: Vom „Mama-Mobil“ zum „Me-Mobil“
Frauen sind die große Hoffnung der auf ihren Überkapazitäten sitzenden Automobilindustrie: Bis jetzt ist nicht einmal jeder dritte Wagen auf eine Frau angemeldet. Aber um den Absatz zu steigern, muss man erst mal wissen, was Frauen wollen
INTERVIEW BEATE WILLMS
taz: Frau Kortus-Schultes, 70 Prozent der Autos hierzulande haben männliche Besitzer. Sind nur Männer die Zielgruppe der Autoindustrie?
Doris Kortus-Schultes: In der Theorie wissen die Autokonzerne sehr wohl, was Männer in der Werbung anspricht und was Frauen. Männer bevorzugen graue Hintergründe, wenig Menschen und viele technische Details, zur Not auch klein gedruckt. Frauen sehen lieber helle Hintergründe, ein menschliches Umfeld und auf jeden Fall große Buchstaben mit einer klaren Botschaft. Deshalb ist es schwer, eine Werbung für alle zu finden. Raten Sie mal, auf was die Hersteller dann lieber setzen.
Und in der Konstruktion?
Es gibt auf jeden Fall zu wenig Konstrukteurinnen. Diese würden nicht alles besser machen, aber sie hätten einen anderen Blick. Ihnen würde beispielsweise auffallen, dass viele Autos nach einem Standardfahrer ausgerichtet sind. Frauen weichen viel stärker von diesem Durchschnitt ab, insbesondere Frauen aus Osteuropa oder Asien, die oft besonders klein und zierlich sind. Da muss mehr verstellbar sein als nur der Sitz.
Wir brauchen also ein Frauenauto?
Ich würde keinem Autohersteller raten, ein explizites Frauenauto rauszubringen. Das wäre ein Fiasko. Kein Mann würde sich dort hineinsetzen. Und auch Frauen würden sich sofort diskriminiert fühlen – nach dem Motto: So stellt sich also die Autoindustrie vor, was ich will.
Lohnt es sich dann für die Autohersteller überhaupt, Frauen als Zielgruppe stärker ins Visier zu nehmen?
Wenn nur jeder dritte Wagen einer Frau gehört, Frauen aber mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, kann die Autoindustrie in dieser Zielgruppe bis zu 70 Prozent mehr verkaufen. Das ist ein riesiger Markt.
Wie kommt man an den ran? Wollen Frauen überhaupt andere Autos als Männer, oder reichen ihnen passende Sitze?
Für Männer und Frauen haben unterschiedliche Dinge Priorität. Bei Männern steht die Sicherheit ganz vorn. Sie fahren mehr und vor allem längere Strecken. Jeder vierte Mann legt im Jahr mehr als 15.000 Kilometer zurück, aber nur jede fünfzehnte Frau schafft das. Frauen nennen Wirtschaftlichkeit als wichtigstes Kriterium. Sie kaufen Autos mit einem geringeren Verbrauch.
… weil das Auto für sie vor allem Nutzwert hat?
… weil sie das Benzin aus der Haushaltskasse bezahlen müssen. Männer nutzen den Wagen vor allem geschäftlich und können ihn steuerlich absetzen. Firmenautos gelten auch noch mehr als private Fahrzeuge als Statussymbol. Und sie müssen auf langen Strecken komfortabel sein, brauchen also eine gewisse Größe und eine hochwertige Ausstattung. Frauen fahren hauptsächlich im Nahbereich, ihr Arbeitsplatz ist oft näher an der Wohnung, sie bringen Eltern oder Kinder zum Arzt oder zur Schule und machen Einkäufe.
Kinderchauffeurin sind Frauen nicht ihr ganzes Leben. Ändert sich der Anspruch an das Auto mit dem Alter?
Nicht mit dem Alter, aber mit den Lebensumständen. Junge Singlefrauen kaufen gern schwarze Kleinwagen. Das gilt übrigens auch für gleichaltrige Männer. Als Mütter steigen sie – wenn sie es sich leisten können – auf Mini-Vans um, die Platz für Kinder, Kinderwagen und Gepäck bieten. Das ist so eine Art „Mama-Mobil“. Wenn die Nestbauphase vorbei ist, fahren sie gern etwas Aussagekräftigeres, ein „Me-Mobil“, also ein Auto ganz für sich selbst. Das ist dann beispielsweise ein Cabrio oder ein Geländewagen.
Obwohl sie möglicherweise noch ein paar Jahre zuvor solche Autos mit Kuhfänger als besondere Bedrohung für ihre Kinder gesehen haben.
Frauen fahren defensiver, haben weniger und leichtere Unfälle. Im Geländewagen fühlen sie sich sicher, weil sie auf dem hohen Sitz eine sehr gute Übersicht haben. Sie vertrauen einfach auf ihre Fahrkunst.
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