: „Ich kann nicht einfach aufhören“
ATMEN Wen Bo will die schmutzige Luft Pekings bekämpfen, deshalb fährt er Bus und Bahn. Er will sein Land aufrütteln und muss mit der Polizei Tee trinken. Ein Gespräch mit Chinas bekanntestem Umweltaktivisten
■ Die Person: Wen Bo, 39, ist einer der bekanntesten Umweltaktivisten Chinas. Er stammt aus der im Nordosten gelegenenen Hafenstadt Dalian. Er hat Englisch und Journalismus studiert.
■ Der Weg: Mit 13 Jahren gründete Wen seine erste Umweltgruppe, die er Greenpeace nannte. Während seines Studiums rief er mehrere grüne Hochschulgruppen ins Leben.
INTERVIEW JUTTA LIETSCH
Wen Bo empfängt in seinem schlichten Büro in einem Hochhaus im Pekinger Osten. An den Wänden stapeln sich Bücher und Broschüren, gerade erst ist er von einer Konferenz aus Südkorea zurückgekehrt, in wenigen Tagen hält er einen Vortrag vor Umweltschützern in Tokio. Wens Terminkalender ist voll, aber er nimmt sich viel Zeit für das Gespräch.
sonntaz: Herr Wen, haben Sie heute schon auf den Pekinger Luftverschmutzungsindex geschaut? „Ungesund“ steht da.
Wen Bo: Die meisten Leute haben sich daran gewöhnt, dass die Luft so schlecht ist. Früher war es gewöhnlich im Herbst sehr klar, eigentlich ist dies die goldene Jahreszeit Pekings.
Warum ist die Luft so dick geworden?
Das hat viele Gründe: Die große Zahl der Autos, außerdem produzieren die vielen Fabriken und Baustellen sehr viel Staub.
Wann ist der Punkt erreicht, an dem die Bürger sagen: „Jetzt reicht‘s!“?
Die Leute klagen schon seit vielen Jahren über die schlechte Luftqualität. Allerdings: Auf der einen Seite beschweren sie sich, auf der anderen Seite kaufen sie immer mehr eigene Autos und tragen damit dazu bei, dass die Luft schlechter wird.
Besitzen Sie ein Auto?
Nein, ich fahre Bus und Bahn.
Sie gehören zu den bekanntesten Berufsumweltaktivisten in China. Was machen Sie konkret?
Ich arbeite für zwei Organisationen: Eine davon nennt sich Global Greengrants Fund, eine internationale Stiftung, die in der ganzen Welt Umweltgruppen mit jeweils zwischen 500 und 8.000 US-Dollar unterstützt. Ich helfe, die Projekte auszusuchen. Vergangenes Jahr haben wir rund vierzig Gruppen mit Zuschüssen bedacht.
Und die zweite Organisation?
Heißt Pacific Environment. Wir unterstützen vor allem Gruppen in den Ländern um den Pazifik, die sich gegen Wasserverschmutzung und für den Meeresschutz einsetzen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Das Meer vor der Hafenstadt Dalian ist sehr dreckig – durch Lecks bei Ölbohrungen und Abwässer. Wir fördern dort die Gruppe Blue Dalian, die Strände säubert, Workshops über die Gründe der Wasserverschmutzung organisiert und die örtlichen Medien informiert.
Die Klimakonferenz in Durban wird kommende Woche über die Zukunft des Kioto-Protokolls verhandeln. Die wichtigste Frage ist, wie der Ausstoß der Treibhausgase verringert werden kann, ohne die wirtschaftliche Entwicklung zu bremsen. Ist das in China derzeit ein großes Thema?
Heute interessieren sich weniger Leute dafür als vor der Kopenhagener Konferenz im Dezember 2009. Leider.
Wie kommt das?
Es liegt wohl in der Natur des Menschen, dass er keine sehr lange Aufmerksamkeitsspanne hat. Wenn etwas im Trend liegt, spricht jeder darüber. Wenn du ein Jahr später immer noch darüber redest, denken die Leute, du seist von gestern.
Sind Ihre Landsleute weniger an Umweltthemen interessiert als vor ein paar Jahren?
Nein, im Gegenteil – das Interesse wächst. Immer mehr Menschen erkennen, wie ernst die Umweltprobleme inzwischen in China sind, und immer mehr sind auch bereit, etwas zu tun. Aber Themen wie Klimaerwärmung und Treibhausgase sind zu abstrakt. Im Alltag sprechen die Leute über Dinge, die ihnen näher liegen.
Zum Beispiel?
Viele Bürger machen sich über giftige Chemikalien Sorgen, die mit Abwässern von Fabriken oder Bergwerken in Flüsse und Böden geleitet werden und so ins Trinkwasser und die Lebensmittel gelangen. Das hat Folgen für die eigene Gesundheit und die der Familie – ganz egal ob jemand sich sonst für den Naturschutz oder die Umwelt interessiert oder nicht.
Was bereitet Ihnen persönlich am meisten Sorgen?
Es gibt so vieles! Wenn man beispielsweise Dokumente der Krankenhäuser liest, wird klar, dass sehr viele Babys mittlerweile mit Missbildungen zur Welt kommen und dass es viele Paare gibt, die keine Kinder bekommen können.
Sind Sie sicher, dass das eine Folge der Umweltverschmutzung ist?
In einigen Fällen ist das offensichtlich. In einigen Regionen Chinas zum Beispiel ist es die Folge zu hoher radioaktiver Strahlung oder verseuchter Nahrungsmittel. Ich habe bislang aber noch keine umfassenden Studien zu diesem Thema für China gesehen. Ich glaube, die Regierung hat noch nicht voll erkannt, dass das eine Bedrohung für die nationale Sicherheit ist.
Und Leute wie Sie versuchen, das Bewusstsein zu schärfen?
Ja. In der chinesischen Umweltbewegung arbeiten zunehmend Wissenschaftler und Aktionsgruppen, die versuchen, Workshops zu organisieren, Berichte zu schreiben. Es fehlt ihnen aber das Geld oder die organisatorische Kraft, um große Aufmerksamkeit zu erreichen.
Was sind das für Leute, die sich in China in der Umweltbewegung engagieren?
Viele sind Journalisten, sie engagieren sich von Natur aus mehr als andere. Das chinesische Gesetz erlaubt es Journalisten zwar nicht, eine Nichtregierungsorganisation zu führen, aber alle Nichtregierungsorganisationen haben unter ihren Mitgliedern Medienleute.
Wer beteiligt sich noch?
Die zweite große Gruppe sind Hochschulstudenten. Die sind jung und voller Energie. Sie haben Zeit und noch keine eigene Familie. Und für soziale Aktivitäten gibt es nur wenige Möglichkeiten – anders als in den achtziger Jahren, als man sich politischen Gruppen, etwa Debattierklubs, anschließen konnte. Aber seit 1989 ist das vorbei.
Dem Jahr, in dem die Demokratiebewegung vom Militär niedergeschlagen wurde.
Seitdem ist der Umweltschutz ein Feld, auf dem sich sozial engagierte Studenten beteiligen können.
Wie viele solche Gruppen gibt es heute?
Sehr viele. Genaueres ist schwer zu sagen, die meisten Gruppen sind nicht offiziell registriert.
Warum nicht? Lässt die Regierung sie nicht zu?
Anfangs, in den achtziger und neunziger Jahren, haben die Behörden noch positiv reagiert, wenn sich jemand für die Umwelt eingesetzt hat. Man galt als guter Mensch, der gute Taten für das Land vollbringen wollte. Aber in den letzten Jahren sind sie misstrauischer geworden.
Warum?
Es gibt viele Organisationen, die unabhängig von der Regierung arbeiten. Manche bekommen Geld aus dem Ausland. Die Revolutionen in Osteuropa sind, so sieht es die Regierung, von westlichen Stiftungen gefördert worden. So etwas soll sich in China nicht wiederholen.
Das bedeutet?
Die Haltung der Regierung gegenüber Nichtregierungsorganisationen hat sich deutlich gewandelt: Sie will Stabilität, alle müssen der Herrschaft der Kommunistischen Partei folgen. Sie will nicht, dass sich eine Zivilgesellschaft entwickelt, die dann auch noch damit anfängt, Funktionäre zur Rechenschaft zu ziehen. Sie will keine Störenfriede. Deshalb tauchten in den letzten Jahren verstärkt Staatsschutzleute bei den Umweltgruppen auf, um mit ihnen Tee zu trinken.
Tee trinken ist die in China gebräuchliche Umschreibung für Verhöre oder politische Ermahnungen.
Richtig. Das geht höflich vor sich. Aber die Tatsache allein, dass die Polizei diese Gruppen besucht, schafft psychologischen Druck. Vor allem junge Leute sind verunsichert. Sie haben das Gefühl, ständig unter Beobachtung zu stehen.
Hat das eine Ihrer Gruppen schon erlebt?
2002 erhielt eine studentische Umweltgruppe, das von mir in den neunziger Jahren mitbegründete China Green Students Forum, eines Tages Besuch der Polizei. Ohne dass die Mitglieder es ahnten, hatten die Behörden sie bereits seit Längerem im Visier. Als die Beamten im Polizeiwagen aufs Hochschulgelände kamen und nach ihnen fragten, waren die Studenten zu Tode erschreckt. Schließlich kam es zu einem Treffen zwischen sechs Polizisten und den Leuten der Gruppe. Die Polizisten hatten stapelweise Papiere dabei, ausgedruckte Artikel von der Webseite des Forums.
Was geschah dann?
Sie fragten nach Dingen, die sie in den Artikeln nicht verstanden hatten: Was bedeutet Bürgerbeteiligung, was wollt ihr mit diesen Aktivitäten erreichen? Die verschüchterten Studenten erklärten genau, warum und wie sie die Umwelt schützen wollten. Nach zwei Stunden sagte der Leiter der Polizistentruppe: „Wir unterstützen euch. Bitte macht weiter mit eurer Arbeit. Habt keine Angst.“ Es hätte aber auch ganz anders ausgehen können.
Mussten Sie selbst auch schon Tee trinken?
Ich habe zwei solcher Belehrungen durch den Staatsschutz erlebt. Das hat mit meiner Arbeit für den Global Greengrants Fund zu tun, wir verteilen Geld aus dem Ausland an chinesische Umweltgruppen.
Wie gehen Sie mit der Polizei in solchen Situationen um?
Ich versuche ihnen zu erklären, dass es überall auf der Welt Leute gibt, die Geld für Umweltgruppen in anderen Ländern spenden. Ich habe ihnen gesagt: Wenn ich als Chinese Tiger schützen will, dann spende ich nicht nur für den Schutz von Tigern in China, sondern auch in Indien. Wenn Ausländer Umweltprojekte in China unterstützen, dann nicht etwa, weil sie Demokratie in China wollen, sondern weil sie ganz einfach ein Interesse am Naturschutz haben.
In China sind Dutzende Atomkraftwerke geplant und im Bau. Gibt es eine chinesische Anti-Atomkraft-Bewegung?
Im Internet befassen sich Atomkraftgegner sehr kritisch mit den Plänen der Regierung. Das begann schon vor Fukushima. Diese Bewegung ist nicht sehr sichtbar, weil es die Regierung nicht erlaubt, dass man auf die Straße geht und demonstriert. Über die Tschernobyl-Katastrophe 1986 durften die Medien in China berichten. Über Unfälle in Atomkraftwerken anderer Länder zu informieren war immer okay.
Aber nicht über Unfälle in China?
Nein. Und man muss leider sagen: Im Großen und Ganzen fehlen in China die Informationen. Die meisten Leute sind sich gar nicht darüber im Klaren, dass in ihrer eigenen Stadt ein Atomkraftwerk errichtet wird.
Warum sind Sie Umweltschützer geworden?
Alle Kinder der Welt sind Naturliebhaber, sie lieben Tiere, Schmetterlinge, gehen gern in den Zoo. Ich war keine Ausnahme. Ich wuchs in der nordostchinesischen Hafen- und Industriestadt Dalian auf und träumte als Kind davon, einen Dschungel mit Elefanten zu sehen.
Das macht noch keinen Umweltschützer.
Ich habe alle Vorteile der Stadt genossen, zum Beispiel fließendes Wasser in der Wohnung. Es gab Grünflächen, Felder und Bäche in meiner Nachbarschaft, die aber allmählich verschwanden. 1985, als ich 13 war, wurde ein internationales Friedensjahr gefeiert. Die achtziger Jahre waren eine Zeit, in der die politische und soziale Atmosphäre in China relativ offen war. Die Menschen hatten Sehnsucht danach zu erfahren, was in der Welt geschah, nachdem sich das Land so lange abgeschottet hatte. Jetzt erfuhren wir neue, aufregende Dinge: Hilfe für Afrika, Unterstützung beim Wiederaufbau nach Kriegen. Man erzählte uns von Krankenschwestern, die großartige Dinge in der Welt taten. Ich beschloss, später auch für den Weltfrieden zu arbeiten. Gleichzeitig hörten wir von Greenpeace-Aktivisten, die auf Schornsteine kletterten oder mit ihren Schlauchbooten Walfänger störten.
Woher bezogen Sie Ihre Informationen?
In der Hauptnachrichtensendung des Staatsfernsehens um 19 Uhr wurde damals viel über Greenpeace berichtet – allerdings musste man vorher zwanzig Minuten Inlandsnachrichten durchstehen: welcher politische Führer sich mit welchem anderen Führer getroffen hat, welche Konferenzen eröffnet wurden. In den restlichen zehn Minuten folgten die internationalen Meldungen. China hatte damals kaum eigene Korrespondenten und kaufte Bilder von westlichen Sendern. Bei uns wurde das gesendet, weil es als politisch korrekt galt: Wenn die Aktivisten von Greenpeace protestierten, repräsentierten sie das einfache Volk, das sich gegen die Regierungen des kapitalistischen Westens richtete, die so böse Dinge taten – wie zum Beispiel den Walfang zu unterstützen.
So wurde das damals gesehen?
Ja, und ich wurde als 13-Jähriger Fan von Greenpeace. Ich begann, die Nachrichten mit meiner Umgebung in Verbindung zu bringen: der Abholzung der Bäume, dem Verschwinden der Natur in meiner Stadt, dem Schmutz im Meer. Bis dahin dachte ich, das sei normal. Jetzt fragte ich mich, warum niemand das für ein Problem hielt.
Was sagten Ihre Freunde?
Zuerst war ich allein. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Aber meine Schulfreunde, meine Lehrer, alles nette Leute – warum merkten sie nicht, dass wir so große Umweltprobleme hatten? Ich musste sie aufrütteln. Ich nahm mir vor, Greenpeace in China aufzubauen, damit ich meinem Traum folgen könnte, für den Weltfrieden und die Umwelt zu arbeiten.
Wie reagierte Ihre Umgebung?
Anfangs dachten alle, ich redete Unsinn, wir hätten keinen Grund zur Sorge. Aber ich habe nicht nachgelassen. Mit ein paar Mitschülern habe ich einen Informationsbrief verfasst. Wir nannten uns Greenpeace und begannen, Mitglieder zu werben. Wir fertigten Mitgliederausweise, besorgten uns einen Stempel und hingen Bettlaken mit einem Aufruf gegen die Luftverschmutzung von einer Brücke.
Wann war das?
Zwischen 1986 bis 1988. Wir waren Mittelschüler und hatten keinen Kontakt zur richtigen Greenpeace-Organisation im Ausland.
Sie waren sehr beharrlich.
Als ich später in der zentralchinesischen Stadt Changsha Englisch studierte, gründete ich wieder eine Umweltgruppe: Green Campus. Ich hatte ehrlich gesagt immer Angst, dass ich wegen meiner Aktivitäten von der Uni fliege. Deshalb war ich erleichtert, als ich 1995 mein Examen hatte. Ich zog nach Peking und belegte im Zweitstudium das Fach Journalismus. In Peking kontaktierte ich die Studentenclubs von acht Universitäten, weil ich fand, dass wir gemeinsam für den Umweltschutz aktiv werden sollten. So entstand das China Green Students Forum. Es existiert bis heute.
Sie sind jetzt 39 Jahre alt. Haben Sie manchmal den Wunsch, etwas völlig anderes zu tun?
Die Umweltprobleme haben sich in all den Jahren verschärft. Manchmal wünsche ich mir, keine Ahnung davon zu haben: Ich würde mich daran erfreuen, wie schön das Leben ist. Ich würde mir sagen: Wie gut, dass wir eine neue U-Bahn haben und immer wieder etwas Neues, das unser Leben erleichtert – ohne immer gleich daran denken zu müssen, dass die Chemikalien einer Goldmine vor der Stadt unser Trinkwasser verseuchen. Aber ich kann nicht einfach aufhören und mich irgendwo an einem besseren Ort niederlassen. Ich bin ja nicht allein. Im Lauf meines Lebens haben mich so viele Menschen unterstützt, einzelne Personen ebenso wie chinesische und internationale Umweltorganisationen.
Sie fühlen sich ihnen verpflichtet?
Wenn es sie nicht gegeben hätte, wäre ich nie Umweltschützer geworden. Ich wäre eine Person, die ziellos durchs Leben stolpert. Es gibt so viele Menschen, die keinen Sinn und keine Richtung für ihr Leben sehen. Sie fragen sich, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Ich hatte das Glück, dass ich schon früh in meiner Jugend ein Ziel gefunden habe.
■ Jutta Lietsch, 59, ist China-Korrespondentin der taz. Sie lebt seit elf Jahren in Peking.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen