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Angestellte Selbstreflexion

LITERATURBETRIEB Kunst und Konformismus schließen sich aus, Schreibakademien hin oder her. Eine Erwiderung auf Enno Stahl

Dirk Knipphals

■ ist Literaturredakteur der taz. Soeben erschien sein Buch „Kunst der Bruchlandung. Warum Lebenskrisen unverzichtbar sind“ (Rowohlt Berlin). So ganz unbildungsbürgerlich ging es bei seinem Germanistikstudium auch nicht zu.

Wer wissen möchte, unter welchen Bedingungen sich derzeit Bildungsbürgertum reproduziert, der sollte auch die Ausbildungsstätten für deutsche Gegenwartsliteratur in den Blick nehmen.“ Das ist der Kernsatz, mit dem der Nachwuchsautor Florian Kessler in der Zeit die Hornbrillendebatte in der deutschsprachigen Literatur eröffnet hat. Der Satz ist klar, cool und vor allem auch richtig. Die Chiffre der Hornbrille steht dafür, dass es für den gegenwärtigen Autorennachwuchs ebenso wichtig ist, bei Branchentreffen wie dem Open Mike die gängigen Dress- und Verhaltenscodes draufzuhaben wie die Kunst zu beherrschen, in karriererelevanten Gesprächen an den richtigen Stellen zu lachen. Das Bildungsbürgertum reproduziert sich bekanntlich über den Habitus: Das Auftreten ist wichtig.

Einzigartigkeit ist die Währung

Allerdings überzieht Florian Kessler die Auswirkungen für das Feld der literarischen Ästhetik. Über die jungen Gegenwartsliteraten sagt er: „Noch nie hat sich Konformität für sie so ausgezahlt wie heute.“ Das mag für den Smalltalk gelten, aber es existieren klare gläserne Decken für die Schreibpositionen. Wer von gleichartigen Brillengestellen eins zu eins auf gleichartige Schreibstile schließt, hat nicht verstanden, wie das Gerangel um die Plätze in den Verlagskatalogen und auf den Rezensionsseiten dann eben doch funktioniert: Natürlich bemisst sich der Marktwert letztlich gerade auch an der jeweiligen Unverwechselbarkeit. Bei Debüts kommt man vielleicht noch mit Stilübungen à la Christian Kracht, Thomas Bernhard oder Judith Hermann durch. Spätestens beim zweiten Buch fällt aber eine Klappe.

Und es gibt noch einen weiteren interessanten Punkt: Es bedeutet, glaube ich, eine Verkennung der realen Größen-, Geld- und auch Machtverhältnisse, wenn man bei der Reproduktion von Bildungsbürgertum zentral auf Literatur abzielt. Von den Gebieten, bei denen da tatsächlich der Hammer hängt, lenkt das nur ab: bei den öffentlich-rechtlichen Medienanstalten etwa, im akademischen Raum oder auch immer noch im Printjournalismus.

Da funktionieren die Distinktionskämpfe und Peergroup-Rangeleien ungebrochen. Im Literaturbetrieb dagegen ist letztlich viel zu wenig Geld drin, um tatsächlich relevant zu sein – selbst arrivierte Autoren müssen sich ordentlich anstrengen, um auf ein Lehrergehalt zu kommen. Wo Kessler recht hat: Die paar festen Stellen, die es im Literaturbetrieb gibt, bekommen dann tatsächlich oft Bildungsbürgerkinder. Was er verkennt: In der Regel kann man sich auf dem Feld der Literatur aber sowieso höchstens das kulturelle Kapital erwerben, das man dann im Kulturmanagement, beim Fernsehen oder Magazinen in Festanstellungen ummünzen muss.

Untersucht die Lebensläufe

Genau da sollte man weiterdenken. Es wäre wirklich einmal eine literatursoziologische Studie wert, konkret zu untersuchen, was aus den meisten Abgängern der deutschen Schreibschulen in Leipzig und Hildesheim tatsächlich beruflich wird. Wahrscheinlich ließe sich dabei eine Menge über die Rahmenbedingungen heutiger Literaturproduktion sowie auch über die komplizierten Wege heutiger Lebensläufe lernen.

Für US-amerikanische Creative-Writing-Seminare gibt es solche Untersuchungen längst. Ganz großartig ist etwa die Studie „The Program Era“ des US-Literaturprofessors Mark McGurl (taz vom 21. 11. 2009). Eine der vielen fruchtbaren Thesen dieses Buches lautet: Das während der Creative-Writing-Seminare vermittelte Programm der ständigen Selbstreflexion – Bin ich tatsächlich ein Schriftsteller? Welche authentischen Erfahrungen habe ich gemacht? Wie kann ich sie und damit mich selbst originell darstellen? – lässt sich wunderbar auf die Berufswelt und die Milieus der heutigen Angestellten übertragen. Die Selbstreflexionsmechanismen tauchen in der Angestelltenwelt beim notwendigen Grübeln über die dort notwendigen Fragen wieder auf: Wie kann ich mich in die Gruppe integrieren, ohne mich selbst zu verbiegen? Wie kann ich mich so darstellen, dass ich auf der Karriereleiter vorankomme? Warum bin ich genau der Richtige für diesen Job?

Was das Management braucht

Wenn man die Ausbildungsstätten der deutschsprachigen Literatur in den Blick nimmt, dann sollte man es eben kühl tun. Sie bieten zweierlei. Zum einen für angehende Schriftsteller die Möglichkeit, sich auszuprobieren, die für eine nötige Autorenkarriere nötigen Kontakte zu knüpfen und über das nachzudenken, was die eigene Unverwechselbarkeit ausmachen könnte. Und zum anderen bieten sie für diejenigen Menschen, die irgendwann doch lieber Geld verdienen wollen als prekären Schriftstellerprojekten nachzugehen, die Möglichkeit, kulturelles Kapital anzusammeln und die Kommunikations-, Selbstmanagement- und Selbstdarstellungsfähigkeiten zu trainieren, die in Angestelltenverhältnissen verlangt werden.

Bei den Absolventen der Schreibschulen, die sich doch für eine Autorenkarriere entscheiden, plädiere ich auf Einzelfallprüfung

Das klingt vielleicht zynisch. Doch es ist eher wohlwollend den Angestellten gegenüber gemeint. Man neigt in Deutschland dazu, zu unterschätzen, wie viel Fähigkeiten zur Selbstreflexion und auch zur Selbsterfindung in Medien-, Verwaltungs- und Managementjobs nötig sind. Der kreativ-künstlerische Bereich und die Angestelltenmilieus sind enger miteinander verschränkt, als es Karikaturen wie die Fernsehserie „Stromberg“ nahelegen. Ich glaube jedenfalls, der klassische bildungsbürgerliche Weg für Professorentöchter und Richtersöhne besteht eher darin, mal ein paar Jahre in den Literaturbetrieb hineinzuschnuppern und dann doch was „Richtiges“ zu machen. Bei Stiftungen. In einer Redaktion. Oder auf einem Kulturamt.

Und bei den Absolventen der Schreibschulen, die sich doch für eine Autorenkarriere entscheiden, plädiere ich auf Einzelfallprüfung. Wobei die Tendenz in der Literaturkritik sowieso eher dahin geht, nicht mehr so ausschließlich wie noch in den nuller Jahren auf Debüts zu setzen. Auf den Schreibschulen fangen solche Karrieren auch im besten Fall schließlich erst an.

Ob bildungsbürgerlich oder nicht: Mit der eigenen Herkunft wird sich über kurz oder lang jeder gute Autor literarisch gestaltend – und das heißt notwendig: distanzierend – auseinandersetzen müssen. DIRK KNIPPHALS

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