: „Videos verhindern keine Anschläge“
Die Ausweitung von Sicherheitsmaßnahmen, wie Innenminister Schäuble sie fordert, „ist überflüssig und schädlich“, sagt Hans-Christian Ströbele. Aber die SPD wird einknicken, fürchtet der grüne Rechtsexperte
taz: Herr Ströbele, infolge der misslungenen Kofferbombenattentate will Innenminister Schäuble die flächendeckende Videoüberwachung einführen und die Datenbestände von Bundes- und Landespolizeien sowie der Geheimdienste vernetzen. Sind das geeignete Instrumentarien zur Abwehr terroristischer Anschläge?
Hans-Christian Ströbele: Ich kann nur davor warnen, nach jedem versuchten Anschlag oder nach jedem schlimmen Ereignis wie zuletzt in London gleich die Gesetze zu verschärfen. Richtig ist es, Sicherheitsvorkehrungen und Gesetze immer wieder zu überprüfen. Die jetzt vorgeschlagenen Maßnahmen aber sind überflüssig und damit auch schädlich. Sie schränken die Bürgerrechte unnötig ein.
Hat aber nicht gerade die Videoüberwachung in Kiel den schnellen Fahndungserfolg des BKA bei der Suche nach den „Kofferbombern“ garantiert? Dadurch wurden doch möglicherweise weitere Anschläge des einen mutmaßlichen Täters vereitelt.
Die Videoüberwachung konnte aber nicht verhindern, dass die Kofferbomben in den Regionalzügen platziert wurden. Bei der Anschlagsprävention hat sie also überhaupt nicht geholfen. Im Grunde führt die Videoüberwachung nur dazu, dass sich potenzielle Täter darauf einstellen und sich entsprechend vorsichtig im öffentlichen Raum bewegen. Dafür gibt es genügend Beispiele im Ausland. Auch die Bundeswehr – Schäubles Lieblingsthema – hätte diese beiden, zum Glück misslungenen Anschlagsversuche in Deutschland nicht verhindern können.
Terrorabwehrexperten fordern schon lange eine Vernetzung der Dateien von Polizeien und Geheimdiensten auch in Deutschland. Bereits im Herbst wird jetzt die Bundesregierung – nach der Prognose von Schäuble – ein entsprechendes Antiterrorgesetz beschließen.
Diese Volldatei ist überflüssig und nicht sachgerecht. Selbst die Geheimdienste wollen sie in dieser Form nicht. Die Verfassung verbietet die organisatorische Zusammenlegung von Polizeien und Geheimdiensten. Und das aus historischen guten Gründen.
Der Verfassungsschutz und der BND sind doch nicht mit der Gestapo zu vergleichen!
Das nicht. Aber die Trennung ist nicht ohne Grund ein Verfassungsgebot. Es geht ja auch nicht darum, die Zusammenarbeit zwischen den Diensten und der Polizei zu verhindern. Die Geheimdienste sind schon nach geltendem Recht dazu verpflichtet, ihre Informationen über verdächtige Personen oder terroristische Gefahren sofort der Polizei zu übermitteln. Es ist mir kein einziger Fall bekannt, dass Geheimdienste etwa mit Hinweis auf den Datenschutz eine Information zurückgehalten hätten. In Berlin gibt es sogar das „Information Board gegen den Terrorismus“. Dort tauschen Geheimdienstler und Polizisten täglich Informationen zu terroristischen Gefahren aus. Um es noch einmal klar zu sagen: Die Zusammenarbeit zwischen Geheimdiensten und Polizeien zur Terrorabwehr auch europaweit ist sinnvoll und notwendig. Aber Dateien müssen dazu nicht zusammengelegt werden. Es genügt eine Indexdatei mit den Namen konkret verdächtiger Personen. Wenn künftig jeder Polizist alle Daten der Geheimdienste abrufen kann, können die Dateien ja gleich ins Internet eingestellt werden. Davor warnen selbst Geheimdienstleute, die das Gesetz in dieser Form nicht wollen.
Gibt es für die Opposition im Bundestag noch Möglichkeiten, das Antiterrorgesetz in der Form, wie Wolfgang Schäuble es sich wünscht, zu verhindern?
Ich fürchte, all unsere Gegenwehr wird erfolglos sein. Wir kennen die Bereitschaft der SPD, in Situationen terroristischer Bedrohung dem öffentlichen Druck nachzugeben und in Aktionismus zu verfallen, um der Bevölkerung den Eindruck zu vermitteln: Die tun was. Und das wider besseres Wissen. Was uns die große Koalition im Herbst verkaufen wird, sind alte Begehrlichkeiten aus der Mottenkiste der Bundesinnenminister. Nichts davon ist geeignet, diesem Land mehr Sicherheit zu bringen. Interview: K.-P. Klingelschmitt
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