von drohenden Jobverlusten zu reden.

Der einfachste Weg, schlichtweg die Preise zu erhöhen, ist dabei nicht immer gangbar. Vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) veröffentlichte Erhebungen zur Gebäudereinigung zeigen, dass mit der Einführung von Branchenmindestlöhnen in diesem Bereich die Preise kaum gesteigert werden konnten, der Wettbewerb ist einfach zu hart.

Also wird getrickst: Oft verlangen die Arbeitgeber beim Putzen Quadratmetervorgaben, die nicht einzuhalten sind. Dann putzten die Frauen länger als ihnen an Stunden bezahlt wird.

Auch im Gastgewerbe und im kleinen Einzelhandel gibt es schon heute viele Grauzonen in der Bezahlung. Manche Arbeitnehmer ackern offiziell in Teilzeit und bekommen einen Teil des Gehalts „schwarz“. Mit dieser Kombination lässt sich auch ein höheres Stundenentgelt künftig ausgleichen.

Aufräumen nach Feierabend

Auch die Verrechnung von Berufskleidung etwa bei Pizzadiensten könnte in die Kostenreduktion angesichts der höheren Stundenentgelte einfließen. In manchen Supermärkten ist zwar mit Ladenschluss offiziell Feierabend für die Kassiererinnen, doch danach müssen sie noch aufräumen.

Arbeitgeber können Kosten zudem erheblich drücken, wenn sie Beschäftigte nur zu Stoßzeiten kommen lassen. In Großbritannien etwa hat die „Arbeit auf Abruf“ („zero-hours contract“) ohne feste garantierte Wochenstundenzahl explosionsartig zugenommen.

Für Selbstständige greift die Lohnuntergrenze auch nicht. Wie in Großbritannien könnte es hier mehr Scheinselbstständigkeit geben. Vielleicht stehen mit Einführung des Mindestlohns in den Schnellgaststätten dann keine Angestellten, sondern „Teilhaber“ hinter dem Tresen.

Stücklöhne sind anzupassen

Manche Arbeit wird nach Stücklohn abgerechnet. Zeitungsausträger beispielsweise werden pro ausgetragenem Blatt bezahlt und erreichen damit nur sehr niedrige Stundenlöhne. Künftig müssten die Stücklöhne dann so angepasst werden, dass ein Träger mit der Zustellung auf 8,50 Euro die Stunde kommt. Die Gewerkschaft Ver.di wirft den Arbeitgebern aber heute schon vor, mit Akkordvorgaben zu agieren, die nicht mal „athletische Marathonläufer schaffen“, wie es in einem Online-Kommentar heißt.

Mit dem Mindestlohn dürften die Gestaltungsmöglichkeiten in der privaten Dienstleistung nicht verschwinden, sondern umso intensiver genutzt werden, um Kosten zu drücken. Mehr Regulierung durch den Mindestlohn führt so am Ende zu mehr Deregulierung.

Vielleicht sogar zu paradoxen Effekten: Praktika nach einem fertigen Studium sollen den künftigen Mindestlöhnen unterliegen. Aber gänzlich unbezahlt, quasi als „Ehrenamtliche“ dürfen Hospitanten auch weiterhin tätig sein. Das könnte eine bisher geringe Bezahlung von Praktikanten auf null drücken.

Die Arbeitsbedingungen muss man also mitdenken und überwachen, wenn man über den Mindestlohn spricht. Das wird noch spannend. An der Untergrenze führt politisch trotzdem kein Weg vorbei.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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9 Kommentare

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  • Kurze Farbenlehre:

     

    Mitarbeiter jenseits der Zeiterfassung zu Tätigkeiten zwingen (z.B. aufräumen) ist nicht „grau“ sondern ohne wenn und aber schwarz. Anonym anzeigen.

  • „Da führt kein Weg dran vorbei“ ist eine wirklich lustige Überschrift ist.

     

    Ich kenn da einen Weg: Freie, nach Wörtern bezahlte Journalisten.

     

    Bin gespannt wie unsere hat-noch-nie-gearbeiet-Ministerin Nahles das kontern will.

  • K
    krabbe

    Ja, Mindestlohn ist furchtbar, weil die Leute illegalerweise dagegen verstossen könnten, also sollten wir ihn lieber weg lassen.

    So wie wir eigentlich alles erlauben sollten, weil sich ja sonst die Leute was überlegen, wie sie das Gesetz umgehen können.

  • Gesetzlicher Mindestlohn , - ein Placebo unter dem Label "Gerechtigkeit ,Fairness , Menschenwürde" . Ein Placebo also , der nur zur Verschleppung der Krankheit gut ist .

  • O
    olli37

    Der Mindestlohn wird die Schwarzarbeit in die Höhe treiben. Etliche Arbeitsplätze werden nach Osteuropa verlagert werden, insbesondere in Ostdeutschland. Deshalb ist der allgemeine gesetzliche Mindestlohn falsch.

     

    Die intelligenteste Lösung wären die sich bereits in der Praxis bewährten branchenspezifischen Mindestlöhne gewesen. Die Abschüsse dort sind zum Teil erheblich höher als 8,50 EUR. Und bisher wurden in diesen Branchen weder Arbeitsplätze vernichtet, noch hat dort massenweiser Missbrauch oder Umgehen der Regelung stattgefunden, sonst hätte sich die Presse schon darauf gestürzt.

  • WW
    wie wärs mit

    Wie wär's denn statt dem Mindestlohn sowas wie diese 1:12 Regelung? Statt einem Mindestlohn, der Jahr um Jahr ja doch immer weniger wird und vermutlich ohnehin ständig ausgehebelt werden wird, könnte man doch per Gesetz vorschreiben, dass jeder Arbeiter (egal ob fest angestellt, Minijobber, ...) mindestens 1/12 dessen verdienen muss wie der höchstrangigste Chef des Konzerns oder was auch immer (ob pro Stunde oder Monatlich, wäre hier irrelevant). Statt 1/12 könnte man hier meinetwegen auch einen anderen Prozentsatz definieren. Wichtig ist der Grundgedanke. Dann steigen endlich mal die Gehälter/Löhne der "Untertanen" mit denen der Chefs mit! Und Transparenz der Bombengehälter bekämen wir dann auch noch oben drauf xD

  • RS
    Reinhold Schramm

    Der Arbeitslosenverband e. V. forderte bereits im Jahr 2005 einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro-Std. brutto. Zum Januar 2017 wäre diese Forderung, unter Beachtung der Teuerungsrate, auf einem Niveau von 12,14 Euro pro Stunde. Demnach liegt die Differenz zwischen der SPD/DGB-Forderung und der Forderung der organisierten Arbeitslosen und Hartz IV-Opfer, bei 4,14 Euro pro Stunde - bzw. mtl. bei ca. 700 Euro (mehr) brutto!

     

    Laut U. v. d. Leyen, vormalige Ministerin für Arbeit etc., benötigt man einen Stundenlohn von durchschnittlich 15 Euro, über einen Zeitraum von 35 Jahren in Vollzeitarbeit, um zukünftig eine RV-Alters- und Armutsrente in Höhe von mtl. ca. 700 Euro zu erhalten.

     

    Als berufstätige Mutter bzw. Vater, bei einem Bruttostundenlohn von 8,50 Euro, bedarf es auch weiterhin der Lohnaufstockung durch Hartz-IV-Zusatzleistungen, trotz (lebenslanger) Vollzeitarbeit.

     

    Auch bei mehr als 40 Vollzeitarbeitsjahren, auf der geringen Basis des gesetzlichen Mindestlohnes, ohne Erwerbslosigkeit, landet man im Alter in der Sozialhilfe (bzw. gesetzliche "Grundsicherung")!

     

    Aufwachen, brave treudeutsche Michels und gewerkschaftliche DGB-"Sozialpartner" - der Bourgeoisie und Erbschafts-Milliardäre* (*ohne deren persönliche Arbeitsleistung und Mehrwertschöpfung)!

  • B
    Bob

    na wenn jemand große rote buchstaben aufstellt muss er es schon ernst meinen

     

    komme ich auch die taz, wenn ich große rote buchstaben bastele, die die deutsche kriegsschuld in frage stellen?

  • D
    dave

    Wie alle "Linken Projekte" (EEG Umlage, etc.) sehr gut gemeint mit dem gegenteiligen Effekt.

    Eine freiwillige Verpflichtung zum Mindestlohn hätte besser funktioniert, wenn jeder angeben müsste ob er diese Verpflichtung einhält, die meisten schwarzen Schafe wären aussortiert worden....