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Kommentar Waffen für die KurdenDie verschärfte Merkel-Doktrin

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Große Koalition justiert die Außen- und Militärpolitik langsam, aber sicher neu. Zum Fürchten ist die Verlagerung von Kompetenz in die Exekutive.

Merkel will elastischer sein. Bild: reuters

V ielleicht sind wir schon so an die mittlere Temperatur der Merkel-Ära gewöhnt, dass einschneidende Änderungen gar nicht mehr auffallen. Die Große Koalition ist dabei, die Außen- und Militärpolitik neu zu justieren – langsam, aber zielgerichtet. Joachim Gauck redet deutschen Militäreinsätzen in Notfällen das Wort. Das Entscheidende ist, dass er für Einsätze bereits bei Verstößen gegen Menschenrechte plädiert – und nicht nur, wie in der Schutzveranwortung der UNO fixiert, bei Genoziden. Verletzungen der Menschenrechte – da öffnet sich ein weites Feld für Interventionen.

Unter Federführung von Volker Rühe brütet derzeit eine Kommission, wie sich der Parlamentsvorbehalt, der Bundeswehreinsätze so schwergängig macht, lockern lässt. Schwarz-Rot will nicht unbedingt Soldaten ins Ausland schicken – dafür ist das Desaster in Afghanistan noch zu präsent. Aber Merkel will elastischer sein. Da sind ewige prinzipielle Debatten und langwierige Verfahren lästig.

In dieses Bild passt, wie die Regierung die Waffenexporte aus Beständen der Bundeswehr in den Nordirak behandelt. Verteidigungsministerin von der Leyen hält diese Lieferungen für einen Tabubruch. Die Milan-Raketen für die Kurden sind die Eintrittkarte für eine verschärfte Version der Merkel-Doktrin. Bundeswehreinsätze? Lieber nicht. Doch wenn es im deutschen Interesse ist, werden großzügig Waffen exportiert und Ausbilder entsandt. Am Horizont taucht die Idee von Deutschland als Großmacht auf, die in Stellvertreterkriegen mitmischt.

Zum Fürchten sind nicht die Waffen für den Irak allein, da gibt es viele Argumente pro und contra. Zum Fürchten ist die kalte Verlagerung von Kompetenz in die Exekutive. Und die Verwandlung des Parlaments in eine Fassade.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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4 Kommentare

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  • "Und die Verwandlung des Parlaments in eine Fassade."

     

    Von einer Verwandlung würde ich da nicht sprechen, eher von einer Demaskierung. Das Parlament ist Mitte der 50er Jahre mit der Wiederbewaffnung erneut zum Wurmfortsatz eines militärisch-industriellen Komplexes verkommen, der sich einer demokratischen Kontrolle mittlerweile praktisch vollständig entzogen hat - ebenso wie auch die Geheimdienste. Auf dem Nährboden eines überwiegend zwangsneurotisch, wilhelminisch geprägten Grundgeistes füchtet der Bundesbürger jegliche Opposition mehr als die nichtssagende Alleinherrschaft von Großen Koalitionen und Schlimmerem. Das Harmonie-Modell der Parteien steht einer echten parlamentarischen Demokratie diametral gegenüber. Man könnte es auch so formulieren - Parteien und Demokratie, das klappt leider nie!

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Da soll noch einer sagen, Frau Merkel sitze alles aus: Nein, sie geht flott voran und hat heute am Weltfriedenstag und am Tag des Beginns des 2. Weltkriegs vor 75 Jahren, und nur einen Monat und 100 Jahre nach dem Einstieg Deutschlands in den 1. Weltkrieg im Parlament die erste Waffenlieferung Deutschlands in ein Kriegsgebiet beschließen lassen. Das ist Instinktlosigkeit hoch 10, und das ist offenbar das Versprechen an die Rüstungsindustrie, daß sich eben Krieg wieder lohnt (wie viele Journalisten berichten) und daß Deutschland am Ball bleiben möchte. Daß da auch passieren kann, wie N24 heute Abend schreibt: 'IS-Aktivisten erbeuten deutsche Raketen', das muss man dann schon in Kauf nehmen. Eine vollkommen verantwortungslose Regierung.

  • Dem Fazit dieses Kommentars kann ich nur zustimmen. Wie in Sachsen im Kleinen - in der heutigen Printausgabe vom selben Autor trefflich als "Demokratie ohne Sauerstoff" beschrieben - zeichnet sich auch im Bund eine ähnliche Tendenz ab: Die Regierung möchte durchregieren, gerade in den entscheidenden Fragen der Finanzökonomie ("Bankenrettung" = Ausrauben der Gesellschaft) und des staatlichen Gewaltmonopols ist es ihr am liebsten, es gibt keine lästigen Debatten im Parlament - und dies, obwohl die Opposition im Bundestag mittlerweile Zwergengröße erreicht hat. Gerade hinsichtlich des Gewaltmonopols - und zwar nach außen wie nach innen - ist jedoch stets größte Vorsicht und Kontrolle seitens des Souveräns angebracht. Es ist gut, daß eine Mehrheit der Deutschen Bundeswehreinsätze im Ausland ablehnt. Die Regierung weiß das und verläßt sich deshalb lieber auf die gehobene Ministerialbürokratie des Inneren und der Verteidigung. So werden parlamentarische, erst recht öffentliche Debatten verhindert. Dabei lädt das leidige Gewaltmonopol grundsätzlich auch demokratische Staaten zum Mißbrauch ein und die breite öffentliche Diskussion, wieviel Freiheit wir für vermeintliche Sicherheit aufgeben wollen, ist überfällig. In der Außenpolitik ist diese Sicherheit-für-Freiheit-Diskussion ohnehin fatal: Unsere Freiheit wurde nie am Hindukusch "verteidigt" und der Afghanistan-Feldzug war für alle, auch die Bundeswehr, ein einziges Desaster. Dieser groteske "Krieg gegen den Terror", an dem sich die BRD beteiligt, hat seit 2011 den Terrorismus weltweit angefacht und zur unkontrollierbar erscheinenden permanenten Bedrohung werden lassen.

    • @Albrecht Pohlmann:

      Gemeint war natürlich: Dieser groteske "Krieg gegen den Terror" [...] hat seit 2001 den Terrorismus weltweit angefacht und zur unkontrollierbar erscheinenden permanenten Bedrohung werden lassen.