piwik no script img

Islamisches Selbstvertrauen„Es gibt ein Problem“

Die Schura Hamburg über den Umgang des Islam mit Extremismus. Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur spricht über Pegida, Radikalisierung und Abschottung

Katajun Amirpur im Gespräch über Muslime in Deutschland. Bild: Privat
Friederike Gräff
Interview von Friederike Gräff

taz: Frau Amirpur, bedeutet es eine Zeitenwende, dass die Schura in Hamburg fragt, wie sie den Ursachen von Islamismus entgegentreten kann?

Katajun Amirpur: Das würde ich so nicht sagen. Es ist zwar eine breit anlegte Konferenz am Wochenende, aber in den letzten Jahren hat sich die Schura vielfältig mit dem Phänomen beschäftigt. Das hat sicher auch damit zu tun, dass die Attentäter des 11. September aus Hamburg stammten und man sich fragte: Warum haben wir nicht bemerkt, dass sie unter uns waren?

Wie sieht diese Arbeit aus?

Im Interview: Katajun Amirpur

43, ist Professorin der Hamburger Akademie der Weltreligionen und spricht Samstag über "Muslime in Deutschland in Zeiten des IS-Terrors".

Imam Abu Ahmad Jakobi gibt schon lange Kurse, in denen er Studierende auf die Gefahren des Extremismus hinweist. Auch der Staatsvertrag zwischen muslimischen Gemeinden und dem Land Hamburg ist eine Initiative, um zu zeigen: Wir sind gegen extremistische Haltungen und wir wollen einen Religionsunterricht für alle.

Ist diese Beschäftigung mit Extremismus auf beiden Seiten auch Ausdruck eines gewachsenen Selbstbewusstseins der Gemeinden?

Es ist ein wichtiger Punkt, genügend Selbstbewusstsein zu haben, um zu sagen: Es gibt da ein Problem und man kann nicht einfach sagen, das hat mit dem Islam nichts zu tun. Man muss sagen, warum es mit dem Islam nichts zu tun hat. Und wir haben theologische Ressourcen, um uns dem entgegenzustellen. Wobei immer wieder eingefordert wird, dass sich die Muslime vom Terror distanzieren – aber kaum jemand nimmt wahr, dass es ständig geschieht. Erst im September gab es eine Erklärung von 140 muslimischen Geistlichen aus aller Welt an den selbst ernannten Kalifen von Bagdad, die darlegte, dass das, was der islamische Staat tut, islamisch nicht zu rechtfertigen ist. Das ist ein gigantisches Manifest – niemand hat es wahrgenommen.

Liegt in der gegenwärtigen Polarisierung auch die Chance, Positionen klar zu machen? Bei der Mehrheitsgesellschaft, sich zum Islam in Deutschland zu bekennen, und bei den Muslimen, ihr religiöses Verständnis zu klären?

Ein klares Jein, würde ich sagen. Bestimmte Dinge werden durch Pegida geklärt. So fürchterlich ich diese Aufmärsche finde, so großartig sind die Gegendemonstrationen: Ich komme gebürtig aus Köln und als ich am Montag das Bild der Altstadt im Dunkeln sah, dachte ich schon: Wahnsinn, dass so viele Leute gegen Pegida auf die Straße gehen. Liest man andererseits die neue Bertelsmann-Studie zu Muslimen in Deutschland, wird deutlich, dass es die sogenannten Bio-Deutschen sind, die sich zunehmend abschotten, während die Muslime ausgesprochen zufrieden mit diesem Staat sind. Sie haben mehr Vertrauen in Polizei und Justiz.

Das heißt, die Verunsicherung liegt bei den Bio-Deutschen?

Natürlich sind auch all die jungen Muslime verunsichert, die offensichtlich verlorengegangen sind und bei denen man sich fragt: Warum hat es hier nicht geklappt? Warum schätzen es etwa diese jungen Frauen nicht, ein gleichberechtigtes Leben führen zu können und begeben sich lieber in den Irak, um sich dort verheiraten zu lassen?

Haben Sie eine Erklärung?

Zum Teil kann man es damit erklären, dass man selbst mit einem guten Abschluss mehr Probleme hat, eine Stelle oder eine Wohnung zu bekommen, wenn man Yüksel heißt und nicht Müller. Aber das kann nur ein Teil des Ganzen sein.

Das Verstörende ist doch, dass es zum Teil Leute mit guten beruflichen Perspektiven sind, die sich radikalisieren.

Die aber zum Teil das Gefühl haben: Egal, wie sehr sie sich anstrengen, sie gehören nicht richtig dazu. Das klingt blöde nach Opferdiskurs, aber es gibt Dinge, die immer wieder passieren: Leute, die einem sagen: „Sie sprechen aber gut Deutsch“ oder „Wann gehen Sie zurück?“. Vor 30 Jahren hätte man das verstanden, aber jetzt? Meine Mutter ist Deutsche, wir sind in der dritten Generation hier und als meine Tochter in der zweiten Klasse einen Lesewettbewerb gewonnen hat, sagten die Veranstalter: Wir finden es toll, dass ein Kind mit einem ausländischen Hintergrund gewonnen hat.

Und dabei ist es fatalerweise gut gemeint.

Man kann dem wenig entgegnen. Es ist eine Form von: Ihr werdet nie dazugehören. Seit die Türken durch die Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts Deutsche sind, macht sich das viel stärker am Islam fest. Und: Muslime sind in den letzten Jahren so selbstbewusst geworden, dass sie andere Positionen einfordern. Es sind jetzt nicht mehr Putzfrauen mit Kopftuch, sondern Anwältinnen und Ärztinnen.

Tagung „Extremismus als islamische und gesellschaftliche Herausforderung“: Sa, 9.45 bis 17.30 Uhr, Islamisches Zentrum Hamburg, Schöne Aussicht 36

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Es ist gut, wenn Muslime erkennen, dass der Dschihadisten-Terror ein Problem ihrer Religion ist.

    Die Fatwa des Ayatolla schränkt nicht nur die Meinungsfreiheit des Herrn Salman Rushdie ein, sondern die aller Muslime, und sie fordert auch von einem großen Teil der Muslime, zum Mörder an Herrn Rushdie zu werden, was natürlich 99,99% der Muslime nicht wollen. In den letzten Jahren sind auf dem Boden des zu 99,99% friedlichen Islam in Deutschland hunderte von Dschihadisten gewachsen, die in den Krieg in Syrien ziehen, um dort im Namen des Islamischen Staats vorwiegend andere Muslime zu massakrieren. Es liegt also zuerst im Interesse der Muslime selbst, das Problem des Islamismus zu bekämpfen. Davon merkt aber der nicht-muslimische Bio-Deutsche (=taz-Leser) wenig, und noch weniger der Bild-Deutsche. Den Vorwurf, das Manifest der muslimischen Geistlichen gegen IS sei nicht beachtet worden, richten Sie doch bitte an die muslimische Gemeinde, Frau Amirpur. Das Programm zur Tagung „Extremismus als islamische und gesellschaftliche Herausforderung“ im Islamischen Zentrum Hamburg ist übrigens nicht im Internet aufrufbar.

    Besser wäre es, wenn muslimische Experten den deutschen Nicht-Muslimen erklärten, woher der Islamismus kommt, und was mensch gemeinsam dagegen tun kann. Im Islamischen Zentrum aufstehen und sagen: Wir sind Salman, wir sind Charlie?

  • "Liest man andererseits die neue Bertelsmann-Studie zu Muslimen in Deutschland, wird deutlich, dass es die sogenannten Bio-Deutschen sind, die sich zunehmend abschotten, während die Muslime ausgesprochen zufrieden mit diesem Staat sind. Sie haben mehr Vertrauen in Polizei und Justiz."

     

    Viele Muslime erleben und erlebten Deutschland als ein rechtsstaatliches Paradies. Das hat freilich auch damit zu tun, dass in den meisten islamischen Ländern Rechtsstaatlichkeit und Freiheitsrechte nicht wirklich vorhanden sind. Gerade um die Pressefreiheit steht es nicht gut, gerade mal Kurdistan und der Libanon haben eine freie Presse und wollen das auch. Bei fast allen Ländern variiert das stark: Die Türkei zum Beispiel ist auf dem Weg das intoleranteste Land der Welt zu werden.