Polizeigewalt: Misstrauensvotum gegen Polizei
40 Gruppen und Parteien verlangen die Auflösung der Göttinger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit: Die Beamten hätten sich brutal verhalten.
GÖTTINGEN taz | In Göttingen haben viele politisch Aktive die Nase voll von den Einsätzen der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) der Polizei: Einen offenen Brief, der die Abschaffung der dort stationierten Einheit fordert, haben über 40 politische Gruppen und Parteien unterzeichnet. „Eine Polizeieinheit, die während ihrer Einsätze immer wieder brachiale und unverhältnismäßige Gewalt einsetzt und zahlreiche Menschen verletzt hat, hat keine Existenzberechtigung“, heißt es darin. Und: „Die Abschaffung wäre kein Verlust für die Sicherheit der in Göttingen lebenden Menschen, sondern ein Gewinn!“
Aktueller Aufreger ist der Einsatz der Einheit gegen eine Sitzblockade, mit der Aktivisten am 10. April eine Abschiebung verhindern wollten. Es gab dabei viele Verletzte, zwei Aktivisten sollen gar das Bewusstsein verloren haben (die taz berichtete). Und der Einsatz war kein Einzelfall: Seit der Einführung der Spezialeinheit, die unter anderem auf Festnahmen von mutmaßlichen Straftätern aus Demonstrationen spezialisiert ist, geriet sie immer wieder für ihr kompromissloses Auftreten in die Kritik.
„Problematisch ist vor allem, dass sich am rabiaten Vorgehen der Einheit seit ihrer Gründung nichts geändert hat“, kommentierte Katrin Reuter, Ratsfrau der Grünen. „Bei Polizeieinsätzen muss die Angemessenheit der Mittel gewahrt und unnötige Gewalt vermieden werden. Die BFE scheint sich diesem Grundsatz nicht verpflichtet zu fühlen.“ Auch die Rats- und Kreistagsfraktionen der Grünen haben, ebenso wie die örtliche Linkspartei und die Jusos, den offenen Brief unterschrieben.
Strategisch günstig
Das niedersächsische Innenministerium wollte sich zu dem Brief nicht äußern und verwies an die Zentrale Polizeidirektion in Hannover. Von der Forderung nach der Abschaffung der Einheit hält man dort naturgemäß wenig: „Mit derartigen Überlegungen setzen wir uns aktuell nicht auseinander“, sagt Karsten Wolff von der Polizeidirektion.
Wolff betonte, dass die südniedersächsische Einheit aus „grundsätzlichen strategischen Überlegungen“ am Standort Göttingen sinnvoll sei. Bei ihrer Einführung durch den damaligen Innenminister Uwe Schünemann (CDU) 2012 sei es darum gegangen, insbesondere die Anfahrtswege zu Einsätzen bei Fußballspielen zu verkürzen. Dass es in Göttingen verhältnismäßig viele Demonstrationen gebe, habe keine Rolle gespielt.
Aus dem Mund des Hardliners Schünemann klang das noch anders: „Gerade im Hinblick auf das Konfliktpotenzial durch gewaltbereite Störer bei Demonstrationen ist die Einführung einer zusätzlichen BFE ein klares Signal für eine konsequente Sicherheitspolitik“, hatte der damalige Minister 2012 gesagt.
Inzwischen sei die BFE auf fast jeder Demo in Göttingen im Einsatz, sagt Roland Laich von der Initiative BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz: „Manchmal halten sie sich sehr zurück, manchmal treten sie sehr harsch auf.“ Die Entscheidung, ob eine BFE bei einer Demonstration in Göttingen eingesetzt wird, trifft die örtliche Polizei.
Den nächsten potenziellen Einsatzgrund für die BFE gibt es in Göttingen bereits am Mittwochabend: Linksradikale Gruppen haben zu einer antikapitalistischen und feministischen Demonstration in der Innenstadt aufgerufen. Die mitorganisierende Antifagruppe Redical M forderte die Polizei auf, die BFE dort nicht einzusetzen. „Die Erfahrung zeigt, dass ein ruhiger Demonstrationsverlauf möglich ist, wenn sich die Polizei auf verkehrsregelnde Maßnahmen beschränkt“, sagte eine Sprecherin. Vermutlich sieht die Göttinger Polizei das anders.
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