Proteste der Lampedusa-Flüchtlinge: Polizei löst Sitzblockade auf
Vor dem Hamburger Rathaus demonstrierten Lampedusa-Flüchtlinge für ein Bleiberecht. Die Polizei nahm einige von ihnen gewaltsam fest.
HAMBURG taz | Gewaltsam hat die Polizei am Donnerstag einen Sitzstreik der Lampedusa-Gruppe vor dem Rathaus aufgelöst und einzelne Flüchtlinge mit Handschellen abgeführt. Insgesamt hatten sich rund 70 Flüchtlinge dort am frühen Nachmittag auf den Boden gesetzt, um so für ein Recht auf Arbeit und ein Bleiberecht zu protestieren. Trotz mehrfacher Aufforderungen weigerten sie sich wieder aufzustehen. „Gebt uns eine Arbeitserlaubnis und Schlafmöglichkeiten, dann gehen wir“, sagte ein Sprecher.
Kurz darauf kamen Polizisten, drehten den Männern teilweise die Arme um und drückten sie bäuchlings auf den Boden, um ihnen Handschellen anzulegen. Andere wurden von den Beamten über den Platz geschleift, um sie dann abzuführen und in Gewahrsam zu nehmen. Mehrere Rettungswagen waren vor Ort, um Verletzte zu behandeln.
Bilder, die die Einsatzleiterin am Nachmittag noch vermeiden wollte. „Wenn wir räumen müssen, stehen wir alle blöd da“, sagte sie. Doch drei Mal ignorierten die Demonstranten das Ultimatum der Polizei, die Bannmeile zu verlassen. Die Polizei hatte die Versammlung zuvor für aufgelöst erklärt und die Personalienaufnahme angekündigt. Bis zum Abend habe es laut Polizei drei Festnahmen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gegeben, vier Menschen seien in Gewahrsam genommen worden.
Senat will keine Sonderrrechte gewähren
SPD-Fraktionschef Andreas Dressel hatte noch unmittelbar vor dem Einsatz versucht, die demonstrierenden Flüchtlinge zum Einlenken zu bewegen. Er überbrachte ihnen die Nachricht, dass der SPD-Senat und die Fraktion beschlossen hätten, die Frist für die Einzelfallprüfung bis zum 30. Juni zu verlängern.
Mit der Sitzblockade wollten die Flüchtlinge auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam machen: Sie leben seit Kurzem wieder auf der Straße. Ein Sprecher der Gruppe, dem in Italien Asyl gewährt wurde, sagte: „Warum es uns nicht freisteht, uns innerhalb Europas zu bewegen und hier zu arbeiten, wenn uns jemand Arbeit gibt, das müssen Sie die Regierung fragen.“ Der Hamburger Senat will der Gruppe jedoch keine Sonderrechte gewähren.
Nach über einem Jahr Protesten hat sich die Situation der rund 300 in Hamburg gestrandeten afrikanischen Flüchtlinge, die Europa über Lampedusa erreichten, wieder zugespitzt. Politiker von Linken und Grünen hatten sie zu einem Gespräch ins Rathaus eingeladen,
Rund 80 Flüchtlinge waren bis zum 2. Juni in Containern auf dem Gelände der St.-Pauli-Kirche und in anderen Hamburger Gemeinden untergekommen. Mit dem Auslaufen des Winternotprogramms mussten die verbliebenen 24 Afrikaner in öffentliche Quartiere umziehen, einige leben nun auf der Straße.
Der Hamburger SPD-Senat ging auf Forderungen nach einer pauschalen Anerkennung aus humanitären Gründen nach Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes nicht ein.
Auch innerhalb der Flüchtlingsgruppe gibt es unterschiedliche Vorstellungen über das weitere Vorgehen. Diejenigen, die sich bei der Ausländerbehörde gemeldet haben, sollen für die Zeit des Asylverfahrens einen Platz in einer Unterkunft bekommen.
Trotz des Versprechens, die Lampedusa-Flüchtlinge, die sich mit Namen bei den Behörden gemeldet haben, nicht abzuschieben, solange das Aufenthaltsverfahren läuft, ist Anfang der Woche bekannt geworden, dass mit Abdullah M. der erste Flüchtling nun eine Abschiebeanordnung erhalten. Neben M. hat nun noch ein weiterer Flüchtling der Lampedusa-Gruppe einen Abschiebebescheid bekommen.
Die beiden Männer gehören zu dem Teil der Gruppe, der sich auf das Versprechen des Hamburger Senats verlassen habe und sich freiwillig bei der Ausländerbehörde gemeldet hatte. Die Anordnungen zur Abschiebung kommen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das sagt, dass die Flüchtlinge nach Italien gehören. Denn dort haben sie bereits ein Asylverfahren durchlaufen.
Die kirchliche Einrichtung „Fluchtpunkt“ will die Abschiebungen verhindern und plädiert für ein Aufenthaltsrecht in Deutschland aus humanitären Gründen. Beide Fälle sollen am 16. Juni im Eingabenausschuss verhandelt werden.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen