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Streit ums Gramm

AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER

Zweimal wurde der Vorschlag verschoben, heute nun will die EU-Kommission Stellung beziehen: Ihr „Strategiepapier“ zur Reduzierung der CO2-Emissionen von Personenwagen, über das seit Wochen spekuliert und gestritten wird, steht auf der Tagesordnung. Wer hat sich durchgesetzt? Industriekommissar Günter Verheugen, der deutschen Autobauern ihre Marktchancen bei leistungsstarken Pkw nicht verderben will? Oder Umweltkommissar Stavros Dimas, den nach eigenen Aussagen die Sorge um das Weltklima nicht schlafen lässt und der seine Kollegen mit Al Gores Klimafilm zu überzeugen versuchte?

An der magischen Zahl von 120 Gramm CO2 pro Kilometer soll festgehalten werden, so viel steht jetzt schon fest. Im Jahr 2005 lag der durchschnittliche CO2-Ausstoß aller in Europa zugelassenen Neuwagen noch bei 160 Gramm. Da die Hersteller ihr selbst gestecktes Ziel von 140 Gramm bis zum Jahr 2008 nicht erreichen werden, sollen nun Grenzwerte gesetzlich festgeschrieben werden. Über die Frage allerdings, wer die Kosten übernehmen soll, stritten die EU-Kommissare untereinander und mit der Autoindustrie bis zu letzten Minute.

Das verbindliche Ziel soll zwar bis 2012 erreicht sein. Allerdings soll es nicht von der Autoindustrie allein erbracht werden. Das Strategiepapier spricht von einem „integrierten Ansatz“, der „ungerechtfertigte Marktverzerrungen“ vermeiden soll. Bei Redaktionsschluss liefen die Verhandlungen noch, doch es sah so aus, als würde Günter Verheugen sich durchsetzen: 130 Gramm pro Kilometer müssen durch sparsamere Motoren erreicht werden. Dabei würde es sich um einen Durchschnittswert für die gesamte europäische Pkw-Flotte handeln. Wenn also beispielsweise Renault künftig Superspar-Autos auf den Markt bringt, darf es bei BMW ruhig ein Schluck mehr sein.

Die restlichen zehn Gramm sollen sich aus „anderen Faktoren“ zusammensetzen: aus sparsameren Klimaanlagen, reibungsärmeren Reifen und Biotreibstoff. Eine Verkehrsplanung mit weniger Staus allerdings soll nicht eingerechnet werden, da will Dimas hart bleiben. Er fordert, dass die Faktoren „messbar, kontrollierbar und eindeutig zuzuordnen“ sind. Mit dem Strategiepapier schaffe man die Quadratur des Kreises, sagte gestern ein Sprecher von Kommissionspräsident Barroso stolz: „Wir bekämpfen gleichzeitig den Klimawandel, fördern die Wettbewerbsfähigkeit und geben einen Innovationsanreiz.“

Die Vorschläge heute dienen lediglich als Grundlage für eine Anhörung, bei der alle Interessengruppen ihren Standpunkt vertreten sollen. Parallel dazu werden Berechnungen angestellt, welche finanziellen und marktwirtschaftlichen Auswirkungen ein mögliches Gesetz haben wird. Erst Mitte 2008 wird die Kommission dann einen Richtlinienvorschlag machen, der von Rat und Parlament beraten werden muss. Das kann bei einem so heiß umstrittenen Thema leicht ein weiteres Jahr in Anspruch nehmen. Die deutschen Abgeordneten stellen die größte Gruppe im Europaparlament. Und im Rat wird die deutsche Regierung jeden Vorschlag blockieren, der deutschen Autobauern zu große Lasten auflädt.

Der britische Europaabgeordnete Graham Watson von der Liberalen Partei erinnerte gestern daran, dass schon mit einem Mehraufwand von 300 Euro der Kraftstoffverbrauch um ein Viertel gesenkt werden könnte. „Es reicht nicht, ein bisschen an der Zusammensetzung von Benzin herumzuspielen. Außerdem hat es fatale Umweltfolgen, wenn große Anbauflächen für die Ethanolherstellung umgewidmet werden.“ Die Debatte also fängt erst an. Sollte sie Mitte 2009 tatsächlich in ein Gesetz münden, hätte die Autoindustrie gerade noch drei Jahre Zeit, um neue Sparmodelle auf den Markt zu bringen.

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