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Symbolische ErsatzhandlungKOMMENTAR VON NICK REIMER

Die Vogelgrippe breitet sich unter einer neuen Opfergruppe aus: den Geflügelzüchtern. Inzwischen schlägt sich das Virus nämlich zunehmend in den Bilanzen des Geflügelhandels nieder. Europaweit vermelden Höfe einen Absatzrückgang bei Hühnern, Hähnchen und Enten, der als „dramatisch“ bezeichnet werden kann. Völlig logisch, urteilen die Analysten: Dem Verbraucher ist schlicht der Appetit aufs Suppenhuhn vergangen. Das arme Tier könnte ja die Grippe haben.

Fachleute versuchen den Verbrauchern solche Ängste zu nehmen: Gekochtes Huhn ist schließlich gänzlich ungefährlich für den eigenen Leib. Am Wochenende bekamen sie prominente Unterstützung: Vom französischen Präsidenten bis zur deutschen Gesundheitsministerin beeilten sich Politiker, Geflügel in den Bauch zu bekommen. Ein kulinarischer Beitrag zur Bewältigung der sich abzeichnenden Geflügelzüchterkrise. Ihr Appell an die Verbraucher: Esst mehr Huhn!

Dieses öffentliche Dinieren erinnert allerdings fatal an einen Politikstil, der so ärgerlich wie durchsichtig ist. Zum Beispiel an den früheren Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke, der auf dem Höhepunkt der BSE-Krise ganze Rindfleischberge in sich reinstopfte. Den Verbraucher interessierte das damals herzlich wenig: Er ließ den Rindfleischmarkt zusammenbrechen.

Solche symbolischen Aktionen zeugen nicht nur von offenkundiger Hilflosigkeit. Vor allem aber dienen sie der Politik auch dazu, von eigenen Versäumnissen abzulenken. Denn schon als die Vogelgrippe erstmals in Südostasien aufkam, empfahlen Experten auch hierzulande zu handeln. Mit Geld, Engagement und Sachverstand sollten Deutschland und die Europäische Union die Vogelgrippe dort bekämpfen helfen. Dieser Rat wurde leider großzügig ignoriert. Nun, seit das Virus auch Europa erreicht hat, ist die Panik groß.

Es gibt aber auch Gewinner in der aktuellen Geflügelkrise: Wenn der Hühnerfleischabsatz sinkt, fällt mit ihm auch der Preis. McDonald’s neuestes „Ein mal eins“-Menü bietet „Hühnchenburger“ mit Chilisoße für 1 Euro. Das Angebot schlägt blendend ein. Fällt der Hühnerfleisch-Rohstoffpreis, dann steigt auch die Gewinnspanne für die Produzenten.

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