Flüchtlingsdrama im Mittelmeer: Mare Monstrum
Erneut sind Flüchtlingsboote im Mittelmeer verunglückt. Bei dem Versuch von Libyen nach Lampedusa zu gelangen, kamen über 300 Menschen ums Leben.
ROM taz | Weit größere Ausmaße als zunächst angenommen hatte offenbar die Flüchtlingskatastrophe, die sich am Montag zwischen Libyen und Lampedusa zutrug. War ursprünglich von 29 Toten die Rede, so zeichnete sich am Dienstag ab, dass womöglich über 300 Menschen ums Leben gekommen sind.
Am Samstag sollen nach Aussagen Überlebender insgesamt vier Schlauchboote von einem Strand in der Nähe von Tripolis abgefahren sein; die Zeugen bezifferten die Zahl der Passagiere auf etwa 460. Dem ersten Boot, das sich 110 Seemeilen südlich von Lampedusa in Seenot befand, waren zwei Schiffe der italienischen Küstenwache in der Nacht vom Sonntag auf Montag zu Hilfe geeilt. Sieben Flüchtlinge waren zu diesem Zeitpunkt schon erfroren; 22 weitere starben nach ihrer Rettung an Unterkühlung, während 76 Männer gerettet werden konnten.
Doch noch am Montagnachmittag stießen die Patrouillenboote der Küstenwache auf zwei weitere Schlauchboote, auf denen sich nur noch zwei bzw. sieben Personen befanden. Sie berichteten nach ihrer Ankunft auf Lampedusa, auf diesen beiden Booten hätten sich ursprünglich insgesamt 212 Menschen befunden. Doch bei schwerer See – die Wellen erreichten bis zu acht Meter Höhe – seien die meisten über Bord gegangen. Offenbar muss die Opferzahl noch weiter nach oben korrigiert werden, denn neben den drei bisher aufgefundenen soll ein viertes Boot ebenfalls mit über 100 Passagieren unterwegs gewesen sein.
Überlebende berichteten, die Schleuser hätten sie aus einem Lagergebäude bei Tripolis abgeholt und an den Strand gebracht. Viele Flüchtlinge hätten angesichts der schlechten Witterung protestiert, seien aber mit vorgehaltener Waffe gezwungen worden, an Bord zu gehen. Pro Kopf hätten die jungen Männer 800 Dollar für die Überfahrt gezahlt.
„Triton“ statt „Mare Nostrum“
Mit den jetzt befürchteten Opferzahlen könnte diese jüngste Tragödie die Dimension des Unglücks vom 3. Oktober 2013 erreichen, als vor Lampedusa 368 Menschen, vor allem aus Eritrea, ertranken. Italien hatte seinerzeit unter dem Eindruck dieser humanitären Katastrophe umgesteuert und die Mission „Mare Nostrum“ aufgelegt: Zahlreiche Schiffe der Marine und der Küstenwache kontrollierten das gesamte Seegebiet bis unmittelbar vor die libysche Küste.
Doch am 1. November 2014 wurde „Mare Nostrum“ eingestellt, weil – so Italiens Innenminister Angelino Alfano – mit 100 Millionen Euro pro Jahr die Kosten zu hoch seien. Stattdessen wurde die Frontex-Mission „Triton“ gestartet, mit Patrouillenfahrten nur noch innerhalb der 30-Meilen-Zone vor Italiens Küsten und ohne offensiven Rettungsauftrag.
Doch die Annahme, mit der Einstellung von „Mare Nostrum“ werde die Zahl der in Italien ankommenden Flüchtlinge abnehmen, bewahrheitete sich nicht. Im Januar 2015 trafen 3.500 Menschen auf dem Seeweg ein, während es im Januar 2014 nur 2.170 Personen gewesen waren.
Nun wurde harsche Kritik an Italien und der EU laut. Papst Franziskus sagte, niemandem dürfe „die notwendige Hilfe versagt bleiben“. Der Menschenrechtskommissar des Europarats sprach von einer „weiteren vermeidbaren Tragödie“ und forderte die EU auf, für „effektive Such- und Rettungseinsätze“ zu sorgen. Während das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Wiederaufnahme von „Mare Nostrum“ verlangt, hüllte sich Innenminister Alfano sich zunächst in Schweigen. Außenminister Paolo Gentiloni teilte knapp mit, die „Triton“-Mission sei „nicht ausreichend, sondern nur ein Anfang“.
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