: Mit List zur Landesliste
SPD und Linkspartei wollen die Bezirkslisten zur Abgeordnetenhauswahl abschaffen. Die Gesetzesänderung bedeutete das Ende jahrelanger parteiinterner Streitigkeiten
Sylvia von Stieglitz hätte eine Landesliste viel Ärger erspart. Die FDP-Politikerin aus Steglitz-Zehlendorf verlor in der vergangenen Woche ihr sicher geglaubtes Abgeordnetenhausmandat. Nach letzten Berechnungen sprach der Landeswahlausschuss nicht, wie zunächst verkündet, ihr ein Ausgleichsmandat zu, sondern ihrer Partei in Tempelhof-Schöneberg. Von Stieglitz war ihren Job los. Ein CDU-Kandidat erlitt ein ähnliches Schicksal. Schuld an solchen Wahlrechts-Kapriolen trägt nach Ansicht vieler Politiker eine alte Berliner Sitte: die Aufstellung von Bezirkslisten. SPD und Linkspartei planen, sie per Gesetzesänderung abzuschaffen. Leicht wird das nicht.
Bislang sind alle Änderungsversuche gescheitert. Seit Jahrzehnten stellen SPD, CDU und FDP ihre Kandidaten für das Abgeordnetenhaus nicht zentral per Landesliste auf. Stattdessen nominiert jeder Kreisverband in den zwölf Bezirken selbst Frauen und Männer. Die Macht, Ämter und Posten verteilen zu können, wollen die Bezirksfürsten nicht abgeben – mit Folgen für die Qualität der Landespolitik. Manche Fraktionen bieten beispielsweise viele Wirtschafts-, aber kaum Jugendpolitiker auf. Bei FDP und CDU sind Frauen stark unterrepräsentiert. Die Grünen setzen traditionell auf die Landesliste, die Linkspartei-Spitze hat sich in diesem Jahr mit deren Einführung durchgesetzt.
Für das Scheitern der CDU-Kandidatin von Stieglitz war die Bezirksliste mitverantwortlich: Wenn eine Partei in einem Bezirk viele Wahlkreise gewinnt, übersteigt die Zahl ihrer so gewonnen Direktmandate in vielen Fällen ihre Mandatszahl gemäß Zweitstimmenergebnis. Dadurch hat sie Überhangmandate. Die anderen Parteien erhälten dafür wiederum Ausgleichsmandate wie das der Steglitz-Zehlendorferin. Nach langem Rechnen schlug der Landeswahlausschuss dieses Mandat jedoch einer anderen Bezirksliste zu. Mit Landeslisten wäre das nicht passiert.
Aus Sicht der SPD-Führung ist die Zeit günstig für einen Wechsel: „Manche Wähler hätten am 17. September vielleicht für die SPD gestimmt, hätten sie auf dem Stimmzettel den Namen Klaus Wowereits gelesen“, sagt der Fraktionssprecher Thorsten Metter. Stattdessen stand der populäre Regierungschef nur in seinem Direktwahlkreis markant auf dem Zettel. Zudem könne der Fall der ausgetauschten FDP- und CDU-Parlamentarier Sympathien für die Landesliste wecken. Welcher Politiker will schon deren Schicksal teilen?
Noch etwas, verlautete aus der SPD-Spitze, spiele den Landeslisten-Befürwortern in die Hände. Die SPD-Kreischefs seien derzeit kompromissbereiter als beim jüngsten parteiinternen Vorstoß 2003. Dahinter steckt auch das Wissen der SPDler, dass sie den Wahlsieg ihrem Spitzenkandidaten verdanken. Nun verlangt die Parteispitze um Klaus Wowereit eine Gegenleistung.
Um den Paragrafen 10 des Landeswahlgesetzes zu ändern, genügt eine einfache Stimmenmehrheit im Abgeordnetenhaus. Dabei kann die SPD auch auf die Unterstützung der FDP zählen. Deren Landesvorstand versuchte Ende vergangenen Jahres, den Parteifreunden die Einführung der Landesliste abzuringen. Der Parteitag endete im Tumult.
MATTHIAS LOHRE
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