: Wenn’s der Wahrheitsfindung dient
GESPENSTER Ein neuer RAF-Prozess gegen Verena Becker steht ab Ende September auf dem Spielplan. Ausgerechnet in Stuttgart-Stammheim und ohne Aussicht auf Erfolg
Nun also doch: Der Prozess gegen die frühere RAF-Frau Verena Becker wegen einer möglichen Mittäterschaft bei der Ermordung des Generalbundesanwaltes Siegfried Buback und seiner Begleiter vor 33 Jahren wird am 30. September eröffnet. Dieses Verfahren wird ausgerechnet im sogenannten Bunker, einem auf dem Gefängnisgelände errichteten Hochsicherheits-Mehrzweckbau, in Stuttgart-Stammheim stattfinden. Zur Erinnerung: Das Gebäude wurde vor 35 Jahren eigens für die Gerichtsverfahren gegen die Mitglieder der Roten Armee Fraktion errichtet. Im Gefängnis von Stammheim starben die RAF-Gründer Ulrike Meinhoff (1976), Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe.
Für Verena Becker bedeutet Stammheim auch eine Wiederkehr. Anfang November 1977 stand sie in Stammheim bereits vor Gericht und wurde wegen einer Schießerei mit der Polizei bei ihrer Festnahme im baden-württembergischen Singen zu lebenslanger Haft verurteilt. 12 Jahre später und nach einer Offenbarung beim Verfassungsschutz wurde Becker 1989 begnadigt. Wenige Wochen nach dem Fall der Mauer verließ sie am 30. November ihre Zelle. Der 30. November war auch der Tag, an dem Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen einem Bombenanschlag der RAF zum Opfer fiel.
Die Entscheidung für Stammheim als Gerichtsort steht ikonografisch für die Unfähigkeit, jenseits der Strafprozessordnung nach Wegen zu suchen, um den Terrorismus der RAF (von 1972 bis 1990) aufzuarbeiten. Abzusehen ist, dass von dem Prozess niemand profitieren wird. Der Rechtsstaat nicht, aber auch für die Hinterbliebenen der von der RAF ermordeten Opfer wird – 12 Jahre nach dem offiziell verkündeten Ende der Roten Armee Fraktion – die Neuaufführung im Bunker von Stuttgart-Stammheim nichts bringen. Neue Erkenntnisse sind kaum zu erwarten.
Dass es 33 Jahre nach der Tat dennoch zur Neuauflage kommt, ist vor allem dem beharrlichen Auftreten Michael Bubacks geschuldet. Wie kein anderer hat der Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts Widersprüche in den Ermittlungen um den Mord an seinem Vaters öffentlich angeprangert, sodass sich Generalbundesanwältin Monika Harms schließlich genötigt sah, ein aussichtsloses neues Verfahren auf den Weg zu bringen.
Die Journalistin Carolin Emcke, Patenkind des ermordeten Deutsche-Bank-Chefs Herrhausen, hat in ihrem Buch „Stumme Gewalt – Nachdenken über die RAF“ angeregt, den Tätern aus den Reihen der RAF Straffreiheit zuzusichern, um so die Aufarbeitung voranzutreiben. Davon hätten die Hinterbliebenen der Opfer mehr als von den neuen Prozessen. WOLFGANG GAST
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