: Der Klang der Integration
ASYL In der Friedenskirche musizieren Flüchtlinge und Bremer zusammen in Chören und werben so für sich selbst und Toleranz. Am Freitag gab es das erste gemeinsame Konzert
VON FRIDA KAMMERER
Obwohl die Kirche voll ist, ist es still. Die Abendsonne scheint durch das bunte Kirchenglas und beleuchtet den Raum. Zu dem Konzert „Reicht euch die Hände als schönste aller Gaben“ sind Freitagabend nicht nur Freunde der Akteure in die Friedenskirche gekommen. Das halbe Viertel scheint da zu sein. Verschiedene Chöre und Ensembles treten hier gemeinsam mit klassischer und arabischer Musik auf. Die Bremer Chorwerkstatt ist dabei, der Osterchor Steinway und auch ein Kinderchor – und im Orchester eine Gruppe syrischer Flüchtlinge.
Angestoßen hatte das Konzertprojekt Doglore Katz. Die Endsechzigerin singt selbst in der Chorwerkstatt. Die blonde Frau trägt im Mai noch einen roten Norwegerpulli, die kleinen Lachfalten lassen sie weniger streng wirken. Wenn sie lächelt, möchte man mitlächeln. Wenn sie etwas möchte, hält sie damit nicht hinter dem Berg. Wenn man nach der Kirche fragt, korrigiert Katz automatisch zu „Gemeinde“. Das sei „die wahre Kirche“, sagt sie und das ist auch die Idee des Konzerts: Etwas zusammen machen – um Gemeinschaft zu werden.
Im Gemeindehaus der Kirche gibt es regelmäßig Spieletreffen für Kinder. Waeed Marouf geht oft mit ihrer Tochter dahin. Marouf ist 34 Jahre alt und spricht nur mäßig Deutsch. Obwohl sie in der Sonne sitzt, trägt Marouf eine blaue Steppjacke, die sie nicht mal öffnet. Sie hat ihre Handtasche auf dem Schoß, sie wirkt wie auf dem Sprung.
Sie kam mit ihrer einjährigen Tochter hier nach Deutschland, um vor dem Bürgerkrieg in Damaskus zu fliehen. Ihr Mann war erschossen worden.
Der Rest ihrer Familie ist noch dort. Sie hat englische Literatur studiert und in Syrien für ein EU-Verbraucher-Projekt gearbeitet.
Jetzt wohnt sie in dem Flüchtlingsheim der Eduard-Grunow-Straße und sucht dringend eine Wohnung. Ihre Tochter ist fünf, geht in die Vorschule und singt im christlichen Kirchenchor mit. Ob es ein Problem für sie sei? „Nein, natürlich nicht!“, sagt sie. Ihr Deutsch ist sehr brüchig und sie ist unsicher in der Grammatik. Es ärgert sie selbst. In den Deutschkursen gehe alles so schnell, und vor allem habe man wenig Gelegenheit, selber zu sprechen. Dafür sei da einfach keine Zeit. Ihre Tochter spricht perfekt deutsch und geht zur Schule. Mit ihr spricht Marouf nur arabisch. An Syrien hat sie kaum Erinnerungen.
Der Kinderchor, in dem sie singt, wird von Hadil Mirhan mit ihrem Cello begleitet. Sie studierte in Syrien Tourismus und Musik. Als der Bürgerkrieg ausbrach, musste sie fliehen, und da war sie im zweiten Semester. Die erst 20-jährige Cellistin war mit ihrem Uni-Ensemble in Berlin. Den Rückflug trat sie nicht an: Sie stellte stattdessen einen Asylantrag. Ihre Schwester lebt auch in Bremen, ihre Mutter ist in Rostock.
Mirhan würde ihren Vater gerne wiedersehen. Zwar liebt er Syrien, aber Deutschland sei sicher. Ein großer Teil der Anträge auf Familiennachzug würde nicht bewilligt, sagt Kristina Vogt, Vorsitzende und innenpolitische Sprecherin der Bremer Linksfraktion. Sie sieht da dringenden Handlungsbedarf: „Der Senat folgt der perfiden Logik, wonach nur Menschen mit einem gehobenen Facharbeiterlohn ihre notleidenden Angehörigen in Sicherheit bringen dürfen.“ Bremen sei hier in der Verantwortung und dürfe humanitäre Hilfe nicht gegen vermeintliche Haushaltskosten verrechnen.
So bleibt den Flüchtlingen meist nur, zu warten: Warten auf eine Wohnung. Darauf, dass sich ihr Deutsch verbessert. Warten, dass sich die Situation zu Hause beruhigt. Musik ist eine Möglichkeit, sich gegen tote Zeit zu wehren – das elende Warten für die Dauer der Proben und des Spiels zu vergessen.
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