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„Er war eine Art Terrorkaplan“

BRAUN-ROT Der Schweizer François Genoud verband den historischen Nazismus mit dem Antiimperialismus der Neuen Linken. Willi Winkler im Gespräch über einen „Schattenmann“ des 20. Jahrhunderts

Willi Winkler

 Der Autor: geb. 1957. War Redakteur der Zeit, Kulturchef des Spiegels. Schreibt heute für die Süddeutsche Zeitung.

 Das Buch: „Der Schattenmann. Von Goebbels zu Carlos. Das mysteriöse Leben des François Genoud“ erscheint dieses Wochenende bei Rowohlt Berlin (352 Seiten, 19,95 Euro).

INTERVIEW ANDREAS FANIZADEH

Ein freundlicher älterer Herr, der junge Bombenwerfer seelsorgerisch und finanziell betreute

taz: Herr Winkler, François Genoud war Schweizer und verehrte Hitler. Er betätigte sich als Agent, Fluchthelfer, handelte mit Naziliteratur. Er gründete eine schweizerisch-arabische Bank, begeisterte sich Ende der 50er Jahre für die antikoloniale Bewegung Algeriens, später für den palästinensischen Terrorismus der 1970er Jahre und die Carlos-Gruppe. Sie schreiben: „Nur ein Schweizer konnte so leicht für den Befreiungskampf fremder Völker entflammbar sein.“ Was war denn das Schweizerische an Genoud? Willi Winkler: Die Schweiz ist zu ewiger Neutralität verpflichtet. Da liegt es nahe, dass man als Knabe seine Träume von politischer Gewalt und Gewalttätigkeit ans Ausland delegiert. Genoud sagt einmal, er habe als Kind davon geträumt, „Bandenchef in den Bergen“ zu werden. Auf seiner Orientreise 1936 kommt er diesem Traum nahe. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es diese romantischen Vorstellungen – ihr Inbegriff war eine Gestalt wie Lawrence von Arabien –, wonach ein Mann wenigstens vorübergehend die Hochzivilisation verlässt und in ein weniger entwickeltes Land geht und die Dunkelhäutigen dort anführt. Am besten gleich in die Revolte und am allerbesten gegen die eigenen Leute. Sie sprechen von einer Form des Exotismus als Begleiterscheinung zum imperialen Kolonialismus. Wie passt Genouds Hitler-Verehrung dazu? Es ist eine jugendliche Identifikation mit dem Aggressor. Die kleine Schweiz und der große charismatische Führer im Nachbarland, der Gewalt ausstrahlt und gegen Liberalismus und Demokratie wettert. Genoud kam mit 17 Jahren als Schweizer ins Internat nach Deutschland. Ein Geschäftsfreund seines Vaters stellte ihn Hitler vor. Seitdem hat er diesen Mann bewundert und ihm noch über dessen Tod hinaus die Treue gehalten. Genoud lebte während des Zweiten Weltkriegs in der neutralen Schweiz. War er ein deutscher Agent? Er war mindestens Doppelagent. Er arbeitete für die Abwehr, also für die Deutschen. Gleichzeitig war er vertraut mit dem Schweizer Geheimdienst. Außerdem muss er früh Kontakt mit den Amerikanern in deren Botschaft in Bern gehabt haben. Genoud hat mit dem Segen des Schweizer Geheimdienstes für die Deutschen gearbeitet: der klassische Doppelagent. Die Frage war dabei nur, wer ihn besser abschöpft. Was hat Genoud während des Weltkriegs konkret gemacht? Devisenschmuggel, Handel mit Diamanten, Gold und Lebensmitteln. Vor allem aber war er Nachrichtenlieferant, für Schweizer wie Deutsche. Zu Genouds frühen Freunden gehört der SS-Untersturmführer Paul Dickopf. Der stieg in der Bundesrepublik zum BKA-Chef auf. Wer war Dickopf? Dickopf war seinerseits amerikanischer Agent, jedenfalls nach dem Zweiten Weltkrieg. Er kam 1943 mit Hilfe von Genoud in die Schweiz und gab sich als Reichsflüchtling aus. Das stimmte nur nicht: Seine Frau blieb zurück und bezog weiterhin Dickopfs Gehalt. Dickopf nahm mit der nahenden Kapitulation Kontakt zu den Amerikanern auf und diente sich vollberuflich an. Er kam als Agent der USA ins befreite Deutschland zurück. Das hat Dieter Schenk bereits in seinem Buch über die „Braunen Wurzeln des BKA“ dargelegt. Dickopf nutzte seine Kontakte zu den Amerikanern, um Karriere in der Bundesrepublik zu machen. War Genouds Freund Dickopf ein Demokrat? Na ja, er hat sich sehr schnell an die neuen Verhältnisse gewöhnt. Er hat das Kanzleramt bedroht, weil es ihm mit dem Aufstieg zu langsam ging. Oder er war Franz Josef Strauß in der Spiegel-Affäre mit nicht unbedingt legalen Methoden dienstbar. Die ganze Zeit blieb er unter dem Decknamen „Caravel“ CIA-Agent. 