: Mit deutschen Infos nach Kuba
Deutschland lieferte den USA Anfang 2002 Belastungsmaterial über Murat Kurnaz
BERLIN taz ■ Im Untersuchungsausschuss des Bundestags hat eine überraschende Zeugenaussage gestern neue Diskussionen zum Fall Murat Kurnaz ausgelöst. Haben deutsche Sicherheitsbehörden dazu beigetragen, dass der damals 19-jährige Deutschtürke Anfang 2002 in das US-Lager Guantánamo gebracht wurde, wo er dann vier Jahre einsaß?
Bisher war vor allem erörtert worden, warum die frühere rot-grüne Regierung eine Einreisesperre gegen den gebürtigen Bremer verhängte, während dieser in Guantánamo inhaftiert war. Nun richtete sich die Aufmerksamkeit auf die Zeit davor. Kurnaz war im Herbst 2001 nach Pakistan gereist. Dort wurde er festgenommen und dann zunächst in ein US-Lager in Afghanistan gebracht, bevor ihn die USA nach Guantánamo flogen.
Der Vizepräsident des Bundeskriminalamts (BKA), Bernhard Falk, bestätigte gestern, dass schon Anfang 2002, also vor der Verschleppung des Deutschtürken nach Guantánamo, Informationen über Kurnaz an die USA weiterleitet wurden, die den damals 19-Jährigen belasteten.
„Sicherlich hat es Kommunikation gegeben“, sagte Falk. Die deutschen Sicherheitsbehörden hätten ihren amerikanischen Kollegen im Februar 2002 schriftlich und vorher mündlich Erkenntnisse weitergeleitet, die das Bremer Landeskriminalamt und der Bremer Verfassungsschutz über Kurnaz gesammelt hatten – darunter Angaben von Kurnaz’ Mutter und von heute äußerst umstrittenen Quellen über Kurnaz’ islamistische Anwandlungen und seine angebliche Zielsetzung, mit den Taliban gegen die USA zu kämpfen. Die damalige Einschätzung der Behörden: Kurnaz sei ein „Gefährder“. Inzwischen wurden jedoch sämtliche Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt.
Falk sagte über die Kommunikation mit den Amerikanern: „Ich gehe davon aus, dass die das, wir aus Bremen hatten, auch zur Kenntnis erhalten haben.“ Auf die Frage, ob diese deutschen Informationen ausschlaggebend dafür gewesen seien, dass Kurnaz nach Guantánamo gebracht wurde, sagte Falk: „Das weiß ich nicht.“ Als wichtigstes Motiv bei der Zusammenarbeit von deutschen und amerikanischen Behörden in der Zeit nach dem 11. September 2001 nannte er: „Es ging um das Ziel, weitere Terroranschläge zu vermeiden.“
Die Opposition reagierte mit kritischen Anmerkungen zur Rolle der deutschen Behörden. „Es liegt nahe, dass die Übermittlung der Erkenntnisse über Kurnaz die Entscheidung der Amerikaner, ihn nach Guantánamo zu bringen, beeinflusst hat“, sagte FDP-Obmann Max Stadler der taz. Da brauche man „nur zwei und zwei zusammenzählen“, sagte Stadler. „Was haben die Amerikaner denn vorher gegen ihn in der Hand gehabt, außer dass er in Pakistan war? Nichts.“ Für den FDP-Politiker ist wahrscheinlich, dass die Amerikaner Anfang 2002 bei ihrem Umgang mit den Gefangenen im afghanischen Lager Kandahar auch Hinweise von Partnerländern wie Deutschland in Betracht zogen. „Es sind ja einige aus Kandahar freigelassen worden und andere nach Guantánamo gebracht worden.“ Auch der Grünen-Obmann Hans-Christian Ströbele sah nach der Aussage Falks erhebliche Hinweise dafür, dass die Verschleppung von Kurnaz nach Guantánamo auch auf Informationen aus Deutschland zurückzuführen sei. LUKAS WALLRAFF
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