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Die Kinder-Frau

AUS KOPENHAGEN HEIKE HAARHOFF

Ein Kind. Sie hatte es immer für eine Selbstverständlichkeit gehalten, für etwas, das eines Tages zu ihrem Leben gehören würde. Geboren werden, heranwachsen, selbst Leben schenken, es großziehen, altern, sterben. Der ewige Zyklus irdischen Daseins. Sie wollte nichts Besonderes. Sie wollte das, was andere auch haben.

Nina Stork erzählt ihre Geschichte. Es ist die Geschichte einer persönlichen Niederlage. Und eines politischen Erfolgs. Die Geschichte einer Frau, die heute in ihrer Kopenhagener Inseminationsklinik „Storkklinik“ dafür sorgt, dass Frauen aus ganz Europa ihren Wunsch nach Schwangerschaft und Kindern, unabhängig von Männern, legal realisieren können: verheiratete Frauen, ledige Frauen, lesbische Frauen, Singlefrauen. Es ist die Geschichte ihres eigenen, unerfüllten Herzenswunsches.

Sie beginnt vor zehn Jahren in Kopenhagen, als die Hebamme Nina Stork und ihre Partnerin beschließen, schwanger werden zu wollen. Vieles ist zu jener Zeit möglich in Dänemark, dem toleranten Land. Homosexuelle Paare mit Kinderwunsch, wie Nina Stork und ihre Frau, werden nicht gerade mit offenen Armen empfangen, wenn sie erklären, dass sie Mütter werden wollen. Es werden ihnen aber auch keine großen Steine in den Weg gelegt, sie lavieren, wie alle anderen Dänen mit dem Wunsch nach künstlicher Befruchtung damals auch, in einer rechtlichen Grauzone. Wer Glück hat, findet einen Samenspender und einen verständnisvollen Arzt. Wer Pech hat, muss sich mit seiner Kinderlosigkeit abfinden.

„Es gab damals eine gesellschaftliche Debatte, aber noch kein Gesetz, das künstliche Befruchtungen regelte“, sagt Nina Stork. „Allen war klar, dass wir dieses Gesetz brauchten.“ Doch als es endlich kommt, 1997, ist die Enttäuschung riesig: Ärzte, die alleinstehende oder homosexuelle Frauen künstlich befruchten, heißt es darin, machen sich strafbar. Es ist eine Rechtslage, die der europäischen Norm entspricht, bis heute. Für Nina Stork, die nun von einem Tag auf den anderen aus dem In-Vitro-Fertilisationsprogramm einer Privatklinik geworfen wird, kommt diese Entscheidung der Höchststrafe gleich.

Ein Kind. Sie hat so vielen auf die Welt geholfen, im Kreißsaal, im Geburtshaus, daheim. „Dafür“, sagt sie, „war ich der Regierung meines Landes gut genug. Hebamme sein durfte ich als Lesbe.“ Anderen Frauen erklären, was in ihrem Körper passiert, wenn ein Baby wächst, sie bis zur Geburt begleiten. Und gleichzeitig wissen, dass sie selbst all das nie erleben würde: Es gab eine Zeit, sagt Nina Stork, „da konnte ich den Anblick von Schwangeren nicht ertragen“. Sie gibt ihren Beruf auf. Zwei Jahre hält sie sich mit Töpfern über Wasser.

Das Gefühl, um ihr persönliches Lebensglück betrogen worden zu sein, bleibt. Nina Stork ist Jahrgang 1963. 1997 ist sie 34 Jahre alt, 1998 35 Jahre, 1999 36 Jahre. Sie weiß, dass ihr Plan, das dänische Gesetz zu kippen, utopisch ist – zumindest in dem biologischen Zeitfenster, das ihr bleibt. „Klar denken“, sagt sie, „konnte ich erst wieder, als sich für uns privat eine Lösung abzeichnete.“ Ein Bekannter ist bereit, biologischer Vater ihres Kindes zu werden. Weil Nina Stork ohne ärztliche Hilfe aber nicht schwanger werden kann, trägt ihre Partnerin das Kind aus. „Oskar“, sagt sie, „hat mich motiviert, weiterzukämpfen.“

Weiterkämpfen. Nina Stork grinst. Jedes Gesetz hat Lücken. Man muss sie nur finden. Sie liest das Regelwerk wieder und wieder, bis sie begreift, was dort steht: Ärzte machen sich strafbar. Aber Hebammen nicht.

