piwik no script img

Lasst uns bauen und es Freiraum nennen

TEMPELHOFER FELD Jetzt sind sie vollständig: Mit den Plakaten der Grünen hängen nun alle Plakate zum Volksentscheid am 25. Mai. Doch welche der vier Parteien und zwei Initiativen ist am überzeugendsten – und wer verschleiert am dreistesten?

VON ERIK PETER

Sex sells

Selten wurde Adbustern die Arbeit so leicht gemacht: Lediglich ein Punkt oder ein Komma in der Überschrift, und die Kampagne beflügelt die Fantasie hinsichtlich der Betätigungsmöglichkeiten auf dem Feld. Ganz aufgeklärt ist die Sache mit den Vögeln allerdings auch in einer anderen Hinsicht nicht: Eine Fledermaus ist kein Vogel. Und was ein fliegender Pinguin auf dem Plakat soll, gibt auch Rätsel auf. Vielleicht wollte man neben kichernden Jugendlichen doch auch Kinder ansprechen. Inhaltlich ist dieses Plakat jedenfalls etwas dürftig geraten.

Und auch grafisch sieht die ganze Sache ziemlich nach einer Do-it-yourself-Lösung aus – die klamme Freiwilligen-Ini musste offenbar auf die Hilfe eines Photoshopanfängers zurückgreifen. Neongrün mag zwar die Sneakerfarbe der Saison sein, wirkt aber im Gegensatz zum satten Wiesengrün, das die Aktivisten erhalten wollen, ziemlich pestizidbelastet. Einzige Hoffnung für die Aktivisten: Diejenigen, die das Feld unbebaut lassen wollen, haben ihre Entscheidung ohnehin schon getroffen.

Beim Gegner fischen

Die Initiative mehrerer Wohnungsbau-, Wirtschafts- und Sozialverbände setzt auf eine professionell konzipierte Kampagne mit dem klaren Fokus, möglichst nichts zu sagen, niemanden abzuschrecken und maximale Verwirrung zu stiften. Zugegeben: Ein Titel wie „Weg mit dem Feld – wie machen hier bald Profit“ würde deutlich schlechter funktionieren. Mehr als die Stimmen der verbliebenen FDP-Wähler, deren Partei auf eine eigene Kampagne verzichtet hat, wären damit nicht zu holen.

Also spielt das Plakat, das man zwar im Netz herunterladen kann, das auf den Straßen aber nicht zu finden ist, mit den Wünschen all jener, die intuitiv eher den Wohlfühlfaktor der Stadt als ihre Wirtschaftskraft betont wissen möchten. So geschickt wie ungeniert bedient man sich dafür auch der Sprache der Gegenseite: Feldbefreier und Gentrifizierungsgegner werden über die Verwendung des Begriffs „Freiraum“ wohl vor Wut schäumen.

Aus Angst vor der Barbarei

Die Linkspartei wirbt mit einem Plakat, das sich optisch nahtlos in ihre Kampagne zur Europawahl einfügt. Das ist zwar verwirrend, weil das eine mit dem anderen schließlich nicht mehr gemein hat als den Wahltermin am 25. Mai, erhöht aber immerhin den Wiedererkennungswert für die PR-Materialien der Partei.

Optisch setzt die Linke auf grafischen Purismus. Mit Bildern von grünen Wiesen oder glücklichen Kindern, die Drachen steigen lassen, kann sie offenbar nichts anfangen – so viel Harmonie ist bei der Partei nicht angesagt. Vielleicht wäre sie auch zu sehr der eigenen Erfahrung verhaftet: Der Großteil der linken Seniorenwählerschaft wird seinen Rollator wohl noch nie übers Feld geschoben haben.

Stattdessen positioniert sich die ehemalige Regierungspartei als antagonistische Opposition zum Senat. Motto: Ein Nein ist schon deshalb richtig, weil die Regierung Ja sagt. Eine Randbebauung Tempelhofs wird in Verbindung mit der Angst vor Privatisierung und Spekulation zu einem barbarisch kapitalistischen Akt.

Mit gewohntem Größenwahn

Der Begriff „Stillstand“ in Verbindung mit dem Bild einer Flughafenlandebahn und dem Logo der SPD ist nicht unbedingt eine Kombination, die Vertrauen weckt: Die Assoziation zum Desaster beim Neubau des Flughafens BER, für das der SPD-Regierungschef immerhin die politische Verantwortung trägt, liegt doch zu nahe. Man muss sich schon für unfehlbar halten, um darauf nicht auch selbst zu kommen. Aber nach 25 Jahren ununterbrochener Regierungsbeteiligung ist eine gewisser Größenwahn wohl unvermeidbar.

Nichtsdestotrotz haben die Sozialdemokraten nun 100.000 Euro in die Hand genommen und 15.000 solcher Plakate gedruckt, die allerdings eine höchst unkonkrete Botschaft transportieren: „Freiheit erhalten, Zukunft gestalten“. Unsere Pläne sind gar nicht so schlimm, soll das heißen, wir bauen nur ein klitzekleines bisschen, und das Feld ist mit Bebauung so schön wie zuvor. Dieser bewussten Verschleierungstaktik entspricht auch der kleine Drachen im rechten oberen Eck: Wir mögen das Feld so, wie es ist, sagt der. Klare Botschaft bei der SPD? Wie immer Fehlanzeige.

Die glückliche Familie

Alliterationen sind etwas Feines, hat sich die CDU gedacht und wirbt mit drei großen Ws für die Randbebauung. Klingt eher nach Internet als nach Tempelhofer Feld? Egal. Die Partei, die bis zuletzt den Flugbetrieb auf ebendiesem Feld erhalten wollte, steht zumindest offener als die anderen Bebauungsbefürworter zu ihren Plänen.

Recht einfallslos und ziemlich bieder wirkt allerdings die siebenköpfige Patchworkfamilie auf dem Plakat der CDU, die einer Kellog’s-Cornflakes-Werbung entsprungen zu sein scheint. Oder sind es doch zwei Kernfamilien und ein Single-Mann? Oder sind es gar Nachbarn? Darunter vielleicht auch noch Schwule? Und warum fehlt eigentlich Angela Merkel?

Wie auch immer: Die CDU kann sich glücklich schätzen, dass sich 57 Prozent der Berliner laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Berliner Zeitung für eine Randbebauung des Feldes aussprechen. Eine Vision, wie diese aussehen könnte, bleibt die CDU allerdings schuldig – wenn sie die auch noch hätte liefern wollen, würde ihre glückliche Kernfamilie vor einer völlig zugebauten Kulisse stehen.

Stuttgart 21 lässt grüßen

Die Grünen gehen die Sache mit Humor an, verzichten dafür aber auf eine eigene politische Aussage. Doch das Motiv ist gut gewählt: der Regierende Bürgermeister in der lustlos-entspannten Pose, die ihm die öffentlichen Meinung ohnehin zuschreibt. Die rhetorische Frage bringt es ebenfalls auf den Punkt: Viele BerlinerInnen finden sich wohl nicht, die sich hier noch zu einem enthusiastischen Ja durchringen können.

Die Partei muss allerdings darauf hoffen, dass niemand hinterfragt, was sie eigentlich wirklich will. Denn das Werben der Grünen für ein Ja zum freien Feld bedeutet keineswegs, dass sie eine Bebauung grundsätzlich ablehnen.

Nur dem Senat wolle man das Ganze nicht überlassen, heißt es. Wenn schon Großprojekt, dann will man selbst ran – ganz so wie die Parteigenossen in BaWü, die den Bahnhof „Stuttgart 21“ nach langem Widerstand dagegen nun selbst bauen. Die Debatte über die Entwicklung des Feldes soll, wenn es nach den Grünen geht, nur aufgeschoben werden. Bis dahin lehnt man sich in der Partei gemütlich zurück – ganz so wie ihre Werbefigur.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen