: Städtisches Raumlabor
TEMPELHOFER FREIHEIT Das Gelände des ehemaligen Flughafens bietet ein gutes Beispiel für selbst organisiertes Handeln. Künftig könnte hier bezahlbarer Wohnraum entstehen
VON THOMAS KNORR-SIEDOW UND MICHAEL LAFOND
In den letzten Jahren ist das Tempelhofer Feld von der Berliner Stadtgesellschaft als ein Raumlabor für die Zukunft der Stadt und des Städtischen angenommen worden. Menschen von überall her nutzen das Feld spielerisch für ihre alltäglichen Vergnügen auf dem Boden und in der Luft. Die Nachbarschaft grillt, Skateboards und Fahrräder rasen durch die Gegend, und an anderer Stelle herrscht die Stille asiatischer Meditation. Weite Flächen bleiben dem Naturschutz vorbehalten.
Unterschiedliche Pioniervorhaben erproben Optionen zukünftiger Nutzung, von urbaner Landwirtschaft, innovativem Bauen, der Herstellung von Diskursräumen zur Weltkultur bis hin zu Projekten, in denen sich Stadtkinder der Natur nähern können. Das alles geschieht räumlich und zeitlich nebeneinander und trotz gegensätzlicher Ansätze erstaunlich konfliktfrei.
Die Tempelhofer Freiheit bietet ein gutes Beispiel für selbst organisiertes und solidarisches Handeln in der Stadt, das Unterschiedlichem Raum gibt. Vieles davon steht allerdings unter der Bedrohung, die sich mit dem Begriff der Zwischennutzung verbindet. Tempelhofer „Freiheit“, bis dann die Projekte geordnet sind – von der großen Parklandschaft bis hin zum Wohnungs- und Gewerbebau auf den Baufeldern an den Rändern der Freiheit? Fest steht: Berlin braucht Wohnungen, und die Planung sieht insgesamt drei Baufelder vor, die die Ränder des Freiraums definieren. Ein Thema der Experimentdays 13 wird die Frage sein, wie neue Wohn- und Lebensformen zur Freiheit des Feldes passen können. Das ist eine Fragestellung, die auch nach der Absage einer Internationalen Bauausstellung (IBA), die Tempelhof zum Kristallisationspunkt experimenteller und zukunftsweisender Stadtentwicklungspraktiken machen sollte, brisant bleibt.
Dieser Raum in der Stadt ist zu wertvoll, um ihn dem üblichen Ansätzen privater (und auch städtischer) Investoren zu überlassen. Er bietet sich vielmehr als Labor der Europäischen Stadt an, in dem behutsam mit dem Vorhandenen umgegangen wird und zugleich zukunftsweisende Pionierprojekte entstehen.
Bisher vorliegende Planungen für die Baufelder zeigen ein traditionelles Blockraster. Dieses ist aber wenig flexibel und geht kaum auf den experimentellen Vorlauf der Pilotprojekte, die öffentlichen Diskussionen oder die qualifizierten Vorarbeiten des früheren Prä-IBA-Teams ein. Auch wenn es sich erst um eine Masterplanstudie handelt, stellen sich viele Fragen.
Wo bilden sich die Ansprüche einer alternden Gesellschaft ab? Wo innovative Verbindungen von Wohnen und kreativem Arbeiten? Wo bietet der Masterplan die Anschlüsse an neue und hier inzwischen erprobte Raumnutzungen wie die einer urbanen Landwirtschaft? Und wie bilden sich gesellschaftliche Fragen der Integration, der Migration und der doch vermutlich weiterbestehenden Herausforderung zum Umgang mit sozioökonomischer Polarisierung von Armut und Wohlstand ab? Wo, wenn nicht an dieser Stelle, könnte in Berlin das Raumlabor zur Lösung solcher Fragen arbeiten und bauen? Angesichts des Zeithorizonts bleibt ein Spielraum dafür, den bisherigen Planungsstand kooperativ weiterzuentwickeln: mit den Bürgerinnen und Bürgern, mit Expertinnen und Experten und im internationalen Dialog.
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hat wohl drei Gruppen eingeladen, sich mit ihren Vorstellungen über die Zukunft der Baufelder vorzustellen. Neben den städtischen Wohnungsbaugesellschaften sind das die private Bauwirtschaft und, als alternativer Akteur, eine Gruppe von Experten, die sich im vergangenen Jahrzehnt der Herausforderung des Wohnungsbaus ohne öffentliche Förderung gestellt haben.
Architektur- und Planungsbüros, Netzwerker, Quartiersmanager und eine Stiftung wollen sich der Herausforderung des Tempelhofer Feldes stellen und, aufbauend auf der Vielzahl von selbstverwalteten Wohnprojekte, deren Erfahrungen weiterentwickeln. Partizipation der Nutzenden und der Nachbarn, Vielfalt der sozialen Gruppen und Partnerschaften über die üblichen Grenzen im gesamten Entwicklungs- und Umsetzungsprozess hinaus sind die zentralen Elemente.
Das Tempelhofer Feld bietet mit seinen vorgesehenen Baufeldern eine herausragende Möglichkeit, Stadt und Wohnen sozial integrativ zu denken und neu zu entwickeln. Es besteht die seltene Möglichkeit, auf landeseigenen Flächen Wohn- und Arbeitsraum mit hohen Qualitäten unter Ausschluss von Bodenspekulation nachhaltig zu schaffen. Die für die Umsetzung dieser Vorstellungen und als Gesprächspartner für die Bürger und die Senatsverwaltungen gegründete Entwicklungsgenossenschaft Tempelhof eG hat sich in zehn Grundsätzen unter anderem dazu verpflichtet, 30 Prozent der Bauflächen für selbst organisierte Gruppen bereitzustellen und zugleich mindestens 30 Prozent der Wohnungen zu Kosten zu schaffen, die sie auch für Menschen mit niedrigem Einkommen verfügbar machen. Nicht Verkauf der Grundstücke, sondern eine Vergabe in Erbpacht soll sichern, dass Berlin auch in fernerer Zukunft einen Einfluss auf die Entwicklung dieses Filetstücks der Stadt hat.
■ Thomas Knorr-Siedow (66) ist Stadtsoziologe und -planer. ■ Michael LaFond (51), Projektentwickler und Community Developer, leitet seit 2000 das Institut für kreative Nachhaltigkeit/id22
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