Sie ist ihrem Ziel jetzt nahe. Sie will, dass keine weitere Frau so leiden muss wie sie. Frauen sollen sich künftig selbst und, wie sie sagt, „würdevoll“ für oder gegen ein Kind entscheiden können. Sie sollen nicht mehr zu hören bekommen, was sie zu hören bekam: dass sie es doch auf der Suche nach einem Ausweg aus ihrer Kinderlosigkeit mal in „ihrer Community“ probieren solle – gemeint waren befreundete homosexuelle Männer. „Einer verheirateten Frau, die keine Kinder bekommen kann, weil ihr Ehemann beispielsweise unfruchtbar ist, würde man ja auch nicht empfehlen, doch mal beim Schwager oder einem entfernten Onkel vorstellig zu werden.“ Nina Stork kann patzig werden.

Sie ist willensstark. Sie pfeift auf die Banken und deren Bedenken. Eine kleine Erbschaft, ihre eigenen Ersparnisse: 1999 eröffnet Nina Stork ihre Inseminationsklinik im Souterrain eines schlichten Wohn- und Geschäftshauses im Kopenhagener Studentenviertel. Sie ist Chefin, Empfangsdame, Buchhalterin, Therapeutin, medizinische Assistentin. Oskar, ihren lang ersehnten Adoptivsohn, sieht sie während seines ersten Lebensjahres kaum – nach dem persönlichen will sie nun den politischen Durchbruch.

Anfangs bestellt sie die Chargen bei dänischen und amerikanischen Samenbanken einzeln. Sie möchte die finanziellen und juristischen Risiken gering halten: „Ich wusste doch nie, ob sie mir den Laden nicht doch eines Tages dicht machen würden.“ Die befürchteten Sanktionen bleiben aus. Das Gesetz lässt Nina Storks Lesart tatsächlich zu, und eine Verschärfung erscheint dem dänischen Parlament unangebracht: eine einzelne Hebamme, die glaubt, mit einer Art Ich-AG das medizinische Reproduktionsrecht revolutionieren zu können? In konservativen und kirchlichen Kreisen wird sie zunächst gar nicht ernst genommen.

Nina Stork lernt derweil, den Spendersamen zu waschen, tiefzukühlen und so aufzubereiten, dass sie ihn direkt in die Gebärmutterhöhle einbringen kann. Zu darüber hinausgehenden Eingriffen aus dem Spektrum der künstlichen Befruchtung ist sie als Hebamme nicht befugt.

Den meisten Frauen reicht, was sie tut: 945 Wunschkinder sind in den sieben Jahren seit Gründung der Storkklinik geboren worden. Ihre Mütter kommen aus Dänemark, aus Schweden, Norwegen, Island, sehr viele aus Deutschland, manche von noch weiter her. Einige leben in homosexuellen Partnerschaften, andere allein. Zunehmend bitten auch kinderlose heterosexuelle Paare um Hilfe, die, etwa weil sie nicht verheiratet sind, in ihren Heimatländern von den Ärzten und Krankenkassen abgelehnt werden.

Leicht gemacht haben es sich die wenigsten. Ein Kind als Trophäe, als Aushängeschild, als Krönung des persönlichen Egoismus – die angeblichen Motivationen ihrer Klientinnen, die Nina Stork in Talkshows, in Leserbriefen und bei politischen Hearings von ihren Gegnern immer wieder vorgehalten werden, sie finden sich nicht wieder in den Protokollen der Beratungsgespräche oder im Gästebuch der Klinik. Die sich dort eingeschrieben haben, sind keine gewissenlosen, einzig an ihrem persönlichen Fortkommen interessierten Frauen, denen mit Ende dreißig oder Anfang vierzig einfällt, dass ihnen ein Kind zur Ausstaffierung ihrer Entourage gerade noch fehlt.

