Interview zur Demo „United Neighbours“: „Das ist eine humanitäre Verpflichtung“
Das Recht auf eine Wohnung ist das Thema der Demonstration „United Neighbours“, zu der Gruppen von Flüchtlings-Aktivisten am Samstag aufrufen.
taz: Frau Große*, unter dem Motto „United Neighbours“ wird am Samstag für das Recht auf Wohnung demonstriert – nicht nur für Zwangsgeräumte, sondern auch für Flüchtlinge. Sie beschäftigen sich damit beruflich – und teilen diese Forderung. Warum ist es wichtig, dass Flüchtlinge in Wohnungen statt Sammelunterkünften leben?
Unter dem Titel "United Neighbours" rufen am Samstag Flüchtlingsprotestgruppen und AktivistInnen gegen Zwangsräumungen und Verdrängung zu einer gemeinsamen Demonstration auf. Die Forderung nach Bleiberecht und die nach Wohnraum sind gleichermaßen Gegenstand der Demonstration, die "für eine Stadt der Menschlichkeit und Solidarität" eintritt, wie es im Aufruf heißt. Los geht es um 15 Uhr am Spreewaldplatz, die Abschlusskundgebung ist am Oranienplatz geplant.
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Anja Große*, 34, beschäftigt sich beruflich mit der Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnungen. Die Sozialarbeiterin arbeitete zuvor für verschiedene Träger im Bereich der Wohnungslosenhilfe.
Anja Große: Die isolierte Lage der meisten Sammelunterkünfte ist ein unglaubliches Integrationshindernis. Wenn sich gegenseitig fremde Menschen auf engstem Raum in gemeinsamen Zimmern leben müssen, birgt das außerdem großen sozialen Sprengstoff. Ich erlebe das oft in meiner Arbeit: Wenn wir Menschen eine Wohnung vermitteln, wirken sie danach wie ausgewechselt. Aus Frustration und Wut wird dann Freude und oft auch große Dankbarkeit.
In Berlin lebt mehr als die Hälfte der Flüchtlinge in Sammelunterkünften. Warum?
Es gibt viel zu wenig Wohnungen, die für Transferleistungsempfänger allgemein und damit auch für Flüchtlinge in Betracht kommen. Dazu kommen spezifische Probleme: Rassismus ist auch auf dem Wohnungsmarkt verbreitet, viele Vermieter verfügen zudem auch nicht über die rechtlichen Kenntnisse, um etwa mit einer Aufenthaltsgenehmigung etwas anfangen zu können.
Oft wird argumentiert, Berlin habe auch ohne Flüchtlinge schon genug Probleme, Wohnungslose unterzubringen. Stimmt das?
Natürlich: Auch in der Wohnungslosenhilfe habe ich erlebt, wie schwierig es ist, infrage kommende Wohnungen zu finden. Trotzdem denke ich, dass Deutschland eine humanitäre Verpflichtung hat, Flüchtlingen zu helfen. Dazu gehört auch die Bereitstellung von geeigneten Wohnungen.
Dem Anstieg der Flüchtlingszahlen will das Landesamt für Gesundheit und Soziales unter anderem mit dem Bau von Containerdörfern begegnen. Geht es nicht anders?
Jetzt gerade ist die Situation tatsächlich sehr akut, das liegt aber auch ganz klar daran, dass sich Berlin viel zu wenig vorbereitet hat. Die Konflikte, derentwegen die Flüchtlinge nach Berlin kommen, gibt es ja nicht erst seit gestern. Man muss auch sehen, dass die Flüchtlingszahlen in den 90er Jahren deutlich höher waren als heute – da wird gerade nach meinem Empfinden auch viel Populismus betrieben.
Was hätte Berlin davon, Flüchtlinge anders unterzubringen?
Neben den humanitären und sozialen Aspekten gibt es auch einen ganz gewaltigen finanziellen: Die Unterbringung in Wohnungen ist deutlich billiger als die in Sammelunterkünften, gerade in Berlin sollte das eigentlich ein wichtiges Argument sein.
Woran fehlt es dann?
Aus meiner Sicht ist das eine Frage des politischen Willens: Die Politik muss für bezahlbaren Wohnraum sorgen, die Abkehr vom sozialen Wohnungsbau hätte es nie geben dürfen. Sie muss aber auch Druck auf Wohnungsbaugesellschaften und Hausverwaltungen ausüben, damit diese Empfänger von Sozialleistungen nicht pauschal abweisen. Und sie muss Flüchtlinge bei der Wohnungssuche unterstützen – dieses Angebot gibt es bisher von staatlicher Seite viel zu wenig.
*Name geändert
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