: Generäle beliefern Boko Haram
NIGERIA Hohe Militärs haben die Islamisten versorgt, befindet Militärgericht. Derweil verbietet die Polizei die „Bring Back Our Girls“-Proteste
COTONOU taz | So viele Verschwörungstheorien hat es in Nigeria selten gegeben. Spätestens seit der Entführung von knapp 300 Schulmädchen in Chibok Mitte April brodelte die Gerüchteküche zu möglichen Verbindungen zwischen Boko Haram und der nigerianischen Armee. Auch nach anderen Überfällen hieß es: Warum passieren Anschläge ausgerechnet dann, wenn Polizeistationen und Militäreinrichtungen schwach besetzt sind? Und wie bekommt Boko Haram so gute Ausrüstung in so entlegene Gebiete?
Es waren offenbar nicht nur Spekulationen. Nach einem Bericht der Tageszeitung Leadership sind nun 15 führende nigerianische Militärs von einem Kriegsgericht der Sabotage schuldig befunden worden. Sie sollen Boko Haram mit Informationen sowie Munition versorgt haben. Endgültig verurteilt sind die Mitglieder der Armee noch nicht. Es könnte noch ein Berufungsverfahren im Militärhauptquartier der Hauptstadt Abuja geben.
Dass es durchaus Kontakte auf verschiedenen Ebenen zwischen Armee und Terrorgruppe gegeben hat, hat auch vor knapp vier Wochen Amnesty International berichtet. Das Militär in Chibok habe Stunden vor der Entführung der Schülerinnen durch Boko Haram in der Nacht zum 15. April eine Warnung erhalten. Unternommen worden sei nichts. Die Armeeführung dementierte die Gerüchte.
Doch die Wut, dass die Soldaten die Mädchen von Chibok nicht besser geschützt haben, ist in der nigerianischen Öffentlichkeit ungebrochen. Aber auch über öffentliche Auftritte der Führungsebene ärgert man sich. So sagte Marschall Alex Badeh vergangene Woche: Die Armee wisse, wo die Mädchen sind, wolle den Aufenthaltsort aber nicht verraten. Darüber kann Zeitungsherausgeber Opunabo Inko-Tariah nur den Kopf schütteln: „Ich hätte ihn sofort entlassen“, poltert der bullige Mann, „ein besseres Zeichen kann man Boko Haram doch gar nicht geben, dass sie sich ein neues Versteck suchen müssen.“
Dabei scheint Sicherheit zumindest auf dem Papier Priorität für den nigerianischen Staat zu haben. In diesem Jahr fließt jeder fünfte Naira des Staatshaushalts in das Verteidigungsministerium. Nach langen Haushaltsdebatten hatte Präsident Goodluck Jonathan das erst vor knapp zwei Wochen unterzeichnet. Davon ist im Land selbst jedoch nichts zu spüren: Boko Haram mordet weiter.
Um den zunehmenden öffentlichen Unmut zu zügeln, ist der Regierung jetzt eine neue Maßnahme eingefallen: Die Polizei hat die Kundgebungen empörter Bürger, die seit Wochen jeden Tag in Abuja unter dem Motto „Bring Back Our Girls“ stattfinden, verboten – aus Sicherheitsgründen, wie es hieß. „Die Proteste stellen inzwischen ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar“, sagte Polizeichef Joseph Mbu am Montagabend im Staatsfernsehen. Die Aktivistinnen wollen jetzt gegen das Verbot vor Gericht ziehen. KATRIN GÄNSLER
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