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Illegal, aber nun erlaubt

US-Senat winkt Anti-Terror-Gesetze durch. Regierung erhält weit reichende Vollmachten für geheime CIA-Programme

AUS WASHINGTONADRIENNE WOLTERSDORF

Es bedurfte einer zehnstündigen heftigen Debatte, doch US-Präsident George W. Bush hat sein umstrittenes Antiterrorgesetz durch den Kongress gebracht. Einen Tag nach dem Repräsentantenhaus billigte am Donnerstag auch der Senat das neue Gesetz.

Die Senatoren stimmten mit 65 zu 34 Stimmen für das Kompromisspaket, das den Umgang mit Terrorverdächtigen regeln soll. Etwa ein Dutzend Demokraten stimmten mit der republikanischen Mehrheit im Senat. Das Gesetz wird von Menschenrechtlern und Verfassungsexperten kritisiert. Sie befürchten, dass Folter fortan sanktioniert wird. Im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen zum US-Kongress im November gilt die Verabschiedung als wichtiger Erfolg für Bush. Der Präsident muss das Gesetz noch unterzeichnen, damit es in Kraft treten kann.

Das neue Gesetz erlaubt den USA auf ihrem Militärstützpunkt und exterritorialen Internierungslager Guantanamo Bay auf Kuba sogenannte Militärausschüsse zur Aburteilung der dort festgehaltenen Terrorverdächtigen zu bilden. Die Gefangenen dürfen hierbei von einem Anwalt verteidigt werden. In Guantánamo werden derzeit noch mehr als 450 mutmaßliche Terroristen und Mitglieder der afghanischen Taliban- Milizen überwiegend ohne Anklage festgehalten.

Zwar verbietet das neue Gesetz eine „grausame, unmenschliche oder herabwürdigende“ Behandlung der Verdächtigen, allerdings können sie weder Rechtsmittel gegen ihre Haftbedingungen noch gegen ihre zeitlich unbegrenzte Haftdauer einlegen. Dies wird möglich, weil das Gesetz ihnen die in Rechtsstaaten sonst gültige Unschuldsvermutung für noch nicht Verurteilte, die sogenannte Habeas-Corpus-Akte, verweigert. Bislang hat keiner der nach dem 11. September 2001 nach Guantánamo verbrachten Männer ein rechtmäßiges Verfahren bekommen.

Der oberste Gerichtshof der USA hatte im Juni den Umgang mit den Häftlingen in Guantánamo als verfassungswidrig bezeichnet. Zudem entschieden die Richter, dass die Regierung mutmaßliche Terroristen gemäß der Genfer Konventionen behandeln müsse.

Nach diesem Urteil sah sich das Weiße Haus gezwungen, einen Teil seiner Antiterrorpolitik neu zu formulieren und sich den in Zusammenarbeit mit drei republikanischen Senatoren erarbeiteten Kompromiss vom Kongress absegnen zu lassen. Bush hatte zuvor, am Vormittag, noch einmal persönlich vor den Senatoren für sein Reformprojekt geworben und das Gesetz ein „notwendiges Werkzeug“ im Kampf gegen den Terrorismus genannt. „Man darf nicht vergessen, dass es immer noch einen Feind gibt, der den USA Schlechtes will“, sagte Bush im Senat.

Das Gesetz erlaubt scharfe Verhörpraktiken, erklärt aber besonders „grausame“ Methoden für unzulässig. Allerdings bleibt offen, was seine Autoren unter „grausamer und unüblicher“ Bestrafung von Gefangenen verstanden wissen wollen. In strittigen Fällen soll der Präsident über die Zulässigkeit entscheiden. Mit dem Gesetz sollen Ermittler der US-Geheimdienste oder der US-Armee außerdem vor internationaler Strafverfolgung geschützt werden.

168 demokratische Abgeordnete im Repräsentantenhaus hatten am Mittwoch gegen das Gesetz gestimmt, unter anderem weil es umstrittenen Militärtribunale nun ausdrücklich erlaubt. Eine republikanische Mehrheit von 253 Abgeordneten überstimmte sie jedoch und hinderte die Kritiker daran, noch weitere Änderungen an der Gesetzesvorlage zu erwirken. Bush hatte nach dem Votum im Repräsentantenhaus erklärt, das Gesetz trage dazu bei, „dass unser Land sicher bleibt“. Im Senat wurde am Donnerstag dann auch der Antrag abgewiesen, die Gültigkeitsdauer des Gesetzes zunächst auf fünf Jahre zu beschränken.

Der demokratische Minderheitsführer im Senat, Harry Reid, warnte vor Gefahren für die US-Soldaten im Ausland, sollten sie selbst gefangen genommen werden. Bush sage zwar, die USA ließen Folter nicht zu, „aber der Text erlaubt es dem Präsidenten, unsere Verpflichtungen neu auszulegen. Damit beschneidet er die Kontrolle der Judikative, das gefährdet unsere Truppen im Feld.“

Kritiker, darunter der prominente republikanische Senator John McCain aus Arizona, Vietnamkriegsveteran und selbst Folteropfer, hatten zuvor davor gewarnt, der Armee einen Freifahrtschein für „alternative“ Verhörmethoden auszustellen. Der US-Präsident hatte nach Medienberichten zugegeben, dass der US-Geheimdienst CIA Terrorverdächtige in Geheimgefängnissen außerhalb der USA verhört. Dabei sollen von der US-Regierung als „alternativ“ bezeichneten Verhörmethoden und „verstärkte Befragungen“ angewendet werden.

Kritiker befürchten, dass das Gesetz zu viel Spielraum für mögliche Misshandlungen von Gefangenen lässt. So könnten sich unter dem Begriff „alternative Verhörmethoden“ Praktiken wie vorgetäuschtes Ertränken verbergen oder systematischer Schlafentzug und Unterkühlen – alles Methoden, die unter das Folterverbot der Genfer Konvention fallen. Eine Anfechtung von Passagen des Gesetzes vor US-Gerichten gilt daher als wahrscheinlich.

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