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Im Zweifel lieber vertuschen

Ex-Planungschef im Verteidigungsministerium gibt zu: Ich habe die Information unterdrückt, dass die USA in Deutschland auch Uranpanzer stationiert hatten

BERLIN taz ■ Dass die Öffentlichkeit im Kalten Krieg nur unvollständig über mögliche Gefahren durch die Nato-Aufrüstung informiert wurde, kann niemanden wirklich überraschen. Ungewöhnlich ist es jedoch, dass ein verantwortlicher Politiker offen darüber berichtet. „Ja, ich habe ganz bewusst Informationen unterdrückt“, sagte der ehemalige Chef des Planungsstabs im Verteidigungsministerium, Hans Rühle, gestern zur taz.

Rühle erinnert sich: „Mitte der 80er-Jahre habe ich ein Fax von den Amerikanern bekommen, in dem sie mitteilten, dass ihre Panzer vom Typ M 1 mit Uranlegierungen versehen seien.“ Die ersten dieser Panzer waren damals bereits in Deutschland stationiert. Ihm sei klar gewesen, sagt Rühle, „dass die Friedensbewegung sofort eine Kampagne gestartet hätte“, wenn sie davon erfahren hätte. „Ich konnte mir die Schlagzeilen schon vorstellen: 1.000 strahlende Zeitbomben in Deutschland.“

Das wollte Rühle verhindern. „Also habe ich angeordnet, dass das Fax nicht weiter verbreitet wird als an diejenigen, die gerade im Zimmer waren. Und wie man sieht, hat das funktioniert.“ Das Papier verschwand in der Schublade, die Öffentlichkeit erfuhr von den Uranlegierungen erst fünfzehn Jahre später im Zuge der Diskussion um die Uranmunition im Kosovokrieg.

Gewissensbisse plagen Rühle heute nicht. „Mein Auftrag war, die Nato unbeschadet über die Runden zu bringen“, da habe er eben Prioritäten setzen müssen. „Ich würde wieder genauso handeln.“ Die Sicherheit der Panzerbesatzungen sei „Sache der Amerikaner“ gewesen. Das Gefährdungspotenzial für die Umwelt war ihm bekannt, Rühle hielt es aber für „eher belanglos“.

Rühle wusste zwar, dass „gefährliche Dämpfe entstehen können“, wenn die Panzer beschossen werden und in Brand geraten – zu Friedenszeiten sei dies aber äußerst unwahrscheinlich gewesen, „wenn man mal von den zwei Unfällen, die es gab, absieht“. Und im Kriegsfall? „Da wurde über ganz andere Sachen geredet.“ Im Vergleich zu den Wirkungen eines Atomkriegs hätten die Uranpanzer „keine Rolle gespielt“, deren Anteil an der atomaren Verseuchung wäre „nicht mal irgendwo im Kommabereich“ gewesen.

Also schwieg Rühle und behielt die Informationen für sich. Ob er seinen damaligen Chef, den 1994 verstorbenen Verteidigungsminister Manfred Wörner (CDU), eingeweiht hat, „kann ich nicht mehr sicher sagen“. Auf jeden Fall glaubte er, in dessen Sinne zu handeln: „Wir waren gute Freunde. Wörner wusste, dass er sich auf mich verlassen konnte.“

Sein Verhältnis zu Kanzler Helmut Kohl war weniger herzlich. Rühle gehörte zu den Anhängern von Kohl-Intimfeind Kurt Biedenkopf. Folgerichtig endete seine politische Karriere 1987, als er Staatssekretär werden wollte. Kohl zog Holger Pfahls vor, der später eine tragende Rolle in der CDU-Spendenaffäre spielte. Pfahls wird heute mit internationalem Haftbefehl gesucht. Rühle lebt als Pensionär im Bonner Vorort St. Augustin. Aus der CDU ist er 1987 ausgetreten. LUKAS WALLRAFF

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