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Kommentar V-Leute im NSU-UmfeldQuellenschutz verhindert Quellennutz

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Der Verfassungsschutz will die Aussage eines V-Mannes im NSU-Prozess verhindern. Damit wird das V-Leute-System selbst ad absurdum geführt.

14.10.2014: NSU-Prozess in München. Bild: dpa

D as NSU-Trio war, vor allem in seiner Frühphase, umgeben von V-Leuten des Verfassungsschutzes und wurde trotzdem nie gefasst. Kein Wunder, dass es abenteuerliche Spekulationen gab und gibt. Vor allem in rechten Kreisen hält man die NSU-Morde für eine Auftragsarbeit des Verfassungsschutzes. Das soll offensichtlich die Nazi-Szene entlasten, ist aber sehr unwahrscheinlich.

Wenig Hinweise gibt es auch für die These, dass der Verfassungsschutz die Nazi-Urheber der Morde kannte und die Polizei trotzdem weiter ihre vorurteilsgeladenen Ermittlungen gegen türkische Mafia-Kreise fortführen ließ.

Der stichhaltigste Vorwurf gegen den Verfassungsschutz lautet: Er hat gewusst oder hätte wissen können, wo sich die drei Neonazis Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe versteckten. Er wäre dann mitschuldig daran, dass die drei Untergetauchten nicht frühzeitig verhaftet wurden und stattdessen ihre Mordserie beginnen und fortsetzen konnten.

Ein zentraler V-Mann war Carsten Sz., alias Piatto, der demnächst im Münchner NSU-Prozess aussagen soll. An seiner Verpflichtung für staatliche Spitzeldienste gab es heftige Kritik, weil er bei einer Nazi-Attacke einen Mann fast getötet hatte. Heute wäre so eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich, heißt es, es gebe neue Richtlinien zur V-Mann-Anwerbung.

Das geht aber völlig am eigentlichen Problem vorbei. Zwar ist es moralisch sicher problematisch, wenn der Staat mit Typen wie Carsten Sz. kooperiert. Und es wäre sogar kriminell, wenn er bei Ermittlungen gedeckt wurde.

Führer und Vorgesetzte als Problem

Aber er war ein nützlicher V-Mann und lieferte wichtige Hinweise auf das NSU-Trio – die dann im Verfassungsschutz versandeten. Auch andere V-Leute im NSU-Umfeld haben durchaus brauchbare Tipps geliefert. Mit Blick auf das NSU-Desaster sind also nicht die V-Leute das Problem, sondern die V-Mann-Führer und vor allem ihre Vorgesetzten.

Der Schutz der eigenen Quellen scheint den Geheimdienstlern so wichtig gewesen zu sein, dass man die Informationen der Quellen lieber ungenutzt ließ. Damit hatte sich das V-Leute-System selbst ad absurdum geführt. Die Störmanöver des Verfassungsschutzes, der die Aussage von Carsten Sz. nun verhindern oder zumindest behindern will, machen umso neugieriger.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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5 Kommentare

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  • "Mit Blick auf das NSU-Desaster sind also nicht die V-Leute das Problem, sondern die V-Mann-Führer und vor allem ihre Vorgesetzten."

     

    Das ist m.M. so nicht richtig:

    a) V-Leute haben ihre eigenen Interessen, meist geht es um Geld und Straferleichertung oder sogar Schutz vor Verfolgung.

    b) V-Leute berichten selektiv! Deren Infos sind nie vollständig, viele fangen irgendwann an, aus dem Ruder zu laufen (Brandt).

    c) V-Leute erzeugen Nachrichten und Gefahreneinschätzungen, die gar nicht sowichtig sind, jedenfalls gemeßen mit dem Weg von Staatsschutz und Staatsanwaltschaft - da würde Schwarz-auf-Weiß viel mehr bei rauskommen.

    d) V-Leute können regelrecht zu einer Finanzierungsquelle für eine rechte Gruppe werden. Es gibt mehrere Hinweise darauf, dass Tino Brandt erst vom Staat in die Lage versetzt wurde, die rechte Szene in Thüringen so zu organisieren, weil er finanziell eigene, staatliche Mittel nutzen konnte.

     

    V-Leute sind m.M. aber auch falsch, weil der Verfassungsschutz immer die Information wählt, niemals die Strafverfolgung.

     

    Im Gegenteil man lässt Leute noch lange umherrennen, wenn sie Infos liefern. Die Bedeutung der Infos wird dann von den Referenten gezielt geschönt, damit die eigene Karriere weiterläuft.

     

    Und warum hat Bremen einen Geheimdienst? Wie gefährlich ist das Saarland? Gemeßen an echten Bedrohungsszenarien sind Geheimdienste in Deutschland in der Regel vollkommen überdimensioniert und gar nicht leistungsstark. Aber die V-Leute tragen viel zur Verschwendung und Wirkungslosigkeit bei, weil sie die Dienste von sich abhängig machen.

  • Einigermaßen erstaunlich ihr verharmlosender Kommentar. Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um im NSU-Fall eine gewisse strategische Kontinuität der Sicherheitsbehörden zu sehen. Das zieht sich wie ein roter Faden vom Oktoberfest-Attentat über die KuKluxKlan-Aktivitäten, den NSU bis zur Verharmlosung der rechten Fussball- und Hooliganszene. Ermittelnde Polizisten waren Mitglied im KuKluxKlan, der Mord an der Polizistin Kiesewetter bis heute nicht aufgeklärt, der Leiter des Thüringer Verfassungsschutzes ein offen Rechtsradikaler. Es ist offensichtlich, dass es klandestine Verbindungen zwischen der Rechtsradikalen Szene und den Sicherheitsbehörden gibt. Haben Sie schon mal was von der Strategie der Spannungen gehört, eine geheimdienstliche Strategie mit Hilfe der Nato-Geheimarmeen in Italien und vermutlich auch 1980 in München. Die Zusammenarbeit Rechtsradikaler mit Sicherheitsbehörden ist eine Tatsache und der Verfassungsschutz müsste umgehend aufgelöst werden und keiner der dort Beschäftigten dürfte jemals wieder im Sicherheitsapparat beschäftigt werden. Das gleiche gilt für den BND. Aber diesen verkommenen antidemokratischen, Demokratie und Verfassung gefährdenden Verein zu unterschätzen ist nicht gerade von Wissen und Recherche gezeichnet.

  • Sehr geehrter Herr Rath, Sie wissen aber schon, daß bis heute gegen Böhnhardt und Mundlos keinerlei stichhaltige Beweise präsentiert worden sind und die Indizien, die vor dem OLG München vorgebracht wurden, großenteils auf Asservaten beruhen, die sich in ungeheurer Menge im Schutt zweier Brände fanden, die eigentlich - so wird behauptet - von den vermeintlichen Tätern zur Beweismittelvernichtung gelegt worden sind. Sie wissen ebenfalls, daß seit Monaten die Ermittlungsakten des BKA, die den Verfahrensbeteiligten in München vorliegen, geleakt werden. Hieraus ergeben sich massive Beweismanipulationen und -fälschungen, Zeugenbeeinflussungen, Anweisungen, bestimmten Spuren nicht nachzugehen, usw. usf. Als Abonnent der TAZ seit nahezu einem Vierteljahrhundert nehme ich für mich in Anspruch, nicht zu jenen "rechten Kreisen" zu gehören, die Sie nennen. Mir geht es um die offensichtliche Unglaubwürdigkeit der staatlich verbreiteten Version vom NSU-Komplex - die ist eine Beleidigung der Intelligenz. Warum kann nicht wenigstens die TAZ kritisch bleiben gegenüber der staatlichen Verschwörungstheorie? Was ist mit euch los - glaubt ihr, gestandene, gescheite linke Journalisten tatsächlich dieses NSU-Märchen?

    Der Kommentar wird wie stets per Screenshot gesichert.

    • @Albrecht Pohlmann:

      Weil "man" das wohl, trotz aller widersprüche., glauben will?

      Und man muss nicht "rechts" sein, es reicht ein wenig Kompetenz in kriminaltechnischen Dingen.

       

      Schließlich gibt es zu den fraglichen Aspekten ja durchaus fachlich qualifizierten Widerspruch, nur fehlt da den Medien allgemein die Bewertungskompetenz. Es ist dabei für den Laien auch nicht einfach "VT" von begründetem Zweifel zu trennen.

       

      Glück auf!

       

      Karl

  • Sorry Herr Rath -

     

    "…Aber er war ein nützlicher V-Mann und lieferte wichtige Hinweise auf das NSU-Trio – die dann im Verfassungsschutz versandeten. Auch andere V-Leute im NSU-Umfeld haben durchaus brauchbare Tipps geliefert. Mit Blick auf das NSU-Desaster sind also nicht die V-Leute das Problem, sondern die V-Mann-Führer und vor allem ihre Vorgesetzten.…"

     

    meinen Sie das in echt?

    einfach nochmal in Ruhe und mit Abstand

    durchlesen - …?

     

    liest sich wie - right or wrong - my country -!

    Mit Verlaub -

    Rechtsstaat liest sich nach

    meinem Dafürhalten - deutlich anders.