: Wer gründen will, muß viel begründen
Immer mehr Frauen wagen den riskanten Schritt in die Selbständigkeit und beweisen außerordentliches Durchhaltevermögen bei Existenzgründungen. Verhandlungen mit den Banken erweisen sich oft als Erfolgshemmnis ■ Von Peter Sennekamp
Als die Oder über die Ufer ging, war sie fix. Sabine Stengel, Diplomkartographin und Unternehmensgründerin von „cart- o-gis“, rief beim Technischen Hilfswerk an. Die waren sofort interessiert und brauchten Karten, die die Überflutungsgebiete anschaulich und detailliert darstellen. Die junge Geschäftsfrau, gerade Anfang Dreißig, besorgte Daten, setzte sie in Digitalkarten um und lieferte Überflutungspläne für die Deichhelfer.
Auch wenn die Aktion für die Existenzgründerin Stengel mehr eine PR-Idee war, könnte sie bei den diesjährigen Gründertagen ein anschauliches Beispiel für eine gelungene Gründerinitiative abgeben. Nach ihrem Studium an der Technischen Fachhochschule hatte sie bei einem Kartenhersteller gearbeitet, bis der plötzlich die meisten Beschäftigten entließ. „Ich wollte nicht die letzte sein, die den Laden ausfegt“, beschreibt sie ihren Gründermut und lacht. In einem Jahr hatte sie die Geschäftsidee entwickelt. Digitale Stadt- und Landkarten sollten mit Wirtschafts- und Umweltdaten verknüpft werden und für Investoren und Verwaltungsstellen Entscheidungshilfen liefern: „So wird transparent, wie die Verkehrsströme im Bezirk Köpenick verlaufen, wieviel Theater und Restaurants sich im Radius einer Bauinvestition befinden oder wie die bauliche Asbestbelastung im Land Brandenburg verteilt ist.“
Es folgten Gründungsseminare, Bankgespräche und Buchführungskurse. Bei ihren Eltern borgte sie sich vierzigtausend Mark, und nach langen Verhandlungen gewährte auch ihre Bank noch einen Kredit. Stengel ließ sich in Brandenburg nieder und nicht in Berlin. „Da sind nicht so viele Paragraphenreiter in der Verwaltung“, dort würden eben „wirklich kleine Unternehmen gefördert, die nicht mit 'ner Million Startkapital anfangen“, ärgert sie sich. Inzwischen stabilisiert sich ihr Unternehmen, doch ist auch für sie klar: Die Aufträge müssen stimmen, denn sollten sie einmal ausbleiben, wird sie die letzte sein, die den Laden ausfegt.
Auch „Kaliebe und Mensch“ gehört zu den risikofreudigen Unternehmensgründungen. Als die DDR den Bach runterging, wußten sie nicht, daß sie bald geschäftlich nach Thailand, Indonesien oder Japan reisen würden. Vor dem Mauerfall nach Berlin gezogen, lernte Diplom-Gartenbauingenieurin Carmen Kaliebe an der Uni ihre zukünftige Unternehmenspartnerin Diplom-Agraringenieurin Manuela Mensch kennen. Nach einem Kurs für Existenzgründerinnen entschloß sich Kaliebe, ein Labor für Meristemkulturen von Aquarien- und Sumpfpflanzen aufzubauen.
Laborgerätschaften holte Gründerin Kaliebe aus veralteten Uni-Beständen, einen Kredit beschaffte sie sich bei Freunden. Das Land Brandenburg half mit Zuschüssen. „Überall die Kosten so niedrig wie möglich halten und bloß keine großen Bankkredite aufnehmen“, erklärt Kaliebe ihre Strategie. Dann zog sie mit ihrer Kollegin in den letzten Berliner Winkel in einen winzigen Landwirtschaftsbau in Buch an der Grenze zu Brandenburg.
Heute stapeln sich die Laborpflanzen bis unter die Decke, zwischen Sterilöfen, Seziertischen und Regalen hantieren die Gründerinnen und Praktikantinnen mit den Pflanzenkeimen. Der Paketdienst kommt einmal die Woche und liefert die vielen tausend in den Nährlösungen der Plastikdöschen wuchernden Setzlinge nach Israel, Frankreich, Dänemark oder Österreich aus. „Nachdem mein allererster Kunde in Deutschland zahlungsunfähig war und aus der Gründung eine Bruchlandung zu werden schien, war ich am Ende“, beschreibt Gründerin Kaliebe, „da bist du auch psychisch fertig.“ Doch in ihrer Not haben sie eine Werbebroschüre gebastelt und einige ihrer Pflanzen als Werbegeschenke an Gewächshäuser geschickt. „Und dann kam plötzlich ein Anruf aus Frankreich, wir sollten liefern.“ Natürlich sei das erst ein kleiner Auftrag gewesen, erinnert sich Kalibe, „aber dann haben wir Festaufträge gekriegt, auch aus Dänemark“. Inzwischen kommt sogar die Bank und bietet Kredite an für eine Unternehmenserweiterung.
Mit ein Paar Tausendern fing auch „Biophil“-Gründerin Petra Rabe an. Im Technologiepark Adlershof hat sich das Unternehmen auf einem idealen Nährboden für technologische Kooperationsprojekte niedergelassen. Inzwischen liegt das Projektvolumen bei mehreren Millionen Mark. Als Doktorin der Biotechnologie nervte sie, daß Laborversuche für die Umwandlung von Biomüll in hochwertige Recyclingprodukte wie Biogas und Pflanzennährstoffe nie für die technische Anwendung außerhalb des Labors taugten.
Sie entwickelte ein Umrechnungsverfahren, mit dem die empfindlichen Bioprozesse nicht nur im Reagenzglas, sondern auch in Kompostreaktoren und Biogasanlagen funktionieren. Mit diesem Forschungskapital wurde sie Existenzgründerin. Förderprogramme der Senatsverwaltung für Wirtschaft halfen beim Aufbau. Auf der diesjährigen Technologiemesse in Tokio war sie dabei und ihr Unternehmensstand umlagert. Von der Holzindustrie bis zu Hotelketten, die ihre Speisereste verwerten wollen, standen die Vertreter Schlange. Doch der Weg von der Forschung zum Unternehmen ist mühsam und mit Papierbergen und Konkurrenten gepflastert.
Nachdem Biophil im Jahr 1993 mit Unterstützung der Senatsverwaltung für Wirtschaft gegründet wurde und ABM-Mitarbeiter beim Aufbau halfen, gesellte sich der Anlagenbauer „Müller und Jessen“ dazu. Mit dem Anlagenbauer entwickelte Gründerin Rabe eine Biogasanlage und einen Kompostreaktor. Fördermittel für den Bau der Anlage waren zugesagt. Eine ideale Referenzanlage, um zukünftige Kunden zu überzeugen.
Bevor das Projekt jedoch richtig in die Gänge kam, mußte Biophil die Hälfte ihrer vierzehn MitarbeiterInnen entlassen. Denn ein Jahr lang war das Projekt blockiert, und es entstanden unnötige Kosten. Die „Katze biß sich in den Schwanz“, wie Rabe formuliert. Fördermittel aus dem Umweltförderprogramm (UFP) wurden zwar bereitgestellt, jedoch nur für den Fall, daß das Grundstück, auf der die Bio-Anlage gebaut werden soll, gesichert ist. Jedoch war der Kauf des Grundstücks umgekehrt erst möglich, als die Fördermittel gesichert waren.
Erst nachdem sich eine Dortmunder Bank für eine Zwischenfinanzierung des Grundstücks fand und auch eine Landesbürgschaft genehmigt war, kann jetzt im Oktober der Grundstein gelegt werden. Damit geht für Petra Rabe endlich eine Zitterpartie zu Ende. Auf die Frage, warum die Banken so zurückhaltend waren, wollte die Gründerin lieber nicht antworten. Aber es ist ein offenes Geheimnis, daß Banken immer auch die Konkurrenz betreuen.
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