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Lauter nette Kerle

Günther Oettingers Trauerrede auf den furchtbaren Juristen Filbinger zeigt: Die Lügengebäude der Ex-Nazis, Mitläufer und Mitmacher haben sich fest mit der Nachkriegsgeschichte der Parteien verwoben

VON ROBERT MISIK

Wenn Politiker etwas tun oder sagen – und zwar auch dann, wenn man mit ihnen nicht übereinstimmt –, weiß man doch in der Regel, warum sie es tun. Wenn sie ostentativ lügen, dann meist, weil sie etwas zu verbergen haben, und wenn sie die Wahrheit hinbiegen, dann deshalb, weil sie sich davon einen Nutzen versprechen. Wenn sie eine unsympathische Meinung äußern, dann deshalb, weil sie entweder dieser Meinung sind oder weil sie glauben, dass ein relevanter Anteil ihres Wählerpublikums dieser Meinung ist.

Warum aber glaubte der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger, bei der Trauerfeier für seinen Vorvorvorgänger im Amt, Hans Filbinger, sagen zu müssen, es gebe „kein Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte“? Warum behauptet Oettinger, Filbinger sei eigentlich gar kein Nazi gewesen und hätte als Marinerichter „nicht die Entscheidungsmacht und die Entscheidungsfreiheit, die seine Kritiker ihm unterstellen“, gehabt?

Das ist so leicht ja nicht erklärlich, dass ein einigermaßen zeitgenössischer Christdemokrat einen Mann weißzuwaschen versucht, der zum Inbegriff des „furchtbaren Juristen“ geworden ist. Nützen wird Oettinger das nichts, auch wenn es in Baden-Württemberg ein stabiles Milieu hartgesottener Nationalkonservativer gibt, die auf Vergangenheitsbewältigung auch heute noch Umerziehung reimen.

Nein, es ist wahrscheinlich etwas anderes: Das Verdruckste im Umgang mit den Verstrickungen in die NS-Vergangenheit scheint sich in politischen Apparaten zu tradieren. Mitläufer, NS-Karrieristen, gewissenlose Mitmacher und Exnazis haben 1945 oft ihre Vergangenheit in Vergessenheit geraten lassen, sich die Lebensläufe zurechtgebogen. Oft mussten sie nicht einmal explizit lügen: Man wusste, der war dabei, und man redete nicht darüber. Selbst wer sein Mittun bereute, hat geschwiegen. Schweigen gestattete eine zweite Karriere, offenes Reden hätte die Laufbahn gefährdet.

Viele derjenigen, die elegant die Kurve von der alten NSDAP zur neuen FDGO nahmen, haben sich nach 1945 „ganz normal“ verhalten – so, wie man sich eben verhält, wenn man in Parteiapparaten aufsteigt: Man ist nett zur Parteibasis, tut den Leuten im Wahlkreis gelegentlich einen Gefallen, gibt sich als umgänglicher Kerl, spendiert viele Runden Edelbrand. Filbinger war wahrscheinlich kein besonders brutaler Nazi – er war ein ganz gewöhnlicher: nicht Sand, sondern Öl im Getriebe, brutal, wenn’s dem eigenen Fortkommen diente. Und auch nach 1945 lief er wie geschmiert, zum Vorteil der eigenen Karriere. Aber die geschönten Lebensläufe der Filbingers, die aus Lügen und Verschweigen gewoben waren, verwoben sich so auch mit der Nachkriegsgeschichte der Parteien, in denen diese Leute aufstiegen.

Die neuen Parteifreunde erlebten die Männer „mit Vergangenheit“ als nette Kerle. Und daran änderte sich emotional meist auch nichts, wenn sie von der Vergangenheit ihrer Parteifreunde erfuhren. Schließlich hatte man den Parteifreund ja nicht als Scharfrichter erlebt, sondern als „anständigen Kerl“. Damals, bei der Marine, war man ja nicht dabei, im Ortsverband aber schon. Das gilt selbst für einen Mann wie Oettinger noch: Der gründete schließlich schon 1977 einen Kreisverband der Jungen Union, da war Landesvater Filbinger noch unbestritten. Und unter den Trauergästen saßen wohl viele, die an Filbinger manche freundliche Erinnerung hegten. Da will ein Oettinger natürlich nicht für Misstöne sorgen! Hat Filbinger es nicht schwer genug gehabt? Da wird man doch noch ein paar gute Worte über einen Verblichenen sagen dürfen!

Nein, darf man nicht. Eine Trauerrede eines Ministerpräsidenten ist nicht die Rede eines Pfarrers, für die vor allem zählt, dass sie den Hinterbliebenen die Sache leichter macht. Ein Ministerpräsident strickt, ob er das begreift oder nicht, am Geschichtsbild einer Nation mit – und mag er noch so ein kleines Licht sein. Nachkommen mögen Opa oder Uropa, wenn sie’s unbedingt nötig haben, als lieben Kerl im Gedächtnis behalten. Das schadet vielleicht nicht, und wenn doch, können Psychiater die Folgen kurieren.

Aber für politische Institutionen gelten andere Gesetze. Die Filbingers sind hartnäckige braune Flecken am modischen Revers, auch wenn sich die Parteien runderneuert geben. Die wird man nicht los, wenn man in der alten Verteidigungsstellung verbleibt.

Bei einem 1953 geborenen Politiker sollte man eigentlich Instinkt genug voraussetzen, dass er das begreift. Aber man sieht: So kann man sich täuschen.

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