Franziska Giffey: Eine Migrantin für Neukölln
Kann die Nichtneuköllnerin Franziska Giffey in der Nachfolge von Heinz Buschkowsky die Kluft zwischen dem Norden und Süden des Bezirks überwinden?
So etwas macht man eigentlich nicht – gleich zu Beginn eines Textes die Schlagzeile eines anderen Mediums zitieren. Doch jetzt muss das mal sein: „Der Islam gehört zum täglichen Leben.“ Mit diesem Zitat Franziska Giffeys überschreibt die Deutsche Presseagentur ein Porträt der designierten Neuköllner Bezirksbürgermeisterin.
Und da steckt sie eigentlich auch schon vollständig drin, in diesem Satz: die 36-jährige Sozialdemokratin und noch Neuköllner Bildungsstadträtin, die demnächst Berlins bekanntesten „Problembezirk“ regieren soll. „Pragmatisch“ nennt sie sich selber. Ob der Islam zu Deutschland, zum Abendland gehört? Die Frage stellt sich nicht. Er ist da, er gehört zum Alltag. Fragen müssen wir uns also: Wie gehen wir damit um?
Diese Haltung zeigt sich auch etwa im Umgang der Stadträtin mit den Roma, die sich verstärkt in Nordneukölln niederlassen. Statt eines „Roma-Aktionsplans“, den die Senatsverwaltung für Integration aufgelegt hat und der gleich auf der ersten Seite die angenommenen Defizite dieser Neuzuwanderer aufzählt, präsentiert Giffey jährlich einen „Roma-Statusbericht“, der aufgrund immer aktualisierter Zahlen und Fakten tatsächlich vorhandene Probleme erkennen und so lösen lässt. Und statt von Armut und mangelnder Schulbildung ist auf dessen erster Seite zu lesen, dass es sich bei den Roma „um EU-Unionsbürger und Neu-Neuköllner“ handelt.
Über EU-Bürger und die Zivilgesellschaft in Europa hat die diplomierte Verwaltungsmanagerin und Politikwissenschaftlerin Giffey ihre Doktorarbeit geschrieben. Gearbeitet hat sie bislang in Stadtverwaltungen von London bis Treptow-Köpenick und in der Vertretung Berlins bei der EU.
Doch dröge Verwaltungsbeamtin und trockene Bürokratin ist Giffey nicht. Sie kümmert sich: Bei einer Veranstaltung für BürgerInnen, die sich in ihren Kiezen ehrenamtlich engagieren, sitzt die Stadträtin auf dem Podium. Die Diskussionsrunde soll schnell beendet werden: Der Stadtentwicklungssenator, damals noch Michael Müller, ist gekommen und will eine Rede halten. Doch Giffey bleibt souverän sitzen. Da war noch etwas, das will sie klären. Ein alter Herr hat sich beschwert, dass im Neuköllner Reuterkiez kein Raum mehr für seine Seniorengruppe zur Verfügung steht. Mit ihrer leisen, hohen Stimme fragt sie nach, macht sich Notizen. Ein Raum werde sich finden, verspricht sie. Dann darf der Senator reden.
Kompetent, hoch intelligent, sachlich, zuverlässig: Das sind die Attribute, die man hört, wenn man sich im Bezirk nach Franziska Giffey erkundigt. „Nicht immer konfliktfrei, aber immer angenehm“ sei seine Zusammenarbeit mit der Schulstadträtin gewesen, sagt etwa Robert Giese, Leiter der Neuköllner Fritz-Karsen-Gemeinschaftsschule. Giffey urteile nicht, sondern suche nach Lösungen, „und sie hält, was sie verspricht“.
„Sie ist ein Geschenk für uns“, sagt Giffeys Parteigenosse Peter Scharmberg, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Neuköllner Bezirksparlament. Eine Art Geschenk ist Giffey für die Neuköllner SPD tatsächlich: Denn anders als die meisten Mandats- und AmtsträgerInnen der Bezirkssozis stammt die künftige Bürgermeisterin nicht aus Neukölln. Sie wohnt nicht mal dort. Giffey ist sozusagen Migrantin: Geboren in Frankfurt (Oder), in einem Land, das es nicht mehr gibt, und als derzeitige Friedrichshainerin dem Osten treu geblieben.
Das ist nicht unproblematisch in einem Bezirk, wo der bisherige Bürgermeister gern auf seine Herkunft aus einer Kellerwohnung im Südneuköllner Rudow verweist und als Vorsitzender der ebenfalls Südneuköllner „Britzer Briefmarkenfreunde“ deshalb stolz auf sein Amt ist, weil er ja eigentlich kein „echter“ Britzer, sondern bloß ein eingewanderter sei: zugezogen, nachdem die Familie im Zweiten Weltkrieg in Tiergarten ausgebombt worden war. So geht multikulti in Südneukölln.
Doch vielleicht wird der künftigen Bürgermeisterin ihr „Migrationshintergrund“ beim Regieren des Bezirks auch zugute kommen. Denn Neukölln ist zerrissen: Es ist unten Pusemuckel und oben New York. Im Norden beherrschen EinwanderInnen das Stadtbild – kiezweise über 60, an manchen Schulen über 90 Prozent. In den beschaulichen Einfamilienhaussiedlungen im Süden dagegen lebt das alteingesessene biedere Bürgertum.
Den bisherigen Bürgermeister Heinz Buschkowsky hat diese Kluft dazu getrieben, sich mit markigen Sprüchen etwa über das Verschwinden der Currywurst im Neuköllner Norden die Stimmen seiner Stammwählerschaft im Südteil des Bezirks zu sichern. Die Zuwanderin Giffey könnte mit ihrer freundlichen und ruhigen Art und ihrem bieder-bürgerlichen Auftreten diese Kluft schließen – und den Bezirk damit tatsächlich multikultureller werden lassen.
Sie kennt den Neuköllner Norden – mitsamt all seinen Veränderungen in den vergangenen Jahren. Ihr Amtssitz als Schulstadträtin ist in der Boddinstraße: dort, wo Neuzuwanderer eben längst nicht mehr nur solche mit amtlich attestierten Defiziten sind. Sondern oft hoch gebildete AkademikerInnen, die in den Schulen des Bezirks selbstverständlich fordern, den Migrationshintergrund und die Bilingualität ihrer Kinder nicht als Problem, sondern als Potenzial wahrzunehmen.
Die polternden, ethnisierenden Urteile über Multikulti, Currywurst und integrationsverweigernde Einwanderer, mit denen Heinz Buschkowsky sich und seinen Bezirk berühmt gemacht hat, hat man von Giffey bislang nicht gehört: Sie urteile eben nicht, sie handele, so Schulleiter Giese. Ob sie damit aus dem breiten Schatten ihres Vorgängers heraustreten kann, bleibt abzuwarten. Das Potenzial dazu hat die Kombination Giffey/Neukölln auf jeden Fall.
Denn gerade mit ihrem Bildungs-, Berufs- und Migrationshintergrund könnte die bisherige Stadträtin einige Neuköllner Integrationsprobleme neu angehen – und sich damit auf ganz andere Art als ihr Vorgänger sogar auch Wählerstimmen sichern. Etwa, indem sie sich als Bürgermeisterin eines Bezirks, wo mangels deutscher Staatsbürgerschaft in manchen Kiezen kaum die Hälfte der erwachsenen EinwohnerInnen das komplette Wahlrecht hat, dafür einsetzt, aus diesen tatsächlich Neuköllner BürgerInnen zu machen.
Als Bildungsstadträtin hat sich Giffey mit schulischen Großprojekten wie dem Campus Rütli und dem Campus Efeuweg bereits auf Landesebene und darüber hinaus Ruhm – und damit Einfluss – erworben. Das ist gut für Neukölln und die NeuköllnerInnen. Fragen werden die sich künftig aber müssen, wie lange diese junge Politikerin wohl Bezirksbürgermeisterin bleibt.
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