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Wrangelkiez in der Diskussion

Der Innenausschuss debattiert über die Einsatzrichtlinien der Polizei für den Wrangelkiez. Polizeipräsident: Diese Regeln gelten für die ganze Stadt

Eigentlich ist der Grundsatz nicht neu, dass Polizisten im Einsatz mit Sensibilität und Augenmaß agieren sollen. Unter anderem mit diesem Konzept, das auch Deeskalation genannt wird, ist es gelungen, den Ersten Mai in Kreuzberg zu befrieden. Ende November hat die Polizeiführung diese Leitlinie nun noch einmal speziell für Einsätze im Kreuzberger Wrangelkiez zu Papier gebracht. Dort waren zuvor Anwohner und Polizisten bei einer Festnahmeaktion aneinandergeraten. In den Augen von CDU und Teilen der Medien ist die Leitlinie Ausdruck einer Kapitulation des Rechtsstaats vor der Gewalt. Das Thema beschäftigte gestern auch den Innenausschuss des Abgeordnetenhauses.

Am 20. November hatten junge Migranten aus dem Wrangelkiez mit Polizei- und Bezirksamtsvertretern an einem runden Tisch vereinbart, künftig friedlicher und sensibler miteinander umzugehen (taz berichtete). Der Pakt sollte keine 48 Stunden halten. Dann fuhr eine mit Mehrzweckschlagstöcken bewaffnete geschlossene Einheit der Polizei stundenlang im Wrangelkiez hin und her, einzig und allein, um Präsenz- und Stärke zu demonstrieren.

„Das war nicht erforderlich“, verdeutlichte Polizeipräsident Dieter Glietsch gestern im Innenausschuss, dass der Einsatz der Einheit nicht mit dem zuständigen Abschnitt 53 abgestimmt war. Der Leiter der Direktion 5 habe dies zum Anlass genommen, die Leitlinien für den Einsatz im Wrangelkiez zu erlassen. Dabei handele es sich aber nicht um Sonderrichtlinien, sondern um ein Allgemeingut der Polizei. Zum Bespiel, wann und wo es angebracht sei, Stärke zu zeigen und dass der Dienst „koordiniert stattzufinden“ habe. „Diese Regeln gelten stadtweit“, betonte Glietsch. Bei der heutigen Führungsrunde will er sie den Amts- und Direktionsleitern allerdings noch einmal „in Erinnerung rufen“.

Im Detail heißt es in dem Papier, Einsätze im Wrangelkiez sollten vorrangig durch ortskundige Beamte bewältigt werden. Unterstützung sei „nicht im höchstmöglichen, sondern im tatsächlichen Maße“ zu gewährleisten. Ortsfremde Beamte sollten für die Besonderheiten des Kiezes sensibilisiert werden.

Die Berliner Zeitung hatte dies in der vergangenen Woche als „Rückzug der Polizei aus Kreuzberg“ gewertet. Im Kurier hieß es: „Anarchie im Wrangelkiez – Polizei gibt sich geschlagen“. In das gleiche Horn stieß gestern der innenpolitische Sprecher der CDU, Frank Henkel. Er wertete die Leitlinien als ein „Zurückweichen“ der Polizei. Damit gebe die Staatsgewalt „den Kampf um die Straße verloren“.

Aber Glietsch erntete auch viel Lob – allen voran vom Fraktionschef der Grünen, Volker Ratzmann. Der am runden Tisch initiierte Dialog und die Deeskalationsstrategie seien genau der richtige Weg. Der Erfolg werde viel größer sein, „als wenn die Polizei massiv Stärke zeigt“.

PLUTONIA PLARRE

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