1971 hat ihn der damalige Innenminister Hans-Dietrich Genscher aus dem Amt verabschiedet und dabei als Widerstandskämpfer und vorbildlichen Demokraten gerühmt. Ich habe Genscher deswegen einen Brief geschrieben. Die Antwort war recht barsch: Er könne ja Dickopf keine Fragen mehr stellen, der sei tot. Genoud sicherte sich nach 1945 die Rechte an den Tagebüchern von Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels. Wie kam es dazu? Die Stadt Berlin beschloss nach 1945, dass auch die toten Nazitäter zu Sühneleistungen verpflichtet seien. Joseph Goebbels’ Sühneleistung wurde nach einer Vermögensaufstellung auf 100.000 Mark festgesetzt. Genoud traf sich mit der Goebbels-Schwester und weiteren Angehörigen. Er bot ihnen an, für die Familie die Geschäfte zu führen und künftige Erlöse aus den Schriften Goebbels’ 50 zu 50 zu teilen. Er erhielt eine Handlungsvollmacht und vom Notar die urheberrechtlichen Verwertungsrechte am „literarischen Nachlass“ übertragen. Das ist bis heute der juristische Stand. Welche Rolle spielt das Institut für Zeitgeschichte in München bei der Herausgabe und Nachlassverwaltung der Schriften Goebbels? Das Institut sammelte Material zum Nationalsozialismus und war deshalb auf die einschlägige Szene angewiesen. So kam auch der Kontakt zu Genoud zustande. Er wurde eingeladen, fast hofiert, aber er gab ihnen sein Material immer nur in kleinen Portionen, überließ es ihnen nur in Abschriften. Das Institut besitzt zum Beispiel den in Deutschland unveröffentlichten Briefwechsel von Martin Bormann mit seiner Frau. Diese Briefe existieren aber nur in einer Schreibmaschinenabschrift. Sie stammt von Genoud. Ein katholischer Priester, der Vormund der Bormann-Kinder, hat verhindert, dass diese Briefe in Deutschland erschienen. Darin schlägt Frau Bormann ihrem Mann vor, er solle ruhig mit seiner Nebenfrau geschlechtlich verkehren und bei der Gelegenheit gleich noch mehr Kinder für den Führer zeugen. Der Pfarrer wollte nicht, dass die Bormann-Waisen das zu lesen bekämen. Konnte Genoud mit den Goebbels-Schriften tatsächlich Geld verdienen? Die Goebbels-Tagebücher kamen erst sehr spät heraus. Der Verlag Hoffmann und Campe kaufte sie von einem Stasi-Journalisten, musste aber dann noch mal Geld an Genoud bezahlen, weil der die Rechte daran besaß. Vor allem die Vorabdruckrechte in der internationalen Presse brachten viel Geld. Genoud brauchte das Geld auch für seine verschiedenen Unterstützungstätigkeiten. Wie der damalige Stern-Chef Henri Nannen war er 1960 empört über die Entführung des Massenmörders Eichmann nach Israel. Hat Genoud tatsächlich die Verteidigung Eichmanns organisiert, wie Sie behaupten? Die Verteidigung war kostspielig. Die Bundesrepublik wollte mit dem Eichmann-Verfahren nichts zu tun haben, daher zahlte Israel Eichmanns Anwalt Robert Servatius 20.000 Dollar. Damit waren die Kosten aber nicht zu decken. Genoud kümmerte sich um die Vermarktung der Blätter, die Eichmann in den zwei Jahren in der Zelle in Israel schrieb, und davon ging klandestin ein Extrahonorar an den ewig jammernden Servatius. Von 1956 bis 1958 war Eichmann häufig Gast bei Willem Sassen in Buenos Aires. Auch SS-Untersturmführer Sassen versuchte mit dem Verkauf von Eichmann-Memoiren Geld zu verdienen. Sassen ist Vater der Globalisierungstheoretikerin Saskia Sassen. Saskia Sassen sagt heute, sie und ihre Mutter hätten nicht gewusst, wer da bei ihnen ein und aus ging? Saskia Sassen ist 1949 geboren. Niemand wird erwarten, dass sie als zehnjähriges Kind wusste, wer Eichmann ist. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr auch später nicht aufging, dass ihr Vater ein strammer Nazi war. Schließlich kam die Familie Sassen auf der Flucht vor der Strafverfolgung aus Europa in das Argentinien Juan Peróns, wo sie in einer nationalsozialistischen Gemeinde lebte. Haben Sie darüber mit Saskia Sassen gesprochen? Ich habe E-Mails mit ihr gewechselt. Sie schrieb mir, Eichmann sei ihr und ihrer Mutter unheimlich gewesen, ohne dass sie gewusst hätten, warum. Ihr Vater sei auch kein tumber Nazi gewesen, sondern ein „National-Sozialist“ mit einem „bösartigen Humor“. Sehr komisch. Sassen wurde in Holland nach 1945 zu 20 Jahren Haft verurteilt, konnte aber fliehen. Als Kriegskamerad von Henri Nannen konnte er 1960 dem Stern für 30.000 Mark einen Teil der Eichmann-Memoiren verkaufen. Der Stern hat die Verbindung lange bestritten, inzwischen gibt er sie aber zu. 1962 wurde Algerien unabhängig von Frankreich. Die Niederlage Hitlers sei für Genoud im Sieg der algerischen Befreiungsbewegung FLN aufgehoben, schreiben Sie in Ihrem Buch. Aber was kann die FLN für diesen Sympathisanten? Natürlich nichts. Aber die Rebellen wurden nicht bloß von der Linken, von Hans-Jürgen Wischnewski bis Jean-Paul Sartre, unterstützt, sondern auch von Waffenhändlern und Devisenschiebern, darunter nicht wenige alte Nazis. Die FLN war wie die Viet Minh eine nationale Befreiungsbewegung und kämpfte gegen die alte westliche Kolonialmacht Frankreich. In Genouds Augen setzten die Aufständischen den Kampf Hitlers gegen die Westmächte fort. Genoud erlebte den Panarabismus, der von Ägypten ausging, als Jungbrunnen. Die Feinde waren noch immer die Juden. Wenn Genoud seinem Idol Hitler etwas verübelte, dann war es der Staat Israel, der erst in Folge der nationalsozialistischen Ausrottungspolitik entstanden war. Genoud suchte später den Kontakt zur palästinensischen PFLP und zur Carlos-Gruppe. Warum ist François Genouds seltsamer Lebenslauf mehr als der Sonderweg eines braun-rot verwirrten Schweizers? Weil sich in ihm Geschichte der letzten achtzig Jahre abzeichnet. Genoud war überall ein Außenseiter: ein Nazi, aber kein Deutscher; ein Schweizer, aber ohne rechte Vaterlandsliebe; ein Bankier, aber einer, der offensichtlich Geld gewaschen hat; ein Terrorhelfer, der aber selber keine Bomben legte. Er träumte davon, Räuberhauptmann zu sein, hat es aber als vernünftiger Schweizer anderen überlassen, die Räubereien zu begehen. Genoud war geprägt vom Antisemitismus der 1920er und 1930er Jahre. Die armen verfolgten Palästinenser und PFLP-Chef Wadi Haddad kamen ihm wie gerufen. Mit ihnen konnte er den Kampf gegen die Juden fortsetzen. Für die Terroristen war Genoud der Opa, der sich um alles kümmerte. Er fliegt auf Carlos’ Wunsch sogar nach Venezuela, um dessen Frau Magdalena Kopp, ehemals „Revolutionäre Zellen“, zu besuchen. Er war eine Art Terrorkaplan, ein freundlicher älterer Herr, der die jungen Bombenwerfer seelsorgerisch und finanziell betreute. Warum wurden die Schweizer oder deutschen Behörden nie gegen ihn aktiv? Da kommt der alte Doppelagent wieder ins Spiel. Gegen Schutzgeldzahlungen, an deren Eintreibung er beteiligt war, wurden Fluggesellschaften wie die Swissair, die Lufthansa oder die Japanese Airlines vor Anschlägen bewahrt. Genoud verstieß gegen kein Schweizer Gesetz, er war als Informant nützlich. Warum hätte man ihn festnehmen sollen?

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