Bilder des Islamischen Staates: Schadet die Verteufelung des IS?
Wenn über den IS geschrieben wird, ist von Monstern und Barbaren die Rede. Hilft uns das die Erfolge der Dschihadisten zu verstehen?
Am Freitag erst tauchte wieder eines dieser Enthauptungsvideos auf, für die die Dschihadisten des Islamischen Staates mittlerweile bekannt sind. Es ist sechs Minuten lang. Angeblich werden darin drei kurdischen Peschmerga-Kämpfer im Nordirak getötet. Wie immer berichteten Agenturen: „Die Echtheit des Videos ließ sich zunächst nicht verifizieren.“
Die Fakten sind oft eher vage und unklar, wenn über den Islamischen Staat geschrieben wird. Der Zugang zu den vom IS beherrschten Gebieten ist schwierig, Journalisten begeben sich schnell in Lebensgefahr, auch sie sind zu Zielen geworden. Es gibt allerdings recht klare Bilder der Kämpfer des IS, besonders im Westen. Sie erscheinen beispielsweise als Henker wie der Brite Jihadi John, der als schwarze Gestalt auftauchte und die Gefangenen des IS enthauptete. Oft ist von den //:IS-Barbaren die Rede, von Gewaltakten jenseits der Regeln der Zivilisation. Nicht nur Boulevardzeitungen sprechen von IS-Monstern oder //:Isis-Bestien.
In der taz.am wochenende vom 21./22. März 2015 plädiert die Kriegsreporterin Francesca Borri dafür, die IS-Kämpfer trotzdem weiterhin als Menschen zu betrachten, nicht in erster Linie als Monster. Borri hat sich mehrere Jahre in Syrien mit dem Islamischen Staat beschäftigt, sie hat einige der Kämpfer getroffen. Am Ende hat sie diese nur noch von der türkischen Grenze aus betrachtet – als Silhouetten am Horizont. Es ist ein ähnliches Bild, wie es wohl viele gerade westliche Betrachter haben, geprägt von Distanz und Unschärfe. „Aber wer verbirgt sich hinter dieser schwarzen Silhouette?“, fragt Borri.
Sie erkennt verschiedene Typen von Extremisten: Zivilisten und Kämpfer, Einheimische und Ausländer. Aus ganz persönlicher Sicht schildert sie, wie sie darum ringt, die IS-Kämpfer zu begreifen.
Krieg gegen den Terror
Gerade in dieser Woche sind einige andere Plädoyers erschienen, den Islamischen Staat nicht ausschließlich zu verteufeln – vor allem, weil es der Analyse wenige hilft. In seinem Essay im Spiegel schreibt etwa Georg Diez, der IS seien gerade keine Monster aus dem Mittelalter. Er zitiert den britischen Philosophen John Gray, der den Islamischen Staat eine „durch und durch moderne Bewegung“ nenne, ein Start-up des Terrors mit klarem Business-Modell. Diez verweist außerdem auf folgenden Zusammenhang: „Der Krieg gegen den Terror schuf den heutigen Terror des IS.“ Er meint damit vor allem die Verwüstung, die US-Truppen im Irak anrichteten.
In ihrer Titelgeschichte schildert Francesca Borri, wie sie den IS in Aleppo anfangs als eine der wechselnden islamistischen Milizen erlebte. Während die Stadt von Assads Militär bombardiert wurde, richteten die Leute vom Islamischen Staat Hilfsbusse ein und brachten die Menschen in Richtung türkischer Grenze. „Für viele Syrer ist der IS nicht der britische Typ, der dir den Kopf abschneidet“, schreibt Borri. „Es ist ein Fahrer dieser Busse.“
Auch der Historiker Pierre-Jean Luizard liefert ähnliche Deutungsansätze für die Sympathie mit dem IS in manchen Regionen. Die Völker des Nahen Ostens wollten sich der postkolonialen Ordnung nicht länger beugen, zitiert der Perlentaucher aus Luizards //:Gespräch mit télérama.fr. Die irakische Armee habe sich im eigenen Land wie Besatzungstruppen verhalten. Bevor sie etwa in Mossul verschwand, habe sie die Korruption dort ins Unermessliche getrieben. „Als der IS einige dieser Korrupten enthauptet und gekreuzigt hatte, konnte die Bevölkerung feststellen, dass die Lebensmittelknappheit verschwunden war. Die Märkte wurden wieder beliefert, die Preise halbierten sich.“
Die Männer vom Islamischen Staat sind Bestien, oder? Unsere Autorin berichtet seit vier Jahren aus Syrien und sieht das anders. Warum, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./22. März 2015. Außerdem: Manche Impfgegner bezweifeln, dass es Masern überhaupt gibt. Wir haben einige der schärfsten Kritiker besucht. Und: Martin Walser wird 88 Jahre alt. Ein großer Romancier, bei uns mal ganz knapp und präzise im Gespräch. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Die Passivität der Bevölkerung Mossuls habe sich schnell in einen Beitritt zu einem Staat islamischen Rechts verwandelt, der einen Unrechtsstaat ersetzte. „Ich rechtfertige die Islamisten nicht,“ stellt der Historiker Luizard klar, „aber wenn man einen Gegner zu verteufelt, bringt man sich darum, seinen Erfolg zu verstehen." Es ist ein Vorwurf, dem sich fast jeder ausgesetzt sieht, der Erklärungsansätze für die Akzeptanz des IS sucht – nicht nur in Mossul. Bedeutet das nicht, dass man verharmlost, bagatellisiert – und eben: rechtfertigt?
Selbstmordanschläge in Tunesien und im Jemen
In Tunis hat der IS sich in dieser Woche zu einem Anschlag bekannt, bei dem etliche Menschen starben. Auch für Selbstmordanschläge im Jemen will ein Ableger des Islamischen Staats verantwortlich sein. Die Anschläge richteten sich gegen zwei Moscheen, die vor allem von schiitischen Muslimen besucht wurden. Auch dort starben Dutzende Menschen.
Der Reporter Wolfgang Bauer erklärt die Rolle der beiden islamischen Strömungen in dem Konflikt und hinterfragt in einer Reportage in der Zeit, für die er aus dem Irak berichtet, die gängigen Bilder der Journalisten. „Die Extremisten aus dem Ausland, die in der Weltpresse stehen und die berüchtigten Videos drehen, machen nur einen kleinen Teil der IS-Kämpfer aus“, stellt er fest. „Die meisten Männer führen ihnen die großen Stämme der Sunniten zu.“ Vier sunnitische Widerstandsgruppen etwa habe es in einem Vorort von Bagdad seit der US-Invasion gegeben. Sie alle seien jetzt mit dem IS verschmolzen. „Wessen Herrschaft ist schlimmer“, würden sich nun immer mehr Sunniten fragen. „Die sunnitischen IS oder die die schiitischen Milizen?“
Was meinen Sie: Müssen wir stärker die Menschen in den IS-Kämpfern sehen? Oder ist das schon ein erster Schritt in Richtung Rechtfertigung?
Diskutieren sie mit!
Die Titelgeschichten „Wer sind die Kämpfer des IS“ lesen sie in der taz.am wochenende vom 21./22. März 2015.
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