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„Es ist ein Krieg der Bilder“

Der entführte Soldat in Gaza ist für viele Israelis eine Identifikationsfigur, weil sich als ein Opfer der Situation fühlen, sagt Alia Rayyan. Die Palästinenser dagegen versuchen, sich durch Bilder der Stärke wehrhaft zu zeigen

taz: Frau Rayyan, vor einer Woche wurde der israelische Soldat Gilad Schalit entführt, daraufhin ist die israelische Armee in den Gaza-Streifen einmarschiert. Was für Bilder sehen wir von diesem Konflikt?

Alia Rayyan: Auf der einen Seite ist da der israelische Soldat, den man inzwischen mit vollem Namen kennt und zu dem man eine persönliche Beziehung aufgebaut hat. Auf der anderen Seite sieht man unpersönliche Massen, vermummte Gestalten oder weinende Opfer: Menschen, die Leid oder Aggression ausdrücken, aber keine Geschichte oder Persönlichkeit besitzen.

In Israel ist der entführte Soldat zur Identifikationsfigur geworden. Warum?

Das sagt viel aus über die gegenwärtige Gefühlslage in Israel: Man fühlt sich verloren und ratlos und auch verlassen von der Welt. Das Gefühl ist: Wir verteidigen uns, sind aber Gefangene der Situation und können uns nur noch durch den übermäßigen Einsatz von Gewalt zur Wehr setzen. Wenn wir das nicht tun, verschwinden wir von der Bildfläche wie der entführte Soldat.

Der junge Soldat sieht ja nicht brutal aus, im Gegenteil, mit seiner Brille wirkt er eher vergeistigt. Man fühlt sich wie er als unschuldiges Opfer und erkennt die Zusammenhänge nicht. Es ist ja nicht so, dass er auf einem Spaziergang entführt worden ist, sondern als Soldat, der vor Gaza stationiert war.

Wird dieses Bild propagandistisch benutzt?

Ja, klar: Es lenkt davon ab, dass Israel über die Köpfe der Palästinenser hinweg Fakten schaffen will. Die besetzten Gebiete werden Schritt für Schritt aufgeteilt, die Bewegungsfreiheit der Palästinenser eingeschränkt.

Wie hat sich das Medienbild vom Nahostkonflikt in den letzten Jahren verändert?

Die Palästinenser sind ja im Grunde erst mit der ersten Intifada von 1987 als Zivilisten auf der Bildfläche der westlichen Medien erschienen: Da hat sich das Bild vom Steine werfenden Kind vor dem israelischen Panzer im Gedächtnis der Weltöffentlichkeit eingebrannt. Mit den Selbstmordattentätern der zweiten Intifada hat sich dieses Bild geändert, und dieses Bild bestimmt seither die Wahrnehmung des Konflikts.

Dieses Bild haben die Palästinenser selbst produziert.

Stimmt. Man muss dabei sehen, welche Bedeutung das Bild in der arabischen Welt hat. Den Palästinensern dient es zur Affirmation der eigenen Stärke: Man will zeigen, dass man sich wehrt. Man will nicht Opfer sein und keine Schwäche zeigen, sondern Stolz demonstrieren. Diese Märtyrerbilder sind typisch dafür. Es wird nicht verstanden, wie diese Bilder in der westlichen Welt gelesen werden und was für ein Bild man damit vermittelt.

Es gibt aber auch das Bild des unschuldigen Opfers: So wie das Bild von Mohammed al-Durra, der in ein israelisches Kreuzfeuer geriet und zur Ikone der zweiten Intifada wurde.

Auch auf der palästinensischen Seite gibt es die Bereitschaft, solche Bilder propagandistisch einzusetzen und bestimmte Erwartungen zu bedienen. Dazu muss man auch das Verhältnis zwischen den Palästinensern und der übrigen arabischen Welt betrachten. Dort möchte man die Palästinenser am liebsten nur als Opfer zu sehen – nicht aus Solidarität, sondern aus innenpolitischen Gründen. Denn Palästina ist in der arabischen Welt ein Symbol, um von Konflikten in den eigenen Gesellschaften abzulenken.

Westliche Betrachter könnte diese Geiselnahme an die Entführungen im Irak erinnern.

Man kann das nicht gleichsetzen: Im Irak geht es eher um Geld, das ist ein ganz anderer Kontext. Bislang hat es auch noch keine Geisel gegeben, die vor laufender Kamera ermordet wurde, und ich hoffe, das bleibt so. In diesem Fall geht es darum, 500 palästinensische Gefangene freizubekommen. Interessant ist aber, dass die Palästinenser damit selbst diese Wertigkeit übernommen haben, wonach das Leben eines Israelis so viel wert ist wie das Leben von 500 Palästinensern. Das zeigt ihr Selbstwertgefühl.

Wie, glauben Sie, wird die aktuelle Krise enden?

Es gibt zwei Szenarien. Entweder wir werden, was ich nicht hoffe, bald das Bild des toten Soldaten sehen – dann würde Israel sehr harte Konsequenzen folgen lassen. Es besteht aber noch Hoffnung, dass der Soldat freikommt. Trotzdem glaube ich, dass die israelische Belagerung des Gaza-Streifens weitergehen wird und wir keinen schnellen Rückzug erleben werden. Olmert kann sich einen Rückzug ohne Gesichtsverlust nicht leisten.

Israel will eine unilaterale Lösung, weil es ja „keinen Partner für den Frieden“ gebe.

Der Angriff auf die Militärbasis hat doch gezeigt, dass Israel nicht einfach eine Mauer hochziehen und hoffen kann, dass damit das Thema erledigt ist. Das Problem wird damit nur verschoben – bis zur nächsten Eskalation. INTERVIEW: DANIEL BAX

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