„Es gab ein Angebot?“ – „Nein.“

Die Einschätzung, dass Kurnaz freikommen könnte, stammt von einem CIA-Agenten. Er berief sich aufs Pentagon. Das war jedoch kein offizielles Angebot

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Sie sind die bislang wichtigsten Zeugen des BND-Untersuchungsausschusses: Klaus R. und Martin D. vom Bundesnachrichtendienst sowie Jan K. vom Bundesamt für Verfassungsschutz. Sie waren es, die Murat Kurnaz im September 2002 in Guantánamo befragt hatten. Ihre Berichte und Einschätzungen begründen mehr als vier Jahre später einen schwerwiegenden Verdacht: Hat die rot-grüne Bundesregierung im Herbst 2002 ein Angebot der US-Amerikaner, Kurnaz aus dem Lager in Guantánamo zu entlassen, wegen Sicherheitsbedenken abgelehnt? Oder hat die Regierung, falls es damals kein Angebot, sondern nur vage Überlegungen der Amerikaner gab, nicht mindestens verhindert, dass Kurnaz – offiziell türkischer Staatsbürger – später freigelassen wird und nach Deutschland zurückkehren kann?

Im Zentrum des Skandalgewitters steht Frank-Walter Steinmeier – unter Rot-Grün Kanzleramtschef mit Zuständigkeit für die Geheimdienste, heute Außenminister der großen Koalition. Das lässt die Schatten der damaligen Affäre bis ins Jahr 2007 ragen. Und das macht die Aufklärung zu einem Instrument des politischen Kampfes – zwischen Union und SPD einerseits, zwischen Regierung und Opposition andererseits. Es wird getrickst und geheuchelt, geschwiegen und desinformiert.

Die Geheimdienstbeamten R., D. und K. treten am 1. Februar 2007 als Zeugen vor den U-Ausschuss. Ihre Aussagen bleiben zunächst geheim, bei ihrer Befragung ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Doch schon am 2. Februar beginnt ein bizarrer Kampf um die Deutung der brisanten Zeugenaussagen. Insbesondere die Vertreter der SPD, aber auch der Union sehen den Minister entlastet. FDP, Grüne und Linke indes fühlen sich in ihren Vorwürfen bestätigt. Wolfgang Neskovic (Linke) spricht von einem „schwarzen Tag für Steinmeier“.

Niemand konnte das bislang überprüfen. Der Ausschuss hatte zwar beschlossen, die Wortlautprotokolle der Sitzung vom 1. Februar nach einer Sicherheitsüberprüfung durch die Bundesregierung zu veröffentlichen, bis heute ist das aber nicht geschehen. Der taz liegt das als „VS-vertraulich“ eingestufte 139-seitige Protokoll der Sitzung jedoch vor.

Die insgesamt glaubwürdigen, wenn auch in einigen Punkten sich widersprechenden Aussagen der drei Geheimdienstbeamten lassen ein differenziertes Urteil über umstrittene Punkte der Kurnaz-Affäre zu. Sie entlasten Steinmeier und die rot-grüne Regierung in wichtigen Fragen keineswegs – sie rücken einige der Vorwürfe aber zurecht.

1. Ein Angebot der USA?

Aus Sicht der drei Geheimdienstbeamten lässt sich unzweifelhaft feststellen: Nein, es gab kein offizielles US-Angebot, Kurnaz freizulassen.

R., D. und K. sagten übereinstimmend aus, dass sie am letzten Tag ihres Aufensthaltes in Guantánamo die Information erhielten, sie könnten damit rechnen, dass Kurnaz eventuell bereits im November 2002 zusammen mit einer größeren Gruppe Gefangener freikomme. Übermittelt hat diese Information der CIA-Agent Steve H., der die Deutschen nach Guantánamo begleitete und an Kurnaz’ Vernehmung teilnahm. Auf die Frage, wer genau Kurnaz’ Freilassung angekündigt habe, antworte BND-Mann Klaus R. im Ausschuss: „Ich habe den amerikanischen Kollegen gefragt, ob das die Einstellung der CIA sei. Er hat mir geantwortet: Nein, dies sei eine Information, die direkt aus dem Pentagon stamme, da die CIA überhaupt keine Möglichkeit habe zu befinden, ob eventuell einer freikommt oder nicht.“

R. präzisierte auf Nachfrage, dass dies eine „reine Information“ gewesen sei und diese nach Auskunft des CIA-Agenten aus dem US-Verteidigungsministerium stamme. „Es ist kein Angebot gemacht worden.“

Der Verfassungsschutzbeamte K. schätzte den Wert der Aussage des CIA-Agenten noch geringer ein: „Wir haben nicht die Information erhalten, dass Murat Kurnaz wahrscheinlich dabei ist [bei der Gruppe der Freigelassenen; d. R.], sondern der US-Kollege … hat uns vermittelt, aufgrund unseres Befragungsergebnisses sei es sehr wahrscheinlich, dass Kurnaz bei den Ersten sei. Wir haben ansonsten von niemandem davon gehört. Unabhängig davon habe ich diese Information natürlich nach Deutschland überbracht.“ Er sei „Überbringer einer Einschätzung“ gewesen. Seines Wissen habe der CIA-Agent, während sie in Guantánamo waren, keinen Kontakt mit dem Pentagon gehabt. K.: „Das wäre auch unwahrscheinlich gewesen. Das hätte er zuerst über seine eigene Behörde steuern müssen.“

Auch hier die Nachfrage: Es gab kein Angebot der USA? Antwort K.: „Nein, nein … Wir haben mit niemandem gesprochen, der uns ein solches Angebot hätte machen können.“

2. Gab es ein Junktim?

R., D. und K. gaben übereinstimmend zu Protokoll, dass es keinerlei Bedingungen für eine mögliche Freilassung von Kurnaz gegeben habe – „zumindest uns gegenüber auf Guantánamo“ nicht. Delegationsleiter R. bezeichnete den Vorschlag, Kurnaz als V-Mann in der Islamistenszene in Deutschland einzusetzen, als „Idee“ des CIA-Agenten H., gemeinsam besprochen „in einer völlig unaufgeregten Atmosphäre“, als eine Art Gedankenspiel, ohne ins Detail gegangen zu sein. R. im Wortlaut: „Das Ganze war also völlig hypothetisch.“

K. vom Verfassungsschutz erinnerte sich, dass der V-Mann-Gedanke vom BND-Kollegen und dem CIA-Begleiter geäußert worden sei. „Ich habe aber auch meine Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer solchen Operation zum Ausdruck gebracht.“

3. War Kurnaz gefährlich?

Hier gibt es unterschiedliche Auffassungen der drei. Die beiden BND-Beamten hielten uneingeschränkt an der später in ihrem Bericht niedergeschriebenen Auffassung fest, Kurnaz sei „zur falschen Zeit am falschen Ort“ gewesen. Sie beschreiben ihn als naiven Jugendlichen, „eher unreif“, ohne gefestigte Persönlichkeitsstruktur oder gar politische Überzeugungen. R. sagte, Kurnaz sei „durch Pakistan hindurchgestolpert“.

Alle drei Beamten seien „unisono der Meinung“ gewesen, dass „es keine erkennbaren Kontakte von Kurnaz zu einer Terrororganisation oder einer Extremistenorganisation in Pakistan gegeben hat, dass es keinerlei Hinweise für uns gab, dass er in einem Trainingslager gewesen ist oder auf dem Weg zu einem Trainingslager war“. Von US-Seite sei den Deutschen bestätigt worden, dass in „gut 30 Befragungen“ der Amerikaner ebenfalls „nichts zutage getreten ist, was einen Verbleib von Kurnaz auf Guantánamo rechtfertigen würde“. R. musste vor dem Ausschuss jedoch einräumen, dass er nur mit „marginalem Wissen“ über Kurnaz’ Vorgeschichte in die Befragung gegangen sei.

K. vom Verfassungsschutz bestätigte vor dem Ausschuss zwar, dass er das Urteil der BND-Kollegen geteilt habe, wonach Kurnaz kein Taliban war und keinem terroristischen Rekrutierungsnetzwerk angehörte. Dies bedeute aber nicht, dass er Kurnaz nach der Befragung als ungefährlich eingestuft habe. „Kurnaz wies die charakteristischen Merkmale einer Radikalisierungsbiografie auf.“ Zu dem in den Medien häufig zitierten Urteil des BND-Beamten R., wonach Kurnaz kein Sicherheitsrisiko darstelle, sagte der Verfassungsschützer laut Protokoll: „Dieser Satz war nicht abgestimmt, und ich würde ihn sicherlich so niemals formuliert haben.“