: Ein Hauch von Stalingrad
KOBANI Nach dem historischen Sieg über den Islamischen Staat ist es an der Zeit, das PKK-Verbot aufzuheben und beim Wiederaufbau von Kobani zu helfen
VON DENIZ YÜCEL
Im November 1993 gab es gute Gründe, die PKK als terroristische Organisation zu verbieten. In der Türkei führte sie nicht nur einen Guerillakrieg, sondern verübte auch Anschläge auf Zivilisten oder löschte Mitglieder der „Dorfschützermiliz“ mitsamt ihren Familien aus. Auch hierzulande bot die Arbeiterpartei Kurdistans kein freundliches Bild: Schutzgelderpressung, Brandanschläge, blutige Abrechnungen.
All das spielte beim Verbot eine Rolle. Hinzu kamen weitere Gründe, die dazu führten, dass nicht, wie es bei der Hamas zeitweise der Fall war, nur der bewaffnete Flügel als terroristisch eingestuft wurde. In der Verbotsverfügung war von den „außenpolitischen Belangen“ die Rede und „vom Verhältnis zum türkischen Staat“. Zudem trete die „Außenpolitik der gesamten westlichen Welt“ für die Integrität des „wichtigen“ Partners Türkei ein – im „Interesse des Friedens in der gesamten Region“.
Diese Begründung wirkt heute anachronistisch. Denn die Verteidigerinnen und Verteidiger von Kobani haben nicht nur für sich gekämpft, nicht allein für die westliche Welt, sondern für nicht weniger als die Zivilisation. Oder wie es Stéphane Charbonnier, der ermordete Chefredakteur von Charlie Hebdo, formulierte: „Die belagerten Kurden in Syrien sind keine Kurden, sie sind die Menschheit, die sich der Finsternis widersetzt.“
Nun haben sie, unterstützt von US-Luftschlägen – ob es ins Weltbild linker Antiimperialisten passt oder nicht: mit Heldenmut und AK-47 allein hätten sie den schweren Waffen des IS nicht trotzen können –, dem IS seine erste ernste Niederlage beigebracht und den Mythos seiner Unschlagbarkeit gebrochen. Noch sind die Folgen nicht abzusehen. Doch im ersten Moment liegt etwas Historisches in der Luft: eine Erinnerung an Madrid 1936, ein Hauch von Stalingrad.
Die Türkei hingegen war in diesem Kampf – sehr wohlwollend formuliert – zurückhaltend. Sie nahm, eher widerwillig, Flüchtlinge aus Kobani auf und ließ es zugleich zu, dass sich der IS über ihr Territorium mit Nachschub versorgte. Präsident Erdogan echte Sympathien für den IS zu unterstellen, wäre zu viel. Eher hat die AKP den IS und oder die Al-Nusra-Front als Hilfstruppen im Dienste ihrer neoosmanischen Fantasien gesehen. Ideologisch aber steht die AKP für eine Mischung aus enthemmten Kapitalismus und religiösem Konservatismus.
Seit sich die PKK vom Ziel der Gründung eines unabhängigen kurdischen Staats verabschiedet hat und sich ideologisch eher am libertär-kommunitaristischen Philosophen Murray Bookchin denn an Stalin orientiert, kann man nicht ernsthaft behaupten, sie gefährde existierende territoriale Grenzen.
Die PKK und ihr syrischer Ableger PYD sind eine der wenigen verlässlich säkularen Kräfte in der Region, was schon in ihrer Bildpolitik deutlich wird: Es waren vor allem Bilder von Frauen, die sie aus Kobani in Umlauf brachten: kämpfende Frauen, lachende Frauen, zum Schluss jubelnde und tanzende Frauen.
Es ist an der Zeit, sie international als Gesprächspartner anzuerkennen. Es ist an der Zeit, die schizophrene Situation zu beenden, dass die amerikanische Luftwaffe mit PKK-Kämpfern zusammenarbeitet und die US-Regierung den „kurdischen Kämpfern und denen der Freien Syrischen Armee“ dankt, diese kurdischen Kämpfer aber nicht beim Namen benennen kann, weil die PKK auch in den USA als Terrororganisation gilt. Es ist an der Zeit, dies zu ändern.
Wenigstens hier kann sich Deutschland nützlich machen. Und noch etwas kann Deutschland tun: dabei helfen, Kobani wiederaufbauen. Das haben die mutigen Frauen und Männer verdient. Kräne für Kobani!
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