Dragon Age: Inquisition im Test: Vorsicht, Kastration!
Unsere AutorInnen spielen ein Computerspiel anhand eines literarischen Vorbildes. Dieses Mal im Test: Glaube, Überwachung und Sex
Von einem Gott erwählt zu werden gehört zu den unangenehmeren Dingen, die einem im Leben passieren können. Jesus – ans Kreuz genagelt. Herkules – von der eigenen Frau vergiftet. Und in Walhalla müssen die von Odin ausgesuchten Geister tapferer Krieger jeden Tag aufs Neue kämpfen, bis sie zum Weltuntergang endlich gegen das Böse antreten dürfen – und verlieren. Das Dasein als Erwählter ist also mindestens mühevoll, oft tödlich.
Die Geschichte eines Messias erzählt das Rollenspiel „Dragon Age: Inquisition“. Die höchsten geistlichen Würdenträger der Welt versammeln sich, um einen ausufernden Bürgerkrieg zu beenden. Sie alle kommen bei einer Explosion um; nur die vom Spieler gelenkte Hauptfigur überlebt. Sie gilt danach als Abgesandter göttlicher Mächte. Der Terroranschlag hat Löcher in die Realität gerissen, aus denen Dämonisches in die Welt drängt, und nur der Überlebende kann diese Risse schließen.
Fortan schart man Anhänger um sich und sucht nach mächtigen Verbündeten, lässt bezirzen, bestechen und ermorden und stellt eine religiöse Massenbewegung auf die Beine – die Inquisition. Das Ziel ist die Rettung der Welt, wie edel oder hinterfotzig man dabei vorgeht, obliegt dem eigenen Ermessen.
Angesichts der zu erwartenden Viecher aus der Dämonenwelt, den höfischen Intrigen und den Konflikten mit der sich von der Inquisition bedroht sehenden Kirche ein ziemliches Stück Arbeit, dass über 100 Stunden Spielzeit dauern kann. Einer der Gefährten, die man während des Spiels einsammelt, fragt daher, ob man nicht lieber weglaufen wolle.
Die Idee: Einmal im Monat spielen taz-AutorInnen Computer und lesen die passende Literatur zum Spiel - von Kriminalroman bis politische Theorie
Die Frage: Was können die Spielerinnen vom analogen Vorbild fürs digitale lernen?
Das Spiel: Das Rollenspiel Dragon Age: Inquisition. In Deutschland erschienen am 20.11.2014. Der dritte Teil der Dragon-Age-Serie verkaufte sich innerhalb einer Woche über eine Million Mal. Für Windows PC, PlayStation 3 & 4, Xbox One & 360
Die Literatur: Kingsley Amis: „Die Verwandlung“, Heyne-Verlag 1986
Kann man seinem Schicksal entkommen, seinem Gott? Und gibt es folglich so etwas wie Bestimmung? Das verhandelt der Brite Kingsley Amis in „Die Verwandlung“, einem zum Klassiker gewordenen, 1976 veröffentlichten Roman über eine alternative Realität, in der die katholische Kirche den größten Teil der Welt noch im festen Griff hat. Die Reformation hat es nie gegeben, Luther ging nach Rom und wurde Papst. Der Auserwählte ist bei Amis ein Knabe, Hubert Anvil, der so bezaubernd singt, dass ihn der Papst bittet, er möge seine von Gott gegebene Stimme in den Dienst der Kirche stellen. Um seinen Sopran zu erhalten, müsse Anvil allerdings kastriert werden.
Entmannt und verblutet
Die Bitte des Papstes ist natürlich keine. Wer sich ihr entgegenstellt, findet sich selbst schnell entmannt und verblutend am Fuße einer Treppe wieder. Nach anfänglichem Ringen mit sich selbst und seinem Glauben versucht Anvil zu fliehen in eines der wenigen Länder, in dem die Kirche keinen Einfluss hat.
Spiel und Roman gemein ist die Annahme von einer Welt, deren größte Angst die vor dem Zerfall und dem Chaos ist. In der „Verwandlung“ lauert außen an den Grenzen der katholischen Christenheit der Türke, eine Macht, die, so sagt es ein Kirchenmann, „niemals zerschmettert und nur in Schach gehalten werden kann“.
Und im Inneren droht die Wissenschaft, die Idee vom selbstständigen Denken, die überkommene Ordnung zu vernichten. In der Welt von „Dragon Age“ sind es statt der Türken die Dämonen, die an den Grenzen der Realität lauern, jederzeit bereit, in die Welt der Menschen vorzudringen. Besonders Magier sind gefährdet, von den Wesenheiten „jenseits des Schleiers“ übernommen zu werden, sie gelten deshalb vielen Menschen als potenzielle Gefahr, als Schläfer, bei denen es nur eine Frage der Zeit ist, bis das Böse in ihnen hervorbricht und sie zu Mördern macht.
Sie werden in Türmen kaserniert und von einem Orden der Kirche überwacht, der bereit ist, sie bei Anzeichen von Gefahr zu töten. Sie sind verurteilt, bevor sie auch nur die Chance haben, ein Verbrechen zu begehen.
Sicherheit statt Freiheit
Die Völker beider Welten haben Sicherheit gegen persönliche Freiheit getauscht. Die vermeintliche Gewissheit der Ruhe im Inneren der Gemeinschaft ist der Lohn dafür, dass alles außerhalb als fremd und feindlich gelten muss. Ebenso gewiss ist, das alles Widerständige im Inneren gnadenlos ausgemerzt gehört. Den Russen unter Putin, den Chinesen mit ihrerm Einparteienkapitalismus wird solches Denken und Handeln des Öfteren vorgeworfen, letztlich ist es aber die grundlegende Formel für jeden Überwachungsstaat. Und sowohl Spiel als auch Roman stellen die Frage, ob der Tausch persönlicher Freiheit gegen Sicherheit und Ordnung tatsächlich ein so übler ist. Die Kirche sei das Einzige, was die Menschen und Staaten miteinander verbinde, sagt eine der Anführerinnen der Inquisition in „Dragon Age“.Ohne sie drohe Kampf und vielfacher Tod.
Das Christentum sei in den vergangenen Jahrhunderten „eine Tyrannei besonderer Art gewesen“, so heißt es in der Verwandlung. „Mittels der Seele beherrschte es die Gedanken der meisten und die Handlungen aller. Infolgedessen hat es in ganz Europa keine Kriege gegeben.“
Ist eine Welt in Stase, in ewigem Gleichgewicht, nicht einer vorzuziehen, die vom Gedanken an Fortschritt und Entwicklung ständig in Umwälzungen und Konflikte getrieben wird? Zumal in der mittelalterlichen Welt von „Dragon Age“ Dinge möglich sind, die in der realen Moderne utopisch erscheinen: Frauen sind gleich gestellt, bekleiden hohe Ämter, leisten Militärdienst. Weil die Prophetin der Kirche – eine Mischung aus dem Krieger Mohammed und dem freiwilligen Opfer Jesus Christus – eine Frau war, sind auch alle kirchlichen Würdenträgerinnen weiblich.
Schlafen darf jeder weitestgehend, mit wem er möchte. In „Dragon Age“ kann der Hauptcharakter Romanzen haben, wenn er oder sie sich ausreichend interessiert an den Gefährtinnen zeigt. Homosexuelle Beziehungen mit den vom Computer gesteuerten Figuren waren in allen Teilen des Spiels möglich, denn viele der Nichtspielercharaktere waren bisexuell. Aufregung gibt es darüber regelmäßig. Außerhalb des Spiels, in unserer Realität.
Verstecken geht nicht
Der dritte Teil ließ die Diskussionsforen im Internet noch heißer laufen als sonst, weil man sich zum ersten Mal in einen rein schwulen und einen rein lesbischen Charakter verlieben kann, Küssen und Sex inklusive. In Indien, Bangladesch und Pakistan soll das Spiel nicht verkauft werden, die Facebook- und Onlinekommentare vieler LeserInnen weltweit zeigen ein hohes Maß an Unbehagen.
Die Kirche in „Die Verwandlung“ ist da weitaus traditioneller, Sex ist nur in der Ehe erlaubt, und auch sonst gilt das Primat alles Männlichen. Aber auch sie bietet eine echte Alternative zur Leistungsgesellschaft – hier kennt jeder seinen Platz und bleibt dort auch, ob Bauer oder Adliger. Entfremdung? Gibt es in solch wohlsortiertem Leben nicht. Keine ganz unbekannte Sehnsucht im so gern als schnelllebig beschriebenen Hier und Jetzt. Menschen, die "Landlust" abonniert haben, könnte auch diese Welt gefallen.
Der Junge Hubert Anvil kann nur weglaufen und sich verstecken. Der Spielcharakter in „DragonAge" kann das nicht, denn sonst geht es schlicht im Spiel nicht weiter. Der Sängerknabe flieht gerade einmal 100 Seiten lang, als Inquisitor kämpft und intrigiert man Wochen oder gar Monate. Anvil personifiziert die Ohnmacht in Gestalt eines kleinen Jungen. Der oder die Inquisitorin wird zum mächtigsten sterblichen Wesen seiner Zeit. Und doch entkommen sie beide der Kirche nicht. Ihr kann man nicht entfliehen. Und sie ist auch nicht zu vernichten.
Das Bedürfnis nach Sicherheit ist einfach zu stark. Letztendlich wollen die Menschen keine Freiheit, sondern jemanden, der sie beschützt.
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