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DIE GROSSE KOALITION STREITET ÜBER DEN EU-BEITRITT DER TÜRKEIJacques Merkel vs. Tony Steinmeier

Auf den ersten Blick klingt es verblüffend: Steinmeier warnt Merkel vor einer abweisenden Haltung gegenüber der Türkei. Gerade so, als hätte die große Koalition nicht schon genug Konfliktstoff und als seien alle Sozialdemokraten glühende Anhänger eines EU-Beitritts der Türkei.

In Wirklichkeit prallen hier die Sicht der EU-Innenpolitikerin und des EU-Außenpolitikers aufeinander. Die große Koalition in der Bundesrepublik spielt im Kleinen die Grundsatzdebatte nach, die auf europäischer Ebene zwischen den Regierungen ausgetragen wird. Merkel gibt Chirac, Steinmeier macht den Blair. Denn je nachdem, ob man die EU als Integrationsprojekt oder als strategisches Bündnis begreift, kommt man in der Türkeifrage zu einem anderen Ergebnis. Den Briten geht es um ein außenpolitisch gewichtiges Europa, das auf der Weltbühne neben Asien und den USA gleichberechtigt mitreden kann. Dabei und im Kampf gegen den Terror erweist sich die Türkei als nützlicher Partner. Im Innern wird die EU dadurch eher geschwächt, was die Politiker von der Insel als weiteren Pluspunkt verbuchen.

Die Franzosen wollen als treue Erben von Schuman und Monet die europäische Wertegemeinschaft festigen und als soliden Faktor in der internationalen Politik verankern. Es geht ihnen um Menschenrechte, um europäische Formen der Krisen- und Konfliktbewältigung, um eine Alternative zu China, Russland und den USA. Aus ihrer Perspektive ist die Türkei ein Konfliktfaktor, der diese Konsolidierung auf Jahrzehnte hinaus verhindert.

Kanzlerin Merkel, von deren nun anbrechender Ratspräsidentschaft Wunder für die europäische Integration erwartet werden, macht sich diese Sicht zu eigen. Steinmeier reist von einem internationalen Brennpunkt zu nächsten und wird jeden Tag daran erinnert, dass die Türken als Brückenbauer dringend gebraucht werden.

Beide Positionen sind legitim – aber unvereinbar. Der Konflikt wird nicht offen ausgetragen, sondern in die Beitrittsverhandlungen verlagert. Dabei könnte am Ende beides verloren gehen: die europäische Identität und der verlässliche Bündnispartner im Südosten. DANIELA WEINGÄRTNER

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