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Interview mit Innensenator Mäurer„Uns hat die Realität eingeholt“

Warum es in der Ausländerbehörde zu langen Wartezeiten kam und wie er das ändern will, erklärt Innensenator Mäurer im Interview.

Innensenator Ulrich Mäurer: "Verstärkung ist unumgänglich." Bild: dpa

BREMEN taz | taz: Herr Mäurer, Sie haben Ende vergangener Woche auf die langen Wartezeiten vor der Ausländerbehörde reagiert und angewiesen, es werde ab sofort niemand mehr abgewiesen, ohne dass sein Anliegen bearbeitet wird. Hat das funktioniert?

Ulrich Mäurer: Am Montagmorgen waren die Leiterin des Stadtamtes und die Leiterin der Abteilung für Aufenthalt und Einbürgerung ab vier Uhr da. Sie haben veranlasst, dass alle Laufkunden auch schon ab diesem Zeitpunkt vom Sicherheitsdienst eingelassen wurden und eine Wartemarke erhalten haben, mit dem Hinweis, dass sie bis zur Öffnung des Servicepoints um 8 Uhr auch wieder gehen können, wenn sie dies möchten. Wir appellieren an alle, dass sie für ihr Anliegen einen Termin vereinbaren. Das kennt jeder: Wenn Sie spontan zum Arzt wollen, sitzen Sie in einem überfüllten Wartezimmer. Bei der Masse unserer Kunden klappt das nur gut mit einem Termin. Zudem gibt es Sprachprobleme, unsere Verwaltung ist möglicherweise für viele unbekannt und unüberschaubar.

Machen die MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde dafür nun Überstunden?

Die Annahme aller Kunden, die ohne Termin vorsprechen, ist aktuell nur durch ein besonderes Engagement der Mitarbeiter möglich – andere Aufgaben werden aktuell zurückgestellt. Letztendlich muss das Stadtamt das vor Ort organisieren, die sind kompetent und kriegen das hin.

Ulrich Mäurer

63, ist seit 2008 Bremens Senator für Inneres und Sport. Davor war er elf Jahre lang Staatsrat im Justizressort. Seit 1970 ist Mäurer in der SPD.

Wieso haben Sie nicht schon früher auf die langen Wartezeiten reagiert? Die erhöhten Flüchtlingszahlen waren doch absehbar …

Es ist kein ganz neues Problem, aber zum Jahresende war es noch entspannter. Das Stadtamt macht ja schon anderthalb Stunden früher auf, damit die Wartenden nicht frieren müssen. Aber, wenn Personen schon um vier Uhr früh anstehen, dann ist das eine Situation, auf die man reagieren muss.

Auch wenn man einen Termin in der Ausländerbehörde hat, kann die Wartezeit bis dahin drei, manchmal fünf Monate betragen. Was, wenn jemand ganz aktuell ein Jobangebot hat und eine Arbeitserlaubnis braucht?

Notfälle werden immer bearbeitet, das ist gewährleistet. Wenn eine Aufenthaltserlaubnis abläuft, kommt die Mitteilung gleich mit einem Terminvorschlag. Da muss man nicht nachts anstehen. Es ist ein Kommunikationsproblem. Es gibt auch die Servicenummer 361-88630, bei der man anrufen kann um einen Termin zu bekommen.

Die telefonische Erreichbarkeit in der Ausländerbehörde ist nach wie vor ein großes Problem.

Als ich vor ein paar Tagen meinen Telefonanschluss ändern musste, war ich bei der Telekom auch lange in der Warteschleife. Es muss besser werden, daran arbeiten wir. Aber gemessen an den bescheidenden Mitteln, die wir haben, strengen sich die Mitarbeiter sehr an.

Wie erklären Sie, dass es überhaupt zu diesen langen Wartezeiten kam?

Wir nehmen bei der normalen Verteilung der Flüchtlinge etwa ein Prozent im Bundesgebiet auf, das kann man planen und steuern. Dann kamen aber eine Vielzahl von Menschen, die illegal nach Deutschland einreisen und gar keinen Asylantrag stellen, sondern die eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis direkt bei der Ausländerbehörde beantragen. Dazu kamen noch etwa 350 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Da hat uns die Realität eingeholt. Wir haben keine Möglichkeit, deren Zuzug zu steuern. Gegenwärtig bleiben die dort, wo sie ankommen. Das verschärft die Lage. Deswegen bemühen wir uns nun auch darum, dass sie auf die Bundesländer verteilt werden.

Dieses Vorhaben wird kritisiert, weil die minderjährigen Flüchtlinge wegen des Vorrangs des Kindeswohls unter besonderem Schutz stehen und deshalb nicht verteilt werden. Warum lässt sich das nicht einfach finanziell ausgleichen?

Mit dem Kindeswohl hat das nichts zu tun. Es sind ja eher ältere Jugendliche. Die Situation wird für sie auch nicht besser, wenn sie in überfüllten Heimen sitzen. Es kann auf Dauer so nicht gehen, dass die Stadtstaaten damit alleine gelassen werden. Eine Steuerung ist notwendig, weil wir 2015 nicht weniger Probleme haben werden als 2014.

In der Ausländerbehörde soll nun dauerhaft das Personal aufgestockt werden. Wird der Etat erhöht?

Wir wissen, dass wir das Flüchtlingsproblem nicht ohne Kosten bewältigen können. Eine Personalverstärkung ist unumgänglich, das alleine reicht aber eben nicht. Das Problem ist: Es gibt keinen echten Markt für Verwaltungsbeamte. Das ist wie bei der Polizei: Wenn Sie wegen der aktuellen Terrorlage beschließen, 50 Beamte mehr in den Dienst zu stellen, müssen Sie drei Jahre warten. Wir versuchen einzustellen. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sucht aktuell aber hunderte neue Mitarbeiter für die Asylverfahren. Der Rückstand ist gigantisch. Und der Bund zahlt besser als wir, das macht es nicht leichter. Deswegen haben wir pragmatische Dinge vorgeschlagen, um Personal zu binden. Wir versuchen, Nachwuchs zeitnah zu übernehmen und auch befristete Kräfte dauerhaft zu beschäftigen, außerdem sollte es die Möglichkeit geben aufzustocken, denn viele Frauen arbeiten bislang nur halbtags.

Sie wollen auch die aufenthaltsrechtliche Beratung in den Flüchtlingseinrichtungen ausbauen. Bislang gibt es in Bremen nur eine Stelle bei der AWO, die für eine unabhängige Asylverfahrensberatung vorgesehen ist …

Ich kann nicht sagen, ob es ein oder zwei Stellen sind. Das Stadtamt geht auf die Einrichtungen zu und das kann immer noch besser werden. Wir wollen schon dort viele überzeugen, einen Termin zu vereinbaren. Bei Hunderttausenden von Kundinnen und Kunden, die das Stadtamt insgesamt – nicht nur die Ausländerbehörde – zu bewältigen hat, können Sie sich vorstellen, welche Herausforderung es ist, wenn da ein großer Teil spontan kommt. Es ist ja die Behörde mit den meisten Kunden überhaupt, mit 500.000 Kunden im Jahr.

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