: Anwälte appellieren an Senat
FLÜCHTLINGE Über 100 Juristen appellieren an den Hamburger SPD-Senat , den Lampedusa-Flüchtlingen ein humanitäres Bleiberecht zu gewähren. Dass das geht, hat Berlin in der vergangenen Woche vorgemacht
Das Schicksal der 300 aus Italien gekommenen libyschen Kriegsflüchtlinge, die sich im Mai zur Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ zusammengeschlossen haben, ist immer noch das beherrschende Thema in der Stadt. Am Freitag haben sich über 100 Hamburger Anwälte und eine hamburgische Verfassungsrichterin zu Wort gemeldet. In einem Appell fordern sie den SPD-Senat auf, die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ nach Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes zu behandeln. Danach kann „bestimmten Ausländergruppen“ ein Bleiberecht aus humanitären Gründen zugesprochen werden.
Der Rechtsstaatsgedanke sei Teil des Grundrechtskonzepts, das als Abwehrrecht des Einzelnen gegen staatliche Eingriffe entwickelt worden sei, schreiben die Juristen. Dazu gehöre „effektiver Rechtsschutz, ein faireres Verfahren und die Selbstbelastungsfreiheit“. Es gebe keinen rechtsstaatlichen Grundsatz, wonach die Identität preisgegeben werden oder ein Asylantrag gestellt werden müsse, wenn die für die Entscheidung zuständige Behörde von vornherein erklärt habe, diesen Antrag ablehnen zu wollen. Der einzige Lösung sei, „den Betroffenen Gewissheit über ihr aufenthaltsrechtliches Schicksal zu verschaffen“, schreiben die Anwälte. Der Senat müsse erklären, „dass der politische Willen besteht, die humanitäre Notlage zu beenden“.
Am Donnerstag hat die evangelische Nordkirche damit begonnen, auf dem Gelände der St.-Pauli-Kirche beheizte Wohncontainer aufzustellen, um den 80 in der Kirche untergekommenen Flüchtlingen das Überwintern unter menschenwürdigen Bedingungen zu ermöglichen – in der Kirche können sie nicht bleiben, weil das Kirchenschiff nicht beheizt ist. Die Genehmigung zum Aufstellen der Wohncontainer war von der Bezirksversammlung Hamburg-Altona einstimmig beschlossen worden – gegen den Willen des SPD Senats.
Auch die Nordkirche hält sich offenkundig nicht an die Senats-Direktive, dass in den Container nur Flüchtlinge wohnen dürfen, die sich vorher geoutet und einen Asylantrag gestellt haben. Zwar hätten sich aus der Gruppe der 80 Flüchtlinge in der St.-Pauli-Kirche mittlerweile 35 Personen bei der Ausländerbehörde gemeldet, in den Container könnten jedoch Flüchtlinge „ohne Ansicht der Person“ unterkommen, sagte Pastor Sieghard Wilm. „Wir sind nicht diejenigen, die registrieren und kontrollieren.“
Dass der Senat einlenken könnte, hat gerade Berlin vorgemacht: Den hungerstreikende Flüchtlingen vom Brandenburger Tor war vorige Woche eine beheizte Notunterkunft bereitgestellt und ein Bleiberecht gewährt worden, ohne dass die Behörden auf einer Registrierung bestanden. KAI VON APPEN
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