: Vorwärts und alles vergessen
taz-Serie „Was ist links?“ (Teil 2): Im Wahlkampf wird kaum ein Thema so wenig debattiert wie die Stadtentwicklung. Bei dem zentralen Anliegen der Linken, der Sanierungspolitik, ist Ruhe eingekehrt, soziale Gerechtigkeit gilt als spießig, und Genossenschaften werden heute von der CDU befürwortet
von UWE RADA
Oft ist in Wahlkämpfen nicht nur spannend, was gesagt wird, sondern auch, was nicht gesagt wird. Über die Stadtentwicklungspolitik wird in den Rededuellen und auf Plakatwänden so beflissentlich geschwiegen, dass sich der Wähler und nicht nur der fragen muss: War da mal was?
Es war. Zum Beispiel unmittelbar nach der Wende, als sich Stadtplaner und Architekten mit Inbrunst darum stritten, ob am Potsdamer Platz Hochhäuser entstehen sollten oder nicht. Die Grünen, die damals unter Rot-Grün die Umweltsenatorin stellten, hätten den Platz am liebsten gar nicht bebaut. Der zuständige Senator wiederum traute sich zu, die Investoren kleinzuarbeiten, damit wenigstens etwas bliebe von der europäischen Stadt. Und heute? Heute pilgern Touristen wie BerlinerInnen gleichermaßen zu den Potsdamer Platz Arkaden. Man findet sie spannend oder banal, aber das ist egal. Sie sind da, und das ist das Entscheidende.
Auch beim zentralen Anliegen der Linken in der Stadtentwicklung, der Sanierungspolitik, ist inzwischen Ruhe eingekehrt. Der Löwenanteil der Häuser im Osten ist saniert, die Sanierungsgebiete laufen demnächst aus. Aber was ist die Bilanz? Was haben die Befürworter einer behutsamen und sozialen Stadterneuerer erreicht? Haben sie den Bevölkerungsaustausch in Prenzlauer Berg verhindern können? Sind sie zufrieden damit, dass nun Rechtsanwälte und Mediendesigner von den niedrigen Einstiegsmieten des Förderprogramms „soziale Stadt“ profitieren? Hat man Milliarden ausgegeben, um am Ende festzustellen, dass die Hauseigentümer die eigentlichen Gewinner waren? Viele Fragen, wenig Antworten.
Es ist also anders gekommen als gedacht. Nirgendwo stellt sich die Frage „Was ist links?“ deshalb so eindringlich wie in der Stadtentwicklungspolitik.
Für Willo Göpel stellt sie sich gar nicht mehr. Der 43-jährige Historiker arbeitet seit zehn Jahren als Projektentwickler und vermarktet derzeit das ambitionierte Projekt Prenzlauer Gärten in Prenzlauer Berg. „Entscheidend ist für mich heute“, sagt er, „ob Stadtentwicklungspolitik die richtigen Antworten auf die richtigen Fragen gibt.“
Eine dieser Fragen ist laut Göpel, mit welchem Angebot man auf die Wiederentdeckung der Innenstadt als Wohnort reagiert. „Die meisten Investoren bauen immer noch Architektur von der Stange, und das sogar oft ohne Balkons“, sagt er. „Und hinterher wundern sich alle, dass das Projekt nicht funktioniert.“ Göpel hat sich mit den Investoren für einen anderen Weg entschieden und den Kunden zum König gemacht. „Die Ansprüche sind schließlich groß“, sagt er. „Die Kunden wollen alles, und zwar sofort. Sie wollen einen Eigenheimbau mit einem real geteilten Grundstück, einen eigenen Garten, eine eigene abschließbare Garage, ein Wohngeschoss mit 3,70 Meter Raumhöhe und eine Dachterrasse.“ Also hat die Bremer Asset-Gruppe, für die Göpel arbeitet, bei den Prenzlauer Gärten auch so gebaut. Auch wenn sich das nur wenige leisten können, bei Willo Göpel hat das alte Thema Bürgerbeteiligung, wenn auch auf Umwegen, die Investoren erreicht.
Interessant ist Willo Göpel für die Stadtentwicklungspolitik aber nicht nur, weil er seine Thesen auch schon auf einem Stadtforum vortragen durfte. Willo Göpel ist auch CDU-Mitglied. Und als solches sagt er: „Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer macht keine innovative Politik. Von Franziska Eichstädt-Bohlig als Stadtentwicklungssenatorin würde ich mir weitaus mehr versprechen.“ Ist Rot-Rot also gescheitert in der Stadtentwicklungspolitik und Schwarz-Grün die Hoffnung der Zukunft?
Ortswechsel: Kulturkantine der „Genossenschaft Gewerbehof Saarbrücker Straße“ in Prenzlauer Berg. Für das Bildungswerk der Heinrich Böll Stiftung organisiert Mathias Heyden eine Veranstaltungsreihe zum Thema „selbstbestimmtes und gemeinschaftsorientiertes Bauen in Berlin“. Dass das nicht nur ein Genossenschaftsthema ist, weiß man inzwischen auch in Berlin. Doch das Lob von Heyden, der einst die Kastanienallee 77 mit besetzt hatte, gilt dem CDU-Senat in Hamburg. Dort nämlich werden 15 Prozent der freien Flächen in Landesbesitz für Baugruppen reserviert, in denen sich mehrere Interessenten mit unterschiedlichen Ansprüchen zusammengeschlossen haben, um gemeinsam ein Haus zu errichten.
In Berlin dagegen ist das kein Thema. Das liegt nicht nur an den schwierigen und langwierigen Finanzierungsmodellen, an denen die Baugrüppler basteln müssen. Es liegt auch am Unwillen der Verantwortlichen, zum Beispiel des Liegenschaftsfonds, innovative Eigentums- und Trägerformen zu unterstützen.
Innovation haben sich auch die Grünen auf die Fahnen geschrieben. Ihre Spitzenkandidatin Franziska Eichstädt-Bohlig plädiert seit langem für mehr Aufmerksamkeit gegenüber anderen Eigentumsformen wie kleine Genossenschaften oder Baugruppen. Doch das Modethema der Linken ist ein anderes – die Zwischennutzung. Dass diese oft nichts anderes ist als die Aufwertung auf der Suche nach einem klassischen Investor, stört nicht. Wichtig ist das temporäre Experiment. Neue Eigentumsformen gelten als spießig. Das alte Thema der Stadtentwicklung – soziale Gerechtigkeit – erst recht.
Doch was folgt daraus? Eine heimliche schwarz-grüne Stadtentwicklungskoalition, die auf Modethemen ebenso reagiert wie auf neue Nachfragen der neuen Urbaniten? Ein Bündnis, das wie Willo Göpel und Franziska Eichstädt-Bohlig für ein Mehr an Baugruppen, Genossenschaften, neue Eigentumsformen und neue Wohnangebote in der Innenstadt plädiert – und ganz nebenbei eintritt für eine Privatisierung der Wohnungsbaugesellschaften?
Spätestens hier wissen wir wieder, was links ist: Der SPD-Fraktionsvorsitzende Michael Müller jedenfalls warnt vor solchen neuen Bündnissen: „Wir wollen keine Privatisierung der Wohnungsbaugesellschaften, wir wollen sie sanieren“, sagt Müller. Für die Plakatwände im derzeitigen Wahlkampf ist diese Überzeugung aber wohl zu kompliziert. Oder schlicht nicht sexy genug.
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