Von Selbstvorwürfen und Zweifeln ist vielmehr die Rede. Beispielsweise, warum ausgerechnet sie, gebildete, selbstbewusste, berufstätige, unabhängige Frauen – Erscheinungen einer zunehmend anspruchsvollen und individualisierten Gesellschaft, wenn man so will – nicht an die richtigen Männer geraten sind. Oder wenn doch, dann an solche, die sich ihrerseits im Zeugungsstreik befanden. Beispielsweise, ob es einem Kind zuzumuten ist, aufzuwachsen nicht nur ohne einen Vater, sondern ohne jeglichen Anhaltspunkt über die eigene Herkunft – eine Grundfrage menschlichen Daseins.

Anders ausgedrückt: Rechtfertigt der eigene Kinderwunsch, dem Kind das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu nehmen? Das dänische Gesetz lässt Auskünfte über die Identität der Spender nur in Ausnahmefällen zu und frühestens mit der Volljährigkeit des Kindes. Die Mütter erfahren, abgesehen von Körpergröße, Augen-, Haar- und Hautfarbe, nichts über den biologischen Vater.

Manche Frauen, die sich ein Kind wünschen, machen einen Rückzieher, wenn sie sich der Anonymität bewusst werden, die mit einer Schwangerschaft mittels Samenspende verbunden ist. Andere verschieben das Projekt um Monate oder Jahre, bis sie sich dazu durchringen. Nina Stork hält diesen Frauen entgegen, dass ein erwünschtes Kind glücklicher sein kann mit nur einer Mutter an seiner Seite als beispielsweise ein Kind, das zwar beide Eltern kennt, aber von ihnen vor allem Desinteresse, Streit oder Schläge erfährt.

Aber sie sagt auch: „Solange eine Frau sich nicht sicher ist, dass sie in der Lage sein wird, ihrem Kind die Wahrheit zu sagen, ihm nichts zu verheimlichen, solange sie sich nicht sicher ist, ob sie die mögliche Kritik des eigenen Kindes, wahlweise die Mitleidsbekundungen, die ihr aus der Mehrheitsgesellschaft entgegenschlagen können, aushalten möchte, so lange sollte sie sich nicht für eine Insemination entscheiden.“

Die Aufnahmegespräche in der Klinik dauern zuweilen mehrere Stunden; es gibt Frauen, die Nina Stork wegen ihrer Unsicherheiten und Schwankungen ablehnt – zum Wohl des ungeborenen Kindes, wie sie sagt. Doch diese Fälle sind selten. Die meisten Frauen, die sich nach Kopenhagen aufmachen, haben sich ihre Entscheidung reiflich überlegt. Wer es sich leisten kann, Nina Stork und ihre mittlerweile elf Angestellten aufzusuchen, verfügt meist über einen Job, der Reflektionsvermögen voraussetzt und entsprechend vergütet wird: die Behandlung kostet, je nach Herkunft der Spermien, bis zu 900 Euro monatlich.

Ein Kind. Nina Storks Geschichte hat Nachahmerinnen auf den Plan gerufen, Hebammen, die in dem Fruchtbarkeitswunsch eine Geschäftsidee erkannt haben. In Dänemark, in den Niederlanden, dort, wo die Gesetzeslage es zulässt. Und die so Geborenen schaffen Fakten. Sie existieren, ihre Mütter, deren Familien und Freunde ebenso, kurz: ihre Lobby wächst, europaweit. In Dänemark spricht heute niemand mehr ernsthaft davon, die Hebammen-Kliniken zur künstlichen Befruchtung verbieten zu wollen. Im Gegenteil, ab dem nächsten Jahr wird es auch Reproduktionsmedizinern erlaubt sein, homosexuelle und alleinstehende Frauen zu behandeln.

Es ist auch ihr Erfolg. Nina Stork ist sich dessen bewusst, aber sie triumphiert nicht. In diesem Jahr ist sie 43 geworden.

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