: Das Mindestlohnwunder
FISKUS Mindestens 8,50 Euro für alle und der Staat würde Milliarden einnehmen, so eine neue Studie. SPD fordert den Mindestlohn aus haushaltspolitischer Vernunft – und erhält Unterstützung aus der Union
VON LUKAS ONDREKA
BERLIN taz | Agenda 2010, Minijobs, Hartz IV, das war gestern. Heute will die SPD daran nicht mehr so gern erinnert, sondern mit dem Thema „Mindestlohn“ identifiziert werden. „Erkenntnisprozess“ nennt Hubertus Heil, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, diesen Imagewandel. Gut getimt zum 1. Mai stellte Heil am Freitag in Berlin eine Studie vor, die den öffentlichen Nutzen eines Mindestlohns untermauern soll.
Im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung errechnete das Schweizer Forschungsintitut Prognos erstmals die Auswirkungen eines gesetzlichen Mindestlohns auf die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen. Danach würde ein Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde die öffentlichen Haushalte jedes Jahr um 7 Milliarden Euro entlasten. Denn so stiegen die Erwerbseinkommen der privaten Haushalte um 14,5 Milliarden Euro – der Staat könnte mehr Steuern und die Sozialkassen höhere Beiträge kassieren. Für privaten Konsum bliebe auch noch etwas übrig – fast 700 Millionen Euro könnte der Staat jährlich zusätzlich einkalkulieren, wenn die Menschen mehr einkauften. Gleichzeitig würden Staatsausgaben für Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe oder Wohngeld um 1,7 Milliarden Euro sinken. Mit der Höhe des Mindestlohns stiege auch der Nutzen.
Dagegen habe die Bundesregierung nach der Finanzkrise ein Sparpaket vorgelegt, das einseitig zu Lasten der Arbeitenden und arbeitssuchenden Menschen ginge, kritisierten Heil und SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider. Sie forderten, es müsse mehr Geld in die Hand genommen werden, um Langzeitarbeitslosen und Aufstockern zu helfen. Ansonsten drohe „eine perverse Spaltung des Arbeitsmarktes“, sagte Heil. Er forderte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf, „aus Gründen der haushaltspolitischen Vernunft für Mindestlöhne einzutreten“.
Auch die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer forderte, die Regierung müsse „endlich ihre rein ideologisch motivierte Blockade aufgeben“.
Auch in der Regierungspartei mehren sich Forderungen nach einer gesetzlichen Lohnuntergrenze. Sollten weitere Branchen-Mindestlöhne ausbleiben, wollten die Sozialausschüsse der CDU einen ergänzenden allgemeinen Mindestlohn vorschlagen, sagte der Vorsitzende der Unions-Arbeitnehmergruppe im Bundestag, Peter Weiß (CDU), den Stuttgarter Nachrichten.
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