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„Hier sollte ein Exempel statuiert werden“

PRESSERAT Lutz Tillmanns vom Deutschen Presserat spricht von einem Angriff auf die Pressefreiheit – und hofft auf eine Revision außerhalb Sachsens

Lutz Tillmanns

■ 53, ist seit dem Jahr 1992 Geschäftsführer des Deutschen Presserats und Rechtsanwalt. Zuvor war er stellvertretender Justiziar bei der Deutschen Welle in Köln. Seit dem Jahr 2002 ist er Lehrbeauftragter für Presserecht und Presseethik am Medieninstitut der Universität Mainz.

INTERVIEW FRAUKE BÖGER

taz: Herr Tillmanns, was halten Sie von dem Prozess gegen Arndt Ginzel und Thomas Datt?

Lutz Tillmanns: Der war schon sehr ungewöhnlich und stimmt kritisch. Man hat den Eindruck, dass ein Exempel statuiert werden sollte. Man wollte unliebsame Journalisten abstrafen, die Missstände aufdecken wollten, gerade in der Justiz. Da kommt einem natürlich die Funktion der freien Presse in den Sinn. Und der Eindruck entsteht, dass dagegengehalten werden sollte.

Wie finden Sie die Artikel zum Thema „Sachensumpf“, die im Spiegel und auf Zeit Online erschienen sind?

Ich habe die Beiträge nicht genau studiert. Aber hier geht es ja auch nicht um die Verantwortung für das Ergebnis, das veröffentlicht wurde, sondern um vorher geleistete Recherchearbeit. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass der Spiegel wohl 6.500 Euro Strafe bezahlt hat für den eigenen Redakteur, aber das ist eine andere Sache, um die es in dem Prozess nicht geht. Sondern es geht um den Anteil von Recherchearbeit der Journalisten, der in das Ergebnis eingeflossen ist. Es ist auch eine Auseinandersetzung um Inhalte, und es wird mit der dicken Keule gedroht.

Viel Kritik gab es an dem Nebenkläger, weil er strafrechtlich und nicht presserechtlich gegen die beiden Journalisten vorging. Welchen Unterschied hätte es gemacht, wenn der Fall nach dem Presserecht geführt worden wäre?

Nach dem Presserecht wäre es darum gegangen, ob falsch gearbeitet wurde und ob Persönlichkeitsrechte verletzt worden sind. Da hätten ein Widerruf und Schadenersatzforderungen durchgesetzt werden können, aber nicht gegen die vorarbeitenden Rechercheure, sondern gegen den Verlag. Nun aber sind zwei Rechercheure rausgezogen worden.

Warum?

Sie sollten diszipliniert werden. Aber auch über diesen konkreten Anlass hinaus zeigt dies natürlich die Gefahr für die freie Presse. Insbesondere für freie Journalisten ist das schwerwiegend, anders als für angestellte Redakteure, die einen Verlag hinter sich haben.

Sie sind vom Gericht enttäuscht?

Ich hatte die Zuversicht, dass das Gericht die Strategie der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers erkennt, eine kritische Schlussfolgerung zieht und den Prozess mit einem Freispruch beendet. Die Journalisten sollten in die nächste Instanz gehen. Und dann geht der Fall hoffentlich irgendwann an ein Gericht außerhalb Sachsens.

Sie haben den Prozess also nicht als fair empfunden?

Der Prozess

Die Angeklagten: Arndt Ginzel und Thomas Datt, zwei freie Journalisten, die für den Spiegel und für Zeit Online in Sachen Korruption in der sächsischen Justiz („Sachsensumpf“) recherchiert haben. Sie zeigten früheren Prostituierten des Bordells „Jasmin“ Fotos von Justizbeamten und fragten sie, ob diese im Bordell verkehrten.

Die Kläger: Die Dresdner Staatsanwaltschaft und, als Nebenkläger, Jürgen Niemeyer, ehemaliger Vizepräsident des Leipziger Landgerichts. Die Zwangsprostituierten erkannten Niemeyer auf den Fotos wieder, wovon der Spiegel und Zeit Online dann berichteten. Niemeyer hatte 1994 in einem Verfahren gegen den Betreiber des Bordells „Jasmin“ wegen Zwangsprostitution von Minderjährigen ein mildes Urteil von vier Jahre Haft ausgesprochen.

Das Gericht: Der Richter ist Hermann Hepp-Schwab. Norbert Röger, der derzeitige Präsident und damit Hepp-Schwabs Vorgesetzter, stand ebenfalls im Verdacht, in die Korruptionsaffäre des Sachsensumpfs verwickelt gewesen zu sein.

Die Anklage: Verleumdung und üble Nachrede. Der Prozess dauerte seit April, die Verteidiger sahen schon in dem langen Verfahren und den damit entstehenden Kosten eine Bestrafung.

Die Schlussworte: Der Angeklagten: „Es kann nur einen Freispruch geben, weil die Anklage willkürlich und falsch ist!“ Der Anwältin und Ehefrau des Nebenklägers: „Die Journalisten müssen sich ihrer Macht bewusst sein. Sie haben großes Unheil angerichtet.“

Der Untersuchungsausschuss: Die Ermittlungen zum „Sachsensumpf“ sind noch nicht abgeschlossen. Der erste Untersuchungsausschuss tagte von Juli 2007 bis August 2009, der zweite hat in diesen Tagen einen Zeitplan vorgelegt. Ab 2011 will sich der Ausschuss mit dem Umgang der Landesregierung und der Staatsanwaltschaft mit Journalisten beschäftigen. Auch der Prozess gegen Ginzel und Datt soll dabei eine Rolle spielen. (boe)

Es ist schwierig, dies aus der Distanz im Einzelnen zu beurteilen, aber hier ist die Unabhängigkeit der Presse gefährdet, das muss sich jede Staatsanwaltschaft und jedes Gericht vorher überlegen.

Warum wurde der Presserat in diesem Fall nicht zu Rate gezogen?

Das entzieht sich meiner Kenntnis. Es wäre aber auf jeden Fall eine denkbare Möglichkeit gewesen, beim Presserat Beschwerde einzureichen. Ich denke aber, dass man hier von Anfang an eine schwere Keule einsetzen wollte; strafrechtliches Vorgehen wirkt natürlich disziplinierender.

Zeugt das nicht auch von einer schwachen Position des Presserats?

Das sehe ich nicht so. Wir sind nie und werden auch nie als Ersatz eines Strafgerichts auftreten. Wir sind ein Organ der freiwilligen Selbstkontrolle, und wenn einem Betroffenen etwas daran liegt, Vorgänge überprüfen zu lassen und nicht gleich einen unüberbrückbaren Graben zu schaffen, dann kann er bei uns Beschwerde einreichen.

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