: Jubel und ein Problem
SPD Hannelore Kraft hat die Wahl: Entweder sie wagt Rot-Rot-Grün – oder sie geht als Juniorpartnerin in eine große Koalition
Axel Schäfer, SPD
AUS BERLIN UND DÜSSELDORF GORDON REPINSKI UND ANDREAS WYPUTTA
Einfach hätten es die Sozialdemokraten gehabt, wenn sie an diesem Montag die Präsidiumssitzung direkt nach Tagesordnungspunkt eins beendet hätten. Der war, wie Parteichef Sigmar Gabriel später neben einer strahlenden Hannelore Kraft verkündete: Jubel.
Alles was danach an inhaltlichen Fragen besprochen wurde, beschrieb die nordrhein-westfälische Spitzenkandidatin Kraft mit „kein einfacher Weg“ oder „eine schwierige Situation“, in der sie „Gespräche führen will“ und die alles in allem „zu meistern ist“.
Das Wahlergebnis von 34,5 Prozent bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen – rund 6.000 Stimmen hinter der CDU – stellt die regierungswillige SPD tatsächlich vor ein Problem. Rot-Grün alleine fehlt ein Sitz zur Mehrheit. Zum Regieren muss sich die SPD entweder mit CDU, Linkspartei oder FDP einlassen. Letzteres hat deren Landeschef Andreas Pinkwart ausgeschlossen, in einer großen Koalition wäre Hannelore Kraft mathematisch lediglich Juniorpartnerin. Bleibt eine Koalition mit der Linkspartei, um Ministerpräsidentin zu werden, und Ministerpräsidentin will Kraft werden, wie sie am Montag in Berlin immer wieder betont. Also mit der Partei, die Kraft gebetsmühlenartig als „nicht regierungsfähig und -willig“ erklärt hatte.
Dennoch soll vor den Gremiensitzungen in Nordrhein-Westfalen keine öffentliche Diskussion geführt, nichts vorweg genommen werden. Intern hat die Rot-Rot-Grün-Diskussion aber längst begonnen. Der hessische Generalsekretär Michael Roth sagte der taz: „Die SPD sollte sich so offen geben, wie sie es immer gesagt hat.“ Das Heft des Handelns, so Roth „liegt in der Hand der SPD“.
Auch der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen SPD-Abgeordneten im Bundestag, Axel Schäfer, betonte, er wolle „alles dafür tun, damit die SPD keinen CDU-Kandidaten zum Ministerpräsidenten wählt“. Schäfer erinnerte an das „Joch der großen Koalition“ im Bund, das den Sozialdemokraten ihre größte Niederlage beschert habe.
Notfalls müsse die SPD auch für eine Minderheitsregierung bereitstehen, sagte Schäfer der taz – und kündigte Diskussionen mit den Grünen an. Nötig sei außerdem ein Mitgliederentscheid. Die Koalitionsfrage dürfe keinesfalls von oben herab entschieden werden.
Um Krafts Führungsanspruch zu verwirklichen, werde die SPD „mit allen im Landtag vertretenen Parteien“ Gespräche führen, sagte SPD-Landesgeneralsekretär Michael Groschek der taz. Dabei schloss er die Linkspartei ausdrücklich mit ein. Eine große Koalition mit der CDU unter Leitung von Rüttgers hält Groschek dagegen für undenkbar. Die CDU sei von den BürgerInnen abgestraft worden, habe mit Verlusten von 10,3 Prozent eine „schallende Ohrfeige“ erhalten. Zudem stelle die SPD im Düsseldorfer Landtag mit 67 Sitzen ebenso viele Abgeordnete wie die Christdemokraten.
Kraft als Ministerpräsidentin – diese Forderung sei für die SPD Bedingung, sagt auch ihr Stellvertreter im Vorsitz der Landespartei, Marc Herter. „Wir haben den Führungsanspruch.“ Allerdings scheint der Parteivize eine Ampelkoalition mit den Liberalen einem rot-rot-grünen Bündnis vorzuziehen: „Wir dürfen die FDP nicht aus ihrer staatspolitischen Verantwortung entlassen“, betont Herter. Wichtig sei, dass die SPD eine Koalition bilde, die NRW „fünf Jahre lang verlässlich regieren“ könne – eine deutliche Spitze gegen den bei den Sozialdemokraten als chaotisch und radikal wahrgenommenen NRW-Landesverband der Linken.
Bei derart kontroversen Ansichten innerhalb der Partei scheint nur eins klar: Eine Regierungsbildung im Schnelldurchgang wird es in NRW nicht geben. Schließlich hat auch die Linke betont, sich eine mögliche Koalition von ihren Mitgliedern absegnen zu lassen. Die Wahl des neuen Regierungschefs, der neuen Ministerpräsidentin ist für den 23. Juni vorgesehen. „Die Gremien der SPD werden in aller Ruhe entscheiden“, sagt der designierte Arbeitsminister eines Kabinetts Kraft, Nordrhein-Westfalens DGB-Chef Guntram Schneider, dazu.
Jubel klingt anders.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen