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Kommentar FlüchtlingspolitikMeister der Ablehnung

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Die Regierung hat Verbesserungen für Flüchtlinge im Koalitionsvertrag vereinbart. Interesse hat sie aber daran, Abschiebungen zu erleichtern.

Flüchtlinge vom Balkan sollen abgeschoben werden, z.B. nach Sarajewo. Bild: dpa

W enn es sein muss, kann es ganz schnell gehen: Nur neun Wochen hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) für den Gesetzentwurf gebraucht, der endlich die ungeliebten Balkanroma aus Deutschland fernhalten soll: Er will die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsländer erweitern – um Serbien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Montenegro und Albanien. Per Gesetz ist dann festgestellt, dass dort keinerlei Verfolgung stattfindet. Entsprechende Asylbewerber können künftig schnell abgeschoben werden. Die Details wurden in dieser Woche bekannt.

Das Innenministerium freut sich auf Ersparnisse für die öffentliche Hand und empfiehlt den Ausländerbehörden, sich schon mal auf „Belastungsspitzen“ bei Abschiebungen einzustellen. Schließlich kommt derzeit etwa jeder vierte Asylantrag aus diesen Ländern.

Dass de Maizière, da er schon mal dabei war, in den Gesetzentwurf gleich noch zwei zusätzliche Länder hineingeschrieben hat – Albanien und Montenegro –, die im Koalitionsvertrag nicht drinstehen, erboste die SPD zwar kurzzeitig. Gleichwohl dürfte die Sache legislativ schnell durch sein.

Bei anderen Themen lässt sich die Regierung hingegen mehr Zeit. In der Koalitionsvereinbarung sind eine ganze Reihe von Reformen angekündigt, die Flüchtlingen zugute kommen würden: eine Lockerung der Residenzpflicht, Verkürzung des Arbeitsverbots, die überfällige Neufassung des Asylbewerberleistungsgesetzes, eine Bleiberechtsregelung und ein Ausbau der humanitären Aufnahme. Nichts davon wurde bisher umgesetzt.

Weltmeister der Asylanträge – und der Abschiebungen

Am Freitag präsentierte das UN-Flüchtlingswerk (UNHCR) seinen neuesten Welt-Asylbericht. Deutschland nahm darin eine besondere Rolle ein: Es wurde als das Land mit den weltweit meisten Asylanträgen genannt. Der Superlativ machte erwartbar schnell die Runde. Doch wie meist bei solchen Statistiken ging es nur um die gestellten Anträge – und die haben mit der Zahl der Menschen, die am Ende tatsächlich hier bleiben dürfen, wenig zu tun: 109.000 Flüchtlinge stellten 2013 einen Antrag, Schutz bekamen 20.128. Der Rest wurde abgelehnt, in einen anderen EU-Staat oder anderswohin abgeschoben.

Daher protestieren Flüchtlinge noch immer heftig – auch wenn die Öffentlichkeit dies nicht mehr so interessiert wie noch im vergangenen Jahr.

Die heftigsten gibt es, nicht von ungefähr, in Bayern: In der vergangenen Woche traten in Dingolfing und Amberg Flüchtlinge in Streik – in Amberg verweigerten sie das Essen, in Dingolfing auch das Trinken, fünf Tage lang. Zugeständnisse gab es keine: Die Polizei beendete ihre Aktionen.

Und in Berlin verhandelte die SPD-Integrationssenatorin Dilek Kolat sieben Wochen lang mit den Flüchtlingen vom Protestcamp auf dem Kreuzberger Oranienplatz, bis ihr am Ende der CDU-Innensenator Frank Henkel den Kompromiss derart zerrupfte, dass die meisten Flüchtlinge ihre Zustimmung zurückzogen. Am 21. März immerhin starteten neue Verhandlungen.

Kommunen und Länder verweisen in solchen Fragen gern auf den Bund oder die EU und erklären sich für nicht zuständig. Gleichwohl sind die Proteste nicht an der falschen Adresse: Was Aufenthaltserteilungen angeht, hätte Berlin freie Hand, den Oranienplatz-Campern entgegenzukommen. Das hat ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vor wenigen Tagen erneut klargestellt. Doch die CDU sperrt sich gegen Zugeständnisse – und schafft so den Grund dafür, dass die Proteste, die längst beendet sein könnten, immer weitergehen.

Bayerns selbst ernannte „Zukunftsministerin“ Emilia Müller hat – nach mehrjährigen Protesten – im November ein Ende der schikanösen Essenspakete angekündigt. Doch viele bayerische Landkreise machen bis heute einfach damit weiter.

So gibt es für Flüchtlinge eine Politik der zwei Geschwindigkeiten: Was sie fernhält, geht schnell – was ihnen nützt, dauert oder kommt gar nicht.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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3 Kommentare

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  • Mich würde dieses Gutachten zu den Aufenthaltserteilungen mehr interessieren.

     

    Wenn Länder bzw. Kommunen da größere Spielräume hätten, müssten doch einige Länder das auch nutzen können.

     

    Evtl. ist das Asylrecht tatsächlich eine Ebene niedriger wie die Bundesebene richtiger aufgehoben. Wenn die Länder diesbezüglich die finanziellen Mittel erhalten würden, würden zumindest die unschönen Szenen aus Dunkeldeutschland rund um Asylbewerberheime verschwinden. (Dafür verschwinden natürlich auch Teile meiner Steuergelder, die bislang in diese Länder geflossen sind.)

  • D
    D.J.

    Bei den Ablehnungszahlen ist doch lediglich relevant, ob sie zu Unrecht erfolgen oder nicht. Also ob trotz Verfolgung abgeschoben wurde/wird. No-Border-Aktivisten ist das natürlich völlig gleichgültig. Nicht denen, die für eine verantwortungsvolle Asylpolitik sind.

    Übrigens - und das weiß Herr Jakob natürlich - sagen Ablehnungszahlen nichts über Aufenthaltsmöglichkeiten aus humanitären Gründen aus.