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Zweifel am Jobmotor EnergiewendeArbeitsplätze, fucking kompliziert

Die Energiewende schafft jährlich rund 18.000 neue Jobs. „Relativ unbedeutend“, sagen Wissenschaftler. Öko-Lobbyisten nennen oft höhere Zahlen.

Ökostrom schafft Arbeitsplätze. Einige jedenfalls. Bild: dpa

BERLIN taz | Wenn eine Lobbyorganisation eine Studie in Auftrag gibt, kommt meist das heraus, was sich Auftraggeber wünschen. Nun hat der Bundesverband Windenergie (BWE) von einem Beratungsunternehmen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) berechnen lassen, wie viele neue Jobs durch die Energiewende entstehen. Das Ergebnis ist positiv durchwachsen.

Gern werfen Vertreter der Erneuerbaren-Branche die Zahl 371.000 ins Rennen. So viele Menschen arbeiten in der Wind-, Solar und Bioenergiebranche direkt und indirekt, also bei Zulieferbetrieben. Die Zahl sei seriös, versichert Marlene O’Sullivan vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die an der entscheidenden Studie mitarbeitet, beauftragt vom Bundeswirtschaftsministerium.

„Wir rechnen sogar sehr konservativ“, sagt sie. So sind etwa Jobs nicht enthalten, die dadurch entstehen, dass Mitarbeiter der Unternehmen ihr Geld ausgeben und Jobs beim Bäcker oder Banken schaffen. Induzierte Beschäftigung nennt sich das.

Zieht man die Arbeitsplätze ab, die an anderer Stelle wegfallen, bleiben im Jahr 2013 noch 40.000 neue Jobs durch die Energiewende. Die DIW-Wissenschaftler zählten zu den 371.000 noch Arbeitsplätze im Baugewerbe, die durch Sanierungen entstehen.

Unseriöse Rechnungen

Das verrechneten sie mit Jobs, die in der konventionellen Energiewirtschaft wegfallen, und solchen, die Unternehmen wegen höherer Stromkosten abbauen. Bis 2020 sollen rund 18.000 neue Stellen pro Jahr zusätzlich hinzukommen. Bezogen auf die 42 Millionen Jobs in Deutschland sei das „relativ unbedeutend“, urteilten die Wissenschaftler – unterm Strich bleibt aber eine positive Bilanz.

Von einem Jobmotor Energiewende zu sprechen ist demnach schwer. Allerdings rechnet die konventionelle Energiewirtschaft noch unseriöser. Verdi-Chef Frank Bsirske erklärte an Ostern, eine geplante Abgabe auf Kohlekraftwerke würde 100.000 Arbeitsplätze in der Braunkohle gefährden – obwohl es in der Branche nur knapp über 20.000 Jobs gibt.

Bis heute ist die Gewerkschaft trotz mehrfacher Nachfrage nicht in der Lage, die Zahl ihres Chefs zu erklären. Der Bundesverband Braunkohle behauptete gegenüber dem Portal klimaretter.info, Medien hätten Zahlen zu direkten und indirekten Beschäftigungseffekten der Braunkohle falsch addiert. Bsirske allerdings hat die Zahl in einem wörtlichen Zitat genannt – und kann nicht erklären, wie sie zustande kommt.

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11 Kommentare

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  • Seid wann bauen Staatsbedienstete Windräder, Schaufelbagger, Solartechnologie ... Dann wäre hier wohl schon längst das Licht aus.

  • Energieversorgung ist und bleibt Gemeinaufgabe, auch wenn durch politische Intention derzeit ein paar Handaufhalter zwischengeschaltet sind.

     

    Hier ein Arbeitsplatzpotential wohlwollend zu prognostizieren ist ungefähr so widersinnig, als würde man sich im eigenen privaten Haushalt über Mehrarbeit beim Putzen oder der Wäsche freuen.

  • Liebe Diskutierende hier auf dieser Seite, hier nochmal zur Erinnerung:

    Wir brauchen keine zusätzliche Arbeit, die ist in ausreichender Fülle vorhanden. Und wenn uns eine Entwicklung Arbeit erspart, dann sollten wir das begrüßen.

    Genau genommen brauchen wir nicht einmal mehr bezahlte Arbeit, sondern eine gleichmäßigere Verteilung des Vermögens.

    Allen, die etwas anderes behaupten, sollten wir misstrauen.

    • 1G
      19122 (Profil gelöscht)
      @Helmut van der Buchholz:

      Sehr geehrter Herr van der Buchholz, Sie haben völlig recht: Arbeit ist in ausreichender Fülle vorhanden. In meiner Branche beispielsweise (Telekommunikationstechnik) werden viele Elektroingenieure gesucht, aber es gibt kaum Bewerber. Warum eigentlich nicht? Nun ja, es könnte daran liegen, dass dieses Studium recht anspruchsvoll ist und nicht jeder Vollhonk unsere Arbeiten machen kann/will. Finden Sie, dass es der richtige Ansatz wäre, den Leuten, die sich da durchgebissen und dank guter Verdienstmöglichkeiten ein gewisses Vermögen angesammelt haben, an den Geldbeutel zu gehen? Ich sage Ihnen, was Sie damit erreichen: Eine weitere Erhöhung der Emigrationsquote um genau diesen nützlichen Teil der Bevölkerung in Länder, in denen Leistung einen höheren Stellenwert hat als in der Gleichmacherrepublik Deutschland.

  • Wie die sonderbar große Zahl zustande kommt, die Bsirske nannte, lässt sich eigentlich ganz gut erklären. Bsirske selbst wird von RWE bezahlt: Dafür, dass der Gewerkschaftschef als Nebenjob einen Posten im Aufsichtsrat des Stromkonzerns hat, bekommt er allein als Grundvergütung 200000 Euro. Dass er sich da zum Dank wenigstens bei Gelegenheit im Sinne des Konzerns äußert, dürfte da eigentlich selbstverständlich sein.

    • @0815:

      Aufsichtsräte stehen ja wegen der öfters mangelnden Aufsicht und der dennoch hohen Dotierung nicht gerade in einem guten Licht da

       

      Bei Bsirske wird es wohl der Wunsch nach Dramatik gewesen sein, der ihm die griffige Zahl einhauchte. Hätte er Zehntausende gesagt, hätte er es jetzt in der Erklärung einfacher, denn dann bräuchte er ja nur noch 2 von letzteren nachweisen.

       

      Aber es gibt ja bekanntlich einen Fachkräftemangel, was wäre dann gegen solch eine Freisetzung einzuwenden?

  • Wenn jedes Jahr ca. 5 % neue (zusaetzliche) Jobs in einer Branche entstehen bezeichne ich das sehr wohl als Jobmotor.

    Damit lassen sich natuerlich nicht die hohen Arbeitslosenzahlen abbauen, aber etwas mindern.

  • Die neoliberale Verirrung hat schon dermaßen Besitz von der Denke vieler Menschen ergriffen, dass das Pseudo-Argument Arbeitsplätze auch auf volkswirtschaftlich unsinnigste Bereiche ausgedehnt wird.

     

    Solange die Energieversorgung, wie auch andere Ver- und Entsorgungsdienste, die in den letzten 25 Jahren zu Lasten der Verbraucher und der öffentlichen Kassen privatisiert wurden und seitdem für Milliardengewinne der Aktionäre und Aufsichtsräre gesorgt haben, weiter als reiner privater Gewinnfaktor gesehen werden, wird es weder mit der Energiewende, noch mit den versprochenen Arbeitsplätzen was G'scheits!

  • Also, die 18.000 neuen Jobs pro Jahr (!) der Erneuerbaren sind unbedeutend, aber die paarundzwanzigtausend alten Jobs der Braunkohle sind bedeutend genug, um dafür 'ne Welle zu machen? o_O

  • Natürlich kommen erneuerbare Energien an kein Jobwunder heran. Bei Kernkraftwerken braucht man viele Leute, um die Meiler zu bauen, und viele Leute für den Rückbau, der gern mal 15 Jahre in Anspruch nimmt. Bei der Braunkohle baggert man Häuser weg, die an anderer Stelle wieder neu gebaut werden müssen. Man wühlt ganze Landschaften um, die man später mit vielen Leuten rekultiviert. Da erneuerbare Energien kaum oder keine Folgelasten abliefern, fällt so was schon mal weg. Nicht anders verhält es sich mit den Kosten. Ökoenergien sind schon heute die günstigste Form der Stromerzeugung, weil teure Folgelasten vermieden werden. Also alles relativ.

    • @Rohloffbiker:

      Erneuerbare Energien sind viel arbeitsintensiver im Betrieb als die atomar-fossile Stromerzeugung, die sehr maschinenlastig ist bei wenig Arbeitskrafteinsatz.

      Deshalb gibt es in der erneuerbaren Energiewirtschaft deutlich mehr Arbeitsplaetze (es ist genau umgekehrt als dargestellt).

      Dabei fallen die Bau- und Rueckbauphase kaum ins Gewicht, die auch sehr maschinenlastig und nicht arbeitsintensiv ist.