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Rückständige VerkehrsanbindungEndstation Sehnsucht

In Bremerhaven verhandelt die Bahn mit dem Bremer Senat über den Ausbau des Verkehrsnetzes. Die Seestadt liebäugelt mit einem Anschluss an das IC-Netz.

Von wegen schlecht angebunden: Hochgeschwindigkeitszüge fahren von Bremerhaven nach China. Bild: Siemens

BREMEN taz | Wenn irgendwer mit der Deutschen Bahn noch eine Rechnung offen hat, sind es sicher die Bremerhavener. Denn genau genommen war es das Verkehrsunternehmen, das die laut Zensus immerhin 108.156 Einwohner zählende Großstadt mit einem Handstreich zum Kaff degradierte: Im Sommer 2001 schnitt es Bremerhaven nicht nur vom Fernverkehr ab, sondern auch von der Höhe der Zeit.

Bei einem Treffen am Mittwoch verhandelten die Bahn-Vorstände und der Bremer Senat über eine erneute direkte Anbindung Bremerhavens an das Fernverkehrsnetz. Kommt die Stadt endlich wieder an das Intercity- oder ICE-Netz? Das forderte zumindest Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD) von der Bahn wie auch bessere Anschlussverbindungen für Züge aus Bremerhaven.

Das Gefühl schlecht weggekommen zu sein, ist auch an den Bremerhavener nicht spurlos vorbeigegangen. Eine paar Jugendliche stehen an diesem Donnerstagmorgen auf dem Bahnsteig, sie warten auf die Regio-S-Bahn der Nordwestbahn (NWB). Sie hat 15 Minuten Verspätung, wie auf der Anzeigetafel steht.

Einer erhebt die Stimme: „Mann, wir sind hier in Bremerhaven, du weißt doch, hier kommen nur die Leute an, die das Arbeitsamt in Bremen aussortiert hat.“ Ein Frau dreht sich um und hebt die Achseln.

Der Bahngipfel

Über eine Anbindung Bremerhavens an den Fernverkehr, den Ausbau von Schieneninfrastruktur und Lärmschutz haben Bremer Senat und Bahn-Vorstände am Mittwoch in Bremerhaven verhandelt.

138 Millionen Euro will die Bahn laut Bahnchef Rüdiger Grube bis 2018 in den Ausbau des Bremer Bahnnetzes investieren.

Um Bremen zu entlasten, sollen bis Ende 2015 auch auf der Strecke Bremerhaven-Bremervörde-Rotenburg/Wümme der Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser (EVB) Güterzüge rollen.

Mit der Forderung Bremerhaven wieder an das ICE/IC-Netz anzuschließen, ist Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD) bislang auf einsamem Posten.

Um den Lärm zu reduzieren, will die Bahn bis Ende 2020 rund 60.000 Bestandsgüterwagen mit leisen Kunststoffsohlen ausrüsten und das Lärmsanierungsprogramm in Bremen fortsetzen.

Während man hier früher mit dem ICE nach München oder dem Interregio nach Bonn fahren konnte, erfordern die Verbindungen zwischen Bremerhaven und Bremen heute nicht nur Geduld, sondern sind mit zwölf Euro auch noch teuer. Die Bahncard ist wegen des Verkehrsbundes nicht einsetzbar.

In letzter Zeit häufen sich die Verspätungen. Für die 62 Kilometer lange Strecke nach Bremen, eigentlich für Geschwindigkeiten von bis zu 160 Stundenkilometer zugelassen, braucht man heute 48 Minuten mit der NWB. Zu Stoßzeiten bedeutet das – mindestens für die größer Geratenen unter uns fast 50 Minuten Pein für die Kniescheiben, sie müssen gegen den Vordersitz gedrückt auszuharren. In der Vorweihnachtszeit wird es gelegentlich noch länger dauern: Denn bis zum 23. Dezember ist der Zugverkehr in beiden Richtungen immer wieder stark eingeschränkt, Streckenabschnitte nur eingleisig befahrbar. Denn die Bahn lässt hier Gleise und Brücken erneuern.

In Bremerhaven lässt sich heute im negativen Sinne gewahr werden, warum die Bahn einmal zum Symbol des Fortschritts wurde. Denn wo nur noch Bummelzüge einrollen, ist man längst aber eben unfreiwillig entschleunigt. Was zählt schon der Personenverkehr, könnte man sagen, wo es unzählige Waren, vor allem in Gestalt von Containern und Autos von und zum Bremerhavener Seehafen zu transportieren gilt. Mindestens als solche kommen auch heute noch richtige Hochgeschwindigkeitszüge in die Stadt – auf ihrem Weg nach China.

Denn immerhin ist Bremerhaven nach Rotterdam, Hamburg und Antwerpen der viertgrößte Universalhafen Europas. Um die bremischen Häfen wettbewerbsfähig zu halten, haben sich Bahn-Vorstände und Bremens Senatsvertreter auf einen Ausbau des Bahnnetzes verständigt. Stolze 138 Millionen Euro will die Bahn dafür in die Hand nehmen und den Lärmschutz intensivieren.

Mit seiner Forderung nach einer IC-Anbindung allerdings stand Bremerhavens Oberbürgermeister allein auf weiter Flur da. Dabei hätte die Bahn da ja eigentlich noch was geradezubiegen